Heini Staudinger

Charismatic Entrainment: Wie Markenführer und Verbraucher gemeinsam charismatische Autorität auf dem Markt schaffen

Der Artikel "Charismatic Entrainment: How Brand Leaders and Consumers Co-Create Charismatic Authority in the Marketplace" von Verena E. Wieser, Marius K. Luedicke und Andrea Hemetsberger wurde im Journal of Consumer Research publiziert. Im folgenden Interview mit Frau Wieser und Frau Hemetsberger erfahren Sie mehr über charismatische Führung und ihren Effekt am Markt.

Sie schreiben in Ihrem Artikel über charismatisches Leadership in Markenunternehmen. Was macht dieses Thema so relevant für den Erfolg von Marken?

Wieser: Das Thema Führung per se ist ein wichtiges in Unternehmen, aber es wird häufig auf die strategischen, strukturellen oder finanziellen Themen reduziert. Wenn es einmal um emotionale und charismatische Führung geht, wird damit hauptsächlich assoziiert, dass damit Mitarbeiter:innen gebunden werden. Sprich, dass diese charismatische Führung nach innen wirkt. In unserer Forschung weisen wir nun daraufhin, dass die Strahlkraft von charismatischen Führungskräften viel weiter geht, auch in Richtung Konsument:innen, in Richtung anderer Markteilnehmer:innen und dass dadurch diese Persönlichkeiten, die in den Unternehmen in der ersten Reihe stehen, auch ein großer Erfolgsfaktor für Marken sind. 

Hemetsberger: In der Literatur gibt es verschiedene Markensichtweisen, und eine dieser Sichtweisen geht sehr stark davon aus, dass eine Marke nur, wenn sie nach innen hin stark ist auch nach außen eine Strahlkraft entwickeln kann. Deswegen ist diese Thematik aus meiner Sicht so interessant, weil auf der einen Seite diese charismatische Führung natürlich nach innen wirkt, auf Mitarbeiter:innen, aber auch auf vielfache Weise durch Kommunikation am Markt nach außen wirkt und so die Marke in einem öffentlichen Diskurs spannend hält. Diese Beobachtung ist unter anderem der Beitrag dieses Artikels.

 

Sie untersuchen charismatic brand leadership am Beispiel Heini Staudinger und „Waldviertler“. Was hat Sie an Heini Staudinger und seinem Unternehmen so fasziniert?

Wieser„Waldviertler“ ist eine spannende Marke. Eine ihrer Produktionen ist ein qualitativ hochwertiger Lederschuh, der zum Teil in Österreich produziert wird, und viele Konsument:innen verbinden damit Assoziationen wie Langlebigkeit, Nachhaltigkeit oder einen Österreichbezug. An sich schon ein interessantes Produkt, aber was für uns Konsum-Kultur-Forscher:innen im Bereich der Wirtschaftswissenschaften auch sehr spannend ist, sind diese sozialen Dynamiken, die so eine Marke auch auslöst. Da gibt es bei dem Unternehmen „Waldviertler“ sehr viele. Einerseits diese sehr starke Fangemeinschaft. Viele Kund:innen, die sagen, dass sie nur diesen Schuh tragen und keinen anderen und dass sie auch bereit sind, andere Konsument:innen von diesem Produkt zu überzeugen. Auf der anderen Seite gibt es diese Führungskraft Heini Staudinger, der mit diesen Dingen sehr eng verbunden ist. Heini zeichnet sich dadurch aus, dass er dafür steht, Regeln zu brechen, Regeln nicht als gegeben zu sehen, Regeln in Frage zu stellen, Personen zum Nachdenken zu bringen, aber auch Leute begeistern zu können. Das haben wir vor allem in diesem Fall beobachtet, in dem Heini Staudinger sich gegen die Finanzmarktaufsicht auflehnt und versucht sein eigenes Finanzierungsprogramm rechtlich zu legitimieren. Dabei hat er einen starken öffentlichen Diskurs ausgelöst. Das hat uns an diesem Fall fasziniert und motiviert näher hinzusehen, welche charismatischen Kräfte dort wirken.

Hemetsberger: Eine der Faszinationen, die wir schon vor der Entstehung dieses Artikels bemerkt haben ist, dass er eine sehr polarisierende Persönlichkeit ist; im Grunde genommen ist er ein „renitenter Rotzbub“. Die Frage war für uns, wie kann es sein, dass jemand so zu sagen am Markt so reüssieren kann und Konsument:innen als Fans begeistern kann. Die einen lieben ihn. Die anderen mögen ihn gar nicht. Manche stehen dazwischen. Da stellt sich die Frage, wie das eine Marke erfolgreich machen kann. Ich glaube, das war dann der Anlass für uns, genauer hinzusehen und zu hinterfragen, ob das etwas mit der Persönlichkeit zu tun hat. Denn es gibt mehrere renitente Rotzbuben. Aber was macht letztendlich den Erfolg aus? Den Unterschied macht die Art und Weise wie er am Markt auftritt und diese „Bühne“ ausfüllt, und wie auf dieser Bühne agiert wird - auf dieser Bühne des Marktes, auf der Bühne der Marken. Das war das Faszinosum bei Heini Staudinger.

 

Wie lässt sich das von Ihnen untersuchte Unternehmen denn mit Elon Musk oder Anna Wintour von Vogue vergleichen? Ist Heini Staudinger mit einem österreichischen, regionalen Unternehmen nicht ein gänzlich anderer Fall?

Wieser: Auf den ersten Blick kann man schon sagen, dass es sich bei „Waldviertler“ in einem vergleichsweise kleineren Rahmen abspielt. Man kann Heini Staudinger zum Beispiel in Schrems persönlich antreffen. Die Kunden sind hauptsächlich im deutschsprachigen Raum angesiedelt oder die Investorenschar ist eine kleinere. Es sind ein paar hundert Kleinanleger, die sich hier um die Marke versammeln. Aber wir haben diese Übung auch gemacht, haben uns größere Unternehmen angesehen und unser Modell mit anderen Fällen verglichen. Wenn man das Beispiel von Elon Musk nimmt, kann man erkennen, dass auch bei globalen Marken ähnliche Dynamiken, wahrscheinlich in etwas anderer Ausprägung, zu entdecken sind. Elon Musk polarisiert auch sehr stark, er übernimmt ein großes Risiko und das fasziniert dann Konsument:innen und regt sie an, darauf zu reagieren. Die Aktivitäten von Elon Musk sind offensichtlicher, die von den Konsument:innen sind vielleicht weniger offensichtlich, die kann man aber durchaus auch erkennen. In diesem Fall entscheiden sich Konsument:innen gegen die Ideen von Elon Musk, lehnen sich gegen diese Visionen und Projekte auf, und dadurch entsteht dieser Diskurs. Wo es dann darum geht, hat diese Person Recht, was hat es mit dieser Person auf sich. Deshalb würde ich sagen, ist die Vergleichbarkeit von Elon Musk zu Heini Staudinger gegeben.

Hemetsberger: Ich würde die Unternehmen als solche nicht miteinander vergleichen, aber zumindest die Persönlichkeiten, die Art das Risiko zu nehmen und am Markt zu agieren, diese antagonistischen Wirkmechanismen auszunützen, die sich am Markt zeigen, auch im Fall von Heini Staudinger. Sprich, dieses Pro- und Contra-Spiel, das eigentlich diese Unternehmen und Persönlichkeiten immer im Gespräch hält und quasi sichtbar hält, dieser Wirkmechanismus ist in beiden Fällen gegeben.

 

Ihre Kernaussage ist ja die, dass Charisma nicht (nur) von Personen ausgeht, also keinen Charakterzug darstellt, sondern im öffentlichen Diskurs am Markt entsteht bzw. von brand leaders und anderen Stakeholdern ‚befeuert‘ wird. Wie genau funktioniert dieser Prozess, den Sie als ‚charismatic entrainment‘ bezeichnen? Können Sie uns das genau beschreiben?

Hemetsberger: Das spannendste an dieser Sichtweise ist, dass es eine Polarisierung am Markt braucht, die auf irgendwelche Gegenreaktionen stößt. Man kann sehr viel polarisieren am Markt, aber es braucht ein Momentum, ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Situation oder einen fruchtbaren Boden, auf das ein Thema stößt. Bei Heini Staudinger war das zu diesem Zeitpunkt sehr gut gegeben, in dem er sich aufgelehnt hat gegen Bankenstrukturen, gegen diese kapitalistischen Machtstrukturen, die zu dieser Zeit aufgebrochen sind; dass dieses neo-liberale System nicht hundertprozentig funktioniert und nicht in jeder Situation. Da hat er einen wunden Punkt getroffen. Damit hat er provozieren können. Das spannende am Markt ist, in ganz groben Zügen erklärt, dass es dann zu Gegnerschaften kommt, zu öffentlichen Diskursen, die dann diese Gegenpole aufmachen und die Konsument:innen stehen dazwischen und schlagen sich auf die eine und manchmal auf die andere Seite. Aber es braucht dieses Gegenspiel von Kritik, die dann ein charismatischer Führer dazu benützt, um diese Thematiken wieder neu aufzuheizen, wieder neu zu provozieren, wieder neu zu polarisieren. Nur durch dieses Spiel und Gegenspiel am Markt, das jedes Mal, wenn es eine neue Äußerung gibt den charismatischen Führer herausfordert, und sagt, „Wer soll dir denn das glauben, dass du der Retter der Welt sein willst?“ funktioniert diese Zuschreibung einer charismatischen Persönlichkeit, die sich so viel getraut, nämlich, zum Beispiel, einer Finanzmarktaufsicht zu widersprechen. Dieser Wirkmechanismus war damals bei diesem Fall Heini Staudinger sehr gut zu beobachten.

Wieser: Einerseits spricht man von diesen sozio-historischen Gegebenheiten, die es braucht, damit sich eine Führungskraft am Markt Gehör verschaffen kann und in einer Krisensituation in einen öffentlichen Diskurs eintreten kann. Aber es braucht auch diese Interaktion zwischen verschiedenen Marktteilnehmer:innen. Eine Komponente, die dann noch hinzukommt, sind bestimmte Ressourcen, die notwendig sind, damit dieser Diskurs über die charismatische Führungskraft überhaupt am Laufen gehalten oder vertieft werden kann, wie zum Beispiel die sozialen Medien, die Grundemotionalität am Markt zu gewissen Themen am Markt, die für diese Diskurse herangezogen werden. Als dritte Ressource haben wir noch die Markenmanifestationen benannt, damit man über die Marke, über die Schuhe, über die Gebäude, die finanziert wurden, das alternative Finanzierungsmodell, das Heini Staudinger vorgeschlagen hat, sprechen kann. Dass die Fans von Staudinger sich auf diese manifesten Dinge stützen und darüber unterhalten können, und sagen können, hier sieht man wirklich was passiert. Ich unterstütze einfach, was manifest zu sehen ist usw. Das ist es, was wir im Modell noch hinzugefügt haben – die Ressourcen, die den Prozess der Charismatisierung anfeuern. Die Relevanz der Führungspersönlichkeit ist da, aber wir überhöhen die Rolle der Persönlichkeit nicht. Es kann eine Führungskraft so einen Prozess der Charismatisierung anstoßen, aber es braucht dann alle diese Elemente (d.h. sozio-historischen Umstände, Diskurse und Ressourcen), um diesen Prozess der Charismatisierung weiterzutreiben, zu vertiefen und zu entfachen.

 

Sie erwähnen in dem Artikel, dass ‚charismatic authority‘ fragil ist und dass der Anführer seinen Status verlieren kann. In solch einem Fall, ist es möglich, erneut ‚charismatic authority‘ zu erlangen?

Wieser: Da kann man auf die grundlegenden, theoretischen Manifeste von charismatischer Autorität zurückgreifen. Max Weber ist der, der diese Grundlage gelegt hat im sozialwissenschaftlichen Denken über Charisma und Weber würde theoretisieren, dass es ein Phänomen ist, das sehr kurzzeitig ist. Das heißt, diese charismatische Autorität kann nur kurzzeitig bestehen und würde zwangsläufig von anderen Autoritätsformen abgelöst werden. Aber es gibt auch einen Diskurs in der Literatur, wo ein paar wenige empirische Studien darauf hinweisen, dass charismatische Autorität durchaus erneuert werden kann, dass sie auch da ist, um zu bleiben, zumindest für eine gewisse Zeit und es ist quasi auch ein Spannungsfeld im akademischen Diskurs, wie das genau zu erklären ist, unter welchen Umständen bleibt Charisma bestehen und wann nicht. Wir aus unserem Modell heraus können durchaus sagen, dass es spannend ist, dass Konsument:innen charismatische Autorität von Führungskräften aufrechterhalten oder wiederbeleben können. Das ist zum Beispiel ersichtlich, wenn wir an Steve Jobs denken, an diese strahlende Führungskraft von Apple, die nach dem Tod auch noch weiterlebt, weil einfach noch darüber gesprochen wird, weil Konsument:innen und Anhängerschaften noch da sind, die hier auch noch einen Charismatisierungsprozess anfeuern. Hier glaube ich, gibt es noch vieles in verschiedenen Richtungen zu erforschen.

 

Welche Schattenseiten von ‚charismatic authority‘ sehen Sie? Und welche Gefahren sehen Sie auch für Konsument:innen und andere Stakeholder, vor allem für Investor:innen, die der Marke vertrauen und in sie einzahlen?

Hemetsberger: Die größte Gefahr ist, dass sie letztendlich ihre Investitionen verlieren, denn charismatische Autorität garantiert natürlich nicht, dass es mit der Marke wieder bergab gehen kann. Das ist das eine. Natürlich besteht auch immer wieder die Gefahr sich einer charismatischen Persönlichkeit anzuhängen und letztendlich enttäuscht zu werden. Das unternehmerische Risiko, das zum Beispiel eingegangen wird, kann sich zum Positiven wenden, muss aber nicht unbedingt aufgehen. Damit sind die Konsument:innen natürlich so zu sagen auch als Unternehmer:innen gefragt, also jeder Konsument und jede Konsumentin die Investor:in wird, nimmt ein unternehmerisches Risiko auf sich. Insofern liegt das dann auch in der Verantwortung einer Führungspersönlichkeit. Aber was wir auch gesehen haben ist, dass der Marktdiskurs so zu sagen auch als Art Korrektiv insofern wirkt, weil in diesem Marktdiskurs auch die Gegenpole und die Gegenseite aufgemacht werden, also einen demokratischen Prozess zulässt. Das wäre zum Beispiel im Fall des dritten Reiches ein anderer Prozess gewesen. Das heißt, in dem Fall wo es keine offene demokratische Struktur und keine Gesprächskultur gibt, wo es keinen öffentlichen Diskurs gibt oder wo der Diskurs sehr stark dominiert wird, sind die Gefahren natürlich sehr, sehr groß.

Wieser: Unser Fall steht jetzt nicht per se für dieses Thema. Natürlich, in so einer Literaturrecherche und auch im Fall selbst, sind wir auf diese Schattenseiten aufmerksam geworden und machen auch drauf aufmerksam. Dieses Thema gibt es auf verschiedenen Ebenen. Einmal auf der individuellen Ebene, wo es sein kann, dass man eine Risikoblindheit der Konsument:innen feststellen kann. Das bedeutet, dass man zu stark an eine Führungsperson glaubt und dass dann nicht mehr hinterfragt wird. Dann gibt es aber auch die Schattenseite für die Führungspersönlichkeit selbst, die unter dem charismatischen Führungsprozess leiden kann. Indem sehr viel Vertrauen gesetzt und auch sehr viel Druck dann aufgebaut wird und auch diese Risikobereitschaft, die wir hier als zentral sehen für den Charismatisierungsprozess, auch für eine Führungspersönlichkeit eine Schwierigkeit sein kann. Nicht zuletzt ist es dann so, dass wenn man diese charismatische Autorität feststellen kann, ist dann immer die Frage zu welchem Zweck wird sie dann eingesetzt, wird sie rein zum Selbstzweck des Unternehmens zum Beispiel eingesetzt, oder steckt ein größeres nachhaltiges Ziel dahinter und ein verantwortungsvoller Umgang mit Autorität. Das ist natürlich auch ein großes Thema, das im öffentlichen Diskurs debattiert werden muss.

 

Welches sind Ihres Erachtens die spannendsten, neuesten Eindrücke? Gab es ein oder mehrere unerwartete Erkenntnisse?

Hemetsberger: Das Unerwartetste und was vielleicht auch den uns wichtigsten Beitrag darstellt, ist, wie wichtig auch dieser Diskurs und diese Gegnerschaften oder eine Anti-These zum Agieren einer charismatischen Führungspersönlichkeit ist, um so eine charismatische Autorität auch am Markt zu rechtfertigen. Ganz wichtig ist, dass es Herausforderungen am Markt gibt, die eine charismatische Führungspersönlichkeit immer wieder dazu zwingen, Stellung zu nehmen, neues Risiko aufzunehmen und zu sagen, ja, ich stehe zu meiner Meinung und ich agiere auch dementsprechend. Das macht mich auf der anderen Seite wieder sehr froh darüber, dass diese Prozesse so laufen, ansonsten wären wir von Führungspersönlichkeiten eigentlich sehr gut manipulierbar, speziell als Konsument:innen und das ist eigentlich etwas, was aus meiner Sicht am Markt nicht wirklich wünschenswert ist. 

Wieser: Ich würde auch sagen, dass es schon sehr spannend ist, wie wichtig Persönlichkeiten für Marken sind und wie Konsument:innen wiederum auch wichtig sind für diese Persönlichkeiten, dass sie quasi auch diese Relevanz erlangen. Die zwei Dinge würde ich für mich als die zwei Kerndinge sehen, die einfach dann überraschend waren. Dass Personen wirklich noch immer so wichtig sind für eine Marke, dass Persönlichkeiten wie Führungskräfte auch sehr wichtig sind für die Konsumentenschaft und umgekehrt genau auch dieses Wechselspiel was Konsument:innen auch beitragen können, um die Relevanz einer Marke und einer Persönlichkeit herauszuheben.

 

Glauben Sie, dass es im digitalen Zeitalter leichter oder schwerer ist ‚charismatic authority‘ aufzubauen?

Wieser: Das ist eine sehr spannende Frage und ist auch differenziert zu betrachten. Aus unserer Forschung können wir bestätigen, dass soziale Medien und Medien an sich und vor allem die sozialen, interaktiven Medien eine starke Ressource sind, um eben diesen charismatischen Prozess anzutreiben. Und zwar aus zwei Gründen: einerseits kann diese Verbindung zwischen einer charismatischen Führungskraft und seiner Anhängerschafft einfach vertieft werden, indem man sich wirklich in diesen online Medien verstärkt treffen, auseinandersetzen kann, aber durchaus eine eigene Welt aufbauen kann im Sinne von einer gemeinschaftlichen Sichtweise auf die Dinge oder eine gemeinschaftliche Risikobereitschaft/-wahrnehmung, die wir ja auch erklären. Wir erklären ja sehr viel von diesem charismatischen Prozess, über das Thema wie wird eine gewisse Risikowahrnehmung gemeinsam aufgebaut. Das ist das eine. Andererseits können aber auch gerade diese Kritiker von charismatischen Führungskräften ihre Kritik breiter streuen. Es kann quasi dieser Prozess breiter gestreut werden, weil soziale Medien auch vielfältig sind und wir haben Zeitungsforen untersucht genauso wie Facebook Gruppen, wir haben aber auch YouTube Vorträge von Heini Staudinger untersucht, wo es dann auch möglich ist über quasi Gestik/Mimik viel zu machen. Er ist berühmt für seine Reden. Für seine flammenden Reden, wo er sehr viele Emotionen ausdrückt, diese aber auch über die Körperlichkeit zum Beispiel ausdrückt. Das ist echt, was viele soziale Medien jetzt auch schon live berichten können. Und wir würden sagen, dass das eine große Ressource ist, um diesen charismatischen Prozess voran zu bringen. Allerdings müssen wir auch sagen, wir waren live vor Ort, wir haben beobachtet wie Menschen Heini Staudinger treffen, und wir können auch bestätigen, dass diese direkte Interaktion gerade für Charisma auch eine sehr große Relevanz hat. Weil hier einfach auch Emotionen in der Interaktion verstärkt werden, weil hier der Austausch dann direkt stattfinden kann und deshalb müssen wir auch sagen, dass diese Komponente auch nach wie vor sehr, sehr relevant ist für diesen Prozess der Charismatisierung.

 

Würden Sie sagen, dass auch Donald Trump oder Herbert Kickl (oder anderer österreichische Politiker) ‚charismatic authority‘ in der Öffentlichkeit erlangt haben?

Hemetsberger: Auf der einen Seite kann man politische Persönlichkeiten als Marke betrachten und alles was sie tun und was sich manifestiert so zu sagen als Markeninhalt betrachten. So gesehen gibt es keinen allzu großen Unterschied. Aber gerade im Fall von Donald Trump ist es natürlich auch so, dass er selbst Unternehmer ist und auch sehr gut weiß, wie man als Unternehmerpersönlichkeit am Markt agieren kann. Das, was am Vergleichbarsten ist, ist die Art und Weise wie er mit Marktkommunikation spielt und umgeht und vor allen Dingen in der Provokation sehr, sehr starke Anhängerschaften und Gegnerschaften erzeugt und damit dieses Spiel aufstachelt. Und dass politische Persönlichkeiten natürlich sozio-historische Gegebenheiten und Problematiken in der Gesellschaft geradeaus ansprechen, das spricht eigentlich eher dafür, zu sagen, dass dieser charismatische Prozess auch bei politischen Marken wie politischen Führungspersönlichkeiten oder Parteien auch in der Art und Weise wirksam wird, je nachdem wie gut sie die verschiedenen Ressourcen nutzen können. Gerade im Fall von Donald Trump ist eine der Ressourcen, die er perfekt gespielt hat, die sozialen Medien. Insofern habe ich das Gefühl, dass sich unser Modell sogar sehr, sehr gut darauf umlegen lässt und diese Mechanismen sehr gut erklärt.

 

Wie geht es in Ihrer Forschung rund um ‚charismatic authority’ weiter?

Wieser: Ein spannender Aspekt innerhalb der charismatischen Markenführung ist diese Emotionalität, oder wie sich Emotionen am Markt rund um charismatische Führungspersönlichkeiten aufschaukeln. Dann schauen wir uns auch noch zusätzliche Fälle an, die vielleicht etwas anders gelagert sind. Zum Beispiel, kann ich den Fall von Greta Thunberg erwähnen, eine junge Frau, eine Schülerin die einfach zur charismatischen Autorität avanciert ist und wo sich natürlich auch die Frage stellt, wie ist das passiert. Wir stellen  auch hier  die These in den Raum, dass es nicht nur ihre, sehr interessante Persönlichkeit ist und ihre extreme Risikobereitschaft, ihre Taten, die hier viel Aufmerksamkeit erzielen, sondern die Taten und die Reaktionen anderer, und die sozio-kulturellen Hintergründe, die Greta eben auch so zu einer großen Ikone der Nachhaltigkeit gemacht haben. Das ist, glaube ich, ein Fall mit dem wir uns noch länger beschäftigen werden, weil einfach hier die großen Emotionen sichtbar werden.

 

Wie ist es denn zu ihrer Zusammenarbeit mit Prof. Luedicke an der Bayes Business School, City Unitersity of London gekommen?

Wieser: Marius Luedicke ist ein sehr erfahrener Forscher im Bereich der Konsum- und Kulturforschung, der hier mit uns gemeinsam dieses Projekt entwickelt hat. Gemeinsam mit Marius haben wir an diesem Artikel über 6 Jahre hinweg gearbeitet und am Ende im Journal von Consumer Research publiziert. Dieses Forschungsprojekt oder die Zusammenarbeit mit Marius Luedicke ist damals entstanden als ich noch Diplomandin war. Ich habe da angefangen im Forschungsprojekt mitzuarbeiten und während meines Doktorrats konnte ich einige gemeinsame Projekte mit Marius Luedicke und mit Andrea gemeinsam durchführen. Genau dieses konkrete Forschungsprojekt ist aus meiner Dissertation entstanden. Ich glaube es ist in dem Sinne auch ein gutes Beispiel, wie eine Nachwuchswissenschaftlerin sozusagen in Zusammenarbeit mit ihren Betreuer:innen und Kolleg:innen ein Projekt entwickelt. Ich habe auch Unterstützung gehabt von einigen Student:innen in diesem Projekt, die Gespräche geführt haben, die Daten erhoben haben, die mir geholfen haben Daten auszuwerten und auszuarbeiten, das möchte ich auch nicht unerwähnt lassen. Dass hier eben auch bei so einem großen Forschungsprojekt sehr viele Menschen beitragen und mitarbeiten. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die exzellenten Reviewer des JCR, dieser Austausch sozusagen auf diesem Niveau, ist natürlich auch etwas gewesen, was uns über die Jahre hinweg vorangebracht hat.

Hemetsberger: Es fußt auf einer sehr langen Zusammenarbeit. Ich kann mich erinnern: 2006 hat mir der Marius ein Email geschrieben, damals war er selbst noch PhD, ob es bei uns einen Job gäbe an der Universität Innsbruck. Er war also ein lieber Kollege von uns über Jahre hinweg. Er hat auch zu Anfang das Brand Research Laboratory geführt. Aufgrund seiner Tätigkeit, aufgrund seiner Entwicklung und auch im Zusammenhang mit vielen internationalen Forscher:innen - wir sind da sehr international aufgestellt in diesem Bereich - hat er sehr, sehr viel auf der einen Seite einbringen können, schon hier in Innsbruck und das hat ihn dann auch dort hingebracht, wo er jetzt steht, an der Bayes Business School an der City University in London. Wir freuen uns, dass wir die Zusammenarbeit mit ihm weiterführen können. Ich glaube, das gehört zu unserem Forscher:innen-Leben mit dazu und auch zur Internationalisierung unserer Forschungslandschaft. Ohne diese Unterstützung der internationalen Forschungscommunity würden wir in dieser Art und Weise nicht forschen können.

 

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