Löst autonomes Fahren die Selbstüberschätzung?

Dieser Blogpost soll sich beschäftigen mit der Forschungsfrage „Kann autonomes Fahren eine Lösung für die negativen Konsequenzen - verursacht durch Selbstüberschätzung - der eigenen Fahrkünste darstellen?“.

Sommersemester 2023: Simone Pazeller, Simone Schnellberger

 

Studien belegen, dass die meisten Autofahrer*innen ihre Fahrfähigkeiten als überdurchschnittlich gut im Vergleich zu anderen einstufen wurden. So geben auf internationale Ebene gesehen zwischen 60% und 90% der Autofahrer*innen an überdurchschnittlich gut zu fahren, wobei es rein statistisch nicht möglich ist, dass mehr als 50% den Durchschnitt übertreffen (Stotz & Nitzsch, 2003). Hierbei gilt es kulturelle Unterschiede zu beachten; so überschätze sich 93% der Amerikaner*innen und lediglich 69% der Schwed*innen (Svenson, 1981). Dieses Phänomen kann erklärt werden durch den Above-Average-Effekt bzw. Better than Average Effect, welcher aufgrund von Überoptimismus, verzerrter Selbstwahrnehmung im Vergleich zu anderen und Kontrollillusion dazu führt, dass Menschen sich als besser einschätzen (Wenski, 2022).

Da das Selbstbild nicht den realen Umständen entspricht, kommt es jährlich zu vielen Tausend Verkehrsunfällen auf den Straßen; so sterben in Deutschland durchschnittlich 3300 Menschen pro Jahr bei einem Autounfall. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass 20 % der bei Unfällen getöteten Personen zwischen 18 und 25 Jahre alt sind (Seitfert, 2007). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob autonomes Fahren die Unfallquote senken würde. Diese neue Technologie ist ein hoch relevantes Zukunftsthema, auch wenn die Vorstellung, den heutigen Standard des selbstständigen Fahrens durch autonome Fahrzeuge zu ersetzen, nur 44% der Befragten in einer Studie zu den Präferenzen und Erwartungen potenzieller Nutzer autonomer Fahrzeuge attraktiv finden (Beiker, 2015). Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist das menschliche Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten. Ein Kontrollverlust führt Studien zufolge zu einer Situation des Unbehagens, aus der man so schnell wie möglich entkommen möchte, zum Teil indem das Unterbewusstsein die Kontrolle erzeugt (Stotz & Nitzsch, 2003).

Durch die Studie wurde aufgedeckt, dass deutsche Fahrer*innen der korrekten Funktionsweise dieser Technologie äußerst skeptisch gegenüberstehen und sich eher nicht darauf verlassen würden, auch wenn erwiesenermaßen 90% aller Verkehrsunfälle aufgrund von menschlichen
Fehlern entstehen. Dies wiederum lässt erneut darauf schließen, dass Fahrzeuglenker*innen sich in ihrer Fähigkeit selbst überschätzen (Beiker, 2015) und viele dieser Unfälle durch autonome Mobilität verbeidbar wären. (Winkle, 2015).

Jede neue Erfindung oder Technologie bringt anfänglich Kritikpunkte und Herausforderungen mit sich, welche gelöst werden müssen, so auch autonomes Fahren. Auch wenn das autonome Fahren die Zahl der Verkehrsunfälle reduziert, können sie nicht vollständig vermieden werden. Auffällig ist jedoch, dass Unfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz selbstfahrender Autos stärker in Erinnerung bleiben und Zweifel am Einsatz künstlicher Intelligenz fördern. Dies führt zum Gefühl, man hätte die Situation selbst besser lösen können.

Die Zweifel an künstlicher Intelligenz sind auch auf ethische und rechtliche Herausforderungen zurückzuführen (Lütge et al. 2019). So ist zum Beispiel die Frage der Haftung im Unfallszenario eine ungeklärte Herausforderung, da „nur Individuen mit klar erkennbarer Entscheidungskompetenz in der Lage sind zu haften.“ (Lütge et al., 2019, S. 5) für welche erst eine rechtliche Regelung geschaffen werden muss.

Alles in allem lässt sich aus der zitierten Literatur ableiten, dass einige negative Folgen, die durch Selbstüberschätzung der eigenen Fahrfähigkeiten verursacht werden, durch die Entwicklung autonomer Fahrzeuge deutlich reduziert werden könnten. Hierfür gilt es einige rechtliche und ethische Grundlagen zu schaffen und zu erweitern, um beispielsweise bezüglich Haftungsfragen Klarheit zu schafften. Deutschland geht 2017 mit gutem Beispiel voran und veröffentlichte im Rahmen einer Ethikkommission 20 Richtlinien für die Zulassung autonomer Fahrzeuge. Diesen Normen entsprechend ist es nun der Industrie überlassen geeignete Forschung und Entwicklung in die Wege zu leiten (Geisslinger et al, 2021). Ebenso ist Aufklärung in der Gesellschaft notwendig, um ein Umdenken zu schaffen und mehr Vertrauen für die neue Technologie aufzubauen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass autonomes Fahren über Kurz oder Lang ein präsentes und viel diskutiertes Thema sein wird, da es erhebliches Potenzial für die Verbesserung der Verkehrssicherheit und Effizienz birgt.

 

Literaturverzeichnis

Beiker, S. A. (2015). Einführungsszenarien für höhergradig automatisierte Straßenfahrzeuge. Autonomes Fahren: Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte, 197-217.

Lütge, C., Kriebitz, A., & Max, R. (2019). Ethische und rechtliche Herausforderungen des autonomen Fahrens. Philosophisches Handbuch Künstliche Intelligenz, 1-18.

Seifert, A. (2007). Gefährlichkeitseinschätzung von Autofahrern, Motorradfahrern und Radfahrern: psychometrische Modellierung der Prognose durch verschiedene Gefahrenaspekte und ihr Beitrag zur Klärung von Unterschieden zwischen jungen und nicht-jungen Verkehrsteilnehmern (Vol. 10). LIT Verlag Münster.

Stotz, O., & Nitzsch, R. V. (2003). Warum sich Analysten überschätzen ¼ Einfluss des Kontrollgefühls auf die Selbstüberschätzung. Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 15(2), 106-113.

Svenson, O. (1981). Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers? Acta Psychol. 47, 143-148. Winkle, T. (2015). Einführungsszenarien für höhergradig automatisierte Straßenfahrzeuge. Autonomes Fahren: Sicherheitspotenzial automatisierter Fahrzeuge: Erkenntnisse aus der Unfallforschung, 352-374.

Wenski, G. (2022). Selbstüberschätzung. In Das kleine Handbuch kognitiver Irrtümer: Denkfehler vvermeiden–mit Psychologie & Verhaltensökonomik (pp. 81-92). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

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