Strategien für eine nachhaltigere Baubranche

Die Baubranche ist, je nach Hochrechnung, in ihrer Gesamtheit für etwa 25 % des weltweiten CO₂ Ausstoßes verantwortlich. Gleichwohl wird in kommenden Jahrzehnten gebaut werden müssen. Dieser Beitrag zeigt aus ingenieurstechnischer Sicht Strategien auf, wie die Baubranche nachhaltiger werden kann.

Wintersemester 2023/24: Immo Lukas

Laut der UN verzeichnete die Baubranche 2021 ein neues Allzeithoch in Bezug auf ihren CO₂ Ausstoß mit einer Gesamtmenge von 10 Gt CO₂. Dabei ist jedoch zu beachten, dass hier von der Rohmaterialerzeugung, über Transport und Logistik, bis zum fertigen Bauwerk alle CO₂-Äquivalente kumuliert werden. (United Nations Environment Programme, 2022) Fest steht, dass alle Kettenglieder ihren CO₂-Fußabdruck drastisch reduzieren müssen. Materialerzeuger, speziell von Stahl und Zement beschäftigen sich seit Jahren mit der Dekarbonisierung in ihren Herstellungsprozessen. Zusätzlich erörtern zahlreiche Studien (u. a. Assuncāo et al., 2022; Hasanbeigi et al. 2012) Verfahren zur Reduzierung des CO₂ Ausstoßes. Letztlich fußen jedoch all diese Ansätze auf der Grundlage von „grünen“ Strom, ohne diesen die Transformation nicht möglich sein wird.
Prinzipiell herrscht Konsens, dass sich unser Wirtschaftssystem von einem linearen zu einem zirkulären transformieren muss. Die circular economy wird häufig mithilfe der fünf R’s beschrieben: reduce, refurbish, re-use, repair und recycle (siehe Abbildung 1). Mit Fokus auf die klassische, direkte Baubranche, werden im Folgenden zwei Strategien diskutiert – reduce und re-use.

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Abbildung 1: Die 5 R’s der Zirkulärwirtschaft1

Strategie „reduce“: Fokus auf hochwertigem Engineering durch CO₂-Bepreisung des Baumaterials
Strategie 1 beschäftigt sich mit einer möglichen CO₂-Bepreisung des Baumaterials und deren Auswirkung auf die planende und die ausführende Industrie. Aktuell soll das European Union Emissions Trading System (EU-ETS) dafür Sorge tragen, Treibhausgasemissionen innerhalb der EU zu senken. Dabei wird eine Ausstoß-Obergrenze festgelegt, welche sukzessive gesenkt
wird, um bis 2050 die Gesamtemissionen auf null herunterzufahren. Aktuell sind laut EPA
(Environmental Protection Agency, 2023) ca. 45 % der EU-Emissionen in diesem System
erfasst. Markteilnehmer, die mehr Emissionen verbrauchen, als Ihnen zustehen würde, können
mithilfe von Zertifikaten mehr Emissionen kaufen. Auf diese Weise soll der Markt die
Allokation von Emissionen regeln. In Anhang 1 dieser EU-Richtlinie sind explizit industrielle
Tätigkeiten wie Eisen- und Stahlverhüttung oder Zement und Kalkherstellung erfasst.

Anders als beispielsweise in Deutschland, ist in Österreich Planung und Ausführung von
Bauwerken strikt zu trennen. Die Idee beruht auf dem Vier-Augen-Prinzip als
Kontrollmechanismus und zum Schutz des Bauherrn. Im Hinblick auf den
ressourcenschonenden Umgang mit Material ist dies insofern ungünstig, als keine der beiden
Seiten zum sparsamen Bauen incentiviert werden. Das planende Unternehmen trägt das Risiko
durch eine 30 Jahre andauernde Gewährleistung. Die ausführende Firma rechnet in der Regel
nach Massen ab. Durch die zunehmenden Materialkosten relativiert sich der Personalaufwand
und macht Investitionen in hochwertiges Engineering wirtschaftlich attraktiver. Dies eröffnet
die Möglichkeit zu einer schlankeren und ressourceneffizienteren Bauweise. Folglich
reduzieren sich einerseits die Material- und Lagerkosten für ausführende Firmen, während auf
der Planungsseite qualifizierte Ingenieure angemessen vergütet werden.

Zufolge einiger Stimmen aus der Stahl verarbeitenden Industrie hat sich jedoch bislang das
EU-ETS nur marginal auf die Materialpreisentwicklung ausgewirkt. Vielmehr haben Effekte
aus Konjunktur und vor allem der Corona-Pandemie spürbare Auswirkungen auf die
Materialeinkaufspreisen (in Spitzen von bis zu +60 %).

 

 

Strategie „re-use“: Rückbau und Umnutzung
Strategie 2 beschäftigt sich mit Möglichkeiten des re-use. Fivet & Bütting (2020)
unterscheiden dabei zwischen up-stream und down-stream re-use.

Up-stream re-use zielt dabei auf den Rückbau und Wiederaufbau von Komponenten. Diese
Bauweise hat massive Auswirkungen auf den Planungsprozess von Ingenieuren. Hier muss
bereits in der Planungsphase das Bauwerk modular geplant werden. Konkret bedeutet dies, dass
speziell Verbindungen nicht mehr monolithisch, sondern rückbaubar konstruiert und berechnet
werden müssen. Hier würde der Stahlbau im Rennen der Konstruktionsmaterialien durch seine
Komponentenbauweise hervorstechen. Verbindungen im Holzbau sind, ohne Einfluss auf die
Tragstruktur zunehmen, schwer rückbaubar, im Fall von Beton ist dies sogar gänzlich
unmöglich. Aktuell arbeitet die Forschung an einer Vielzahl an Projekten, um Verbindungen
rückbaubar und gleichzeitig leistungsfähig zu machen.

Auf der anderen Seite lebt die Idee des down-stream re-use nach dem Motto „früher an der
später denken“. Hierbei soll die Planung eine Umnutzung des Bauwerks in einem nächsten
Lebenszyklus gewährleisten. Ein schönes Beispiel bietet die Stadt Luxemburg. Die Stadt
versucht, den innerstädtischen Individualverkehr zu minimieren. Hierfür wurden in wenigen
Jahrzehnten am Stadtrand Parkhäuser errichtet. Ferner ist in Luxemburg-Stadt der ÖPNV
kostenlos. Durch einen, für europäische Verhältnisse, rasanten Bevölkerungsanstieg stehen
diese Parkhäuser nun im erweiterten Stadtzentrum und sind de facto nutzlos geworden. Durch
gute und visionäre Planung wurde jedoch schon vor dem Bau eine spätere Umnutzung avisiert.
Heute sind diese Parkhäuser Büros, die Dank intelligenten Planung keinerlei Einschränkung in
ihrer Nutzbarkeit haben.

Letztlich führen bekanntlich viele Wege nach Rom. Da in der Tendenz hohe statische
Ausnutzungsgrade (Strategie 1) eine Umnutzung (Strategie 2) schwierig machen könnten, gilt
es für jedes Bauvorhaben eine „beste“ Strategie zu erarbeiten. Gleichwohl kann festgehalten
werden, dass wir als Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entlang der gesamten
Prozesskette, von Primärenergiegewinnung bis zur Umnutzung von Altbestand, auf gute
Ingenieure angewiesen sind. Die Herausforderungen sind groß, aber bei Weitem nicht unlösbar.

 

Literatur
Assuncāo, P., Boland, B., Burns, T., D’Avolio, E., Graham, A., Imhorst, F., Koester, I., Kühl,
C., Sullivan, R., Ulanov, A. (2022) Net-zero Steel in Construction: The Way Forward.
NewYork: McKinsey&Company.
Cramer, J. (2023) Challenges in implementing sustainable construction – The Dutch Building
Agreement Steel as an example.Steel Construction 16, No. 3, pp. 139–143.
Environmental Protection Agency. (2023) EU Emissions Trading System.
https://www.epa.ie/our-services/licensing/climate-change/eu-emissions-trading-system-/
Fivet, C., & Brütting, J. (2020). Nothing is lost, nothing is created, everything is reused:
structural design for a circular economy. The Structural Engineer, 98(1), 74-81.
Hasanbeigi, A., Price, L., & Lin, E. (2012). Emerging energy-efficiency and CO2 emissionreduction
technologies for cement and concrete production: A technical review. Renewable and
Sustainable Energy Reviews, 16(8), 6220-6238.
United Nations Environment Programme (2022). 2022 Global Status Report for Buildings and
Construction: Towards a Zero‐emission, Efficient and Resilient Buildings and Construction
Sector. Nairobi.
1Bildnachweis Quelle (Zugriff 02.12.23, 16:34): https://concular.de/circular-economy-in-derbaubranche/

 

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