Symbolbild - Frauen und Mathematik

Große Fische im klei­nen Teich?

Wussten Sie, dass Mädchen in Österreich durchschnittlich rund 46 Minuten weniger Mathematikunterricht pro Woche erhalten als gleichaltrige Burschen? Das Land zählt damit zu den Ländern mit den größten geschlechtsspezifischen Disparitäten im Bereich der Mathematikbildung und -leistung. Gerade Mathematik spielt jedoch eine zentrale Rolle für die Studierfähigkeit in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Neben der fachlichen Vorbereitung ist es jedoch auch das mathematische Selbstkonzept – also die subjektive Einschätzung der eigenen mathematischen Kompetenz –, das wesentlich zur Studienwahl beiträgt.

Inwiefern sich das mathematische Selbstkonzept von MINT-Studienanfängerinnen und -anfängern an der Universität Innsbruck unterscheidet, hat Pia Tscholl in ihrem kürzlich veröffentlichten Fachartikel
Mathematical Self-Concept Anomalies in Women Regarding STEM Degree Aspirations: Being a Big Fish in a Small Pond?
in Anbetracht der spezifischen bildungspolitischen Rahmenbedingungen in Österreich untersucht.

Das zentrale Ergebnis der Studie überrascht: MINT-Studienanfängerinnen an der Universität Innsbruck verfügen über ein signifikant höheres mathematisches Selbstkonzept als ihre männlichen Kommilitonen – ein Befund, der dem internationalen Trend widerspricht. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass diese Frauen ihre mathematischen Fähigkeiten häufig überschätzen. Sie weisen damit vermehrt ein sogenanntes „optimistisches mathematisches Selbstkonzept“ auf – also eine tendenzielle Überschätzung der eigenen Kompetenzen im Vergleich zur tatsächlichen Leistung.

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass Frauen, die sich für ein MINT-Studium an der Universität Innsbruck entscheiden, im Zuge ihrer Schulausbildung häufiger große Fische im kleinen Teich waren: Viele scheinen im schulischen Umfeld – insbesondere im Fach Mathematik – zu den leistungsstärkeren Schülerinnen gezählt zu haben, allerdings in Klassengemeinschaften mit insgesamt eher niedrigem Leistungsniveau. In diesem sozialen Vergleich konnte sich ein stabiles, überdurchschnittliches Selbstbild entwickeln, das sie in ihrer Studienwahl bestärkte. Dies erweckt aber gleichzeitig die besorgniserregende Vermutung, dass sich Frauen, die zwar über ausreichende mathematische Fähigkeiten für ein MINT-Studium verfügen, jedoch weniger bestärkende soziale Vergleichserfahrungen gemacht haben, seltener für ein solches Studium entscheiden.

Ob sich diese Big-Fish-Little-Pond-Hypothese durch qualitative Anschlussstudien bestätigen lässt, wird derzeit untersucht. Die Autorin diskutiert in ihrem Beitrag darüber hinaus auch die bildungs- und gleichstellungspolitischen Implikationen der Befunde. Der vollständige Artikel ist Open Access verfügbar unter: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10564934.2025.2511623

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