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Beziehung – Begehren – Gebet. Warum ein „bisserl fromm sein“ vielleicht nicht ganz abwegig ist…

Autor:Quast-Neulinger Michaela
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-10-27

Inhalt

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Lesungen: Röm 12,9-21 / Mt 25,35-46

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Wenn wir heute der Seligsprechung Franz Jägerstätters vor 15 Jahren gedenken, dann stehen wir an einer Schwelle. Manche von uns haben Franziska gekannt, ganz wenige noch Erinnerungen an Franz. Franziska und Franz werden von Zeitgenossen, zu Erinnerten, zu Figuren des Glaubens. Ich selbst kannte sie nicht, nur das Zeugnis anderer, die Bücher und Schriften. 

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An dieser Schwelle müssen wir uns besonders bewusst sein: Franz und Franziska waren ein lebendiges Paar, gründeten Familie und waren Teil von Familie. Aber durch ihr Leben, ihre Worte, ihr Tun wurden sie zu mehr als das. Wir müssen das Private, das Ihrige achten und zugleich aufmerksam sein für das, was in ihrem Denken, Reden und Tun uns alle bewegt, anregt, vielleicht auch provoziert.

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„Haltet euch nicht selbst für weise…“, mahnt Paulus in der heutigen Lesung. In diesem Sinne will ich nun nicht weise sein, sondern Weggedanken teilen, zum gemeinsamen Nachdenken einladen.

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„Ein bisserl fromm waren wir auch…“, so lautet der Titel eines vor wenigen Jahren erschienen Buches über Ordensschwestern in Österreich. Auch über Franz und Franziska heißt es, dass sie aus einer tiefen Frömmigkeit lebten. Ein Begriff, der uns heute so fremd, so altmodisch erscheint. „Fromm“, wer ist das schon (gern)?

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Aber ich denke, gerade in unseren Tagen, in denen der Name Gottes wieder missbraucht wird für Gewalt und Tod, in denen wir uns ohnmächtig fühlen angesichts riesiger Herausforderungen und Bedrohungen, kann ein „bisserl fromm sein“ wichtig sein und uns Wege zum Handeln ermöglichen. Drei Momente sind dabei wichtig: Beziehung – Begehren – Gebet. Alle drei finden wir in den heutigen Lesungen und im Lebenszeugnis von Franz und Franziska.

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Beziehung: Liebe ohne Heuchelei – universal

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Keiner lebt für sich allein. Jede und jeder von uns ist eingebettet in ein Netzwerk von Beziehungen und auch Abhängigkeiten. Wir Menschen sind Nesthocker, wir brauchen Fürsorge, das liebevolle Wort, die zarte Geste, die Solidarität in guten und in schlechten Zeiten, in Fröhlichkeit und Trauer.

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Als Menschen sind wir aufgespannt in ein Dreieck der Beziehung von Gott – Mitmensch – Natur. Als Bauern waren sich Franz und Franziska dieser Beziehungen besonders bewusst. Ich muss gut zu meinen Tieren sein, als „Tierwohl“ wird es heute groß beworben. Sie sind meine Mitgeschöpfe. Ich muss gut zu meinem Nächsten sein, er ist Mensch wie ich. Geschaffen, verwiesen auf jenen, der mich Tag für Tag erhält und trägt.

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Zu „Universaler Geschwisterlichkeit“ mahnen Papst Franziskus und Großimam Al-Tayyeb gemeinsam. Die Liebe zu Gott, Mensch und Natur sind nicht voneinander zu trennen. Eine „Liebe ohne Heuchelei“ spielt nicht gegeneinander aus, was zusammengehört. Der Dienst an Gott und der Dienst am Leben in seiner Fülle sind untrennbar.

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Aber was geschieht, wenn dieser Ruf zum Leben in tiefe Konflikte führt? Wenn die Abscheu vor dem Bösen, das Festhalten am Guten nicht mehr bloße Theorie ist, sondern radikaler, lebensbedrohlicher Ernst wird? Wie bei Franz und Franziska?

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Begehren: Vom Geist entflammt

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Paulus kennt diese Erfahrung, das Getrieben- und Zerrissensein. Wohin soll ich mich wenden? Seine Aufforderung zum Leben aus dem Geist im Römerbrief ist hoch emotional. Verabscheut! Lasst nicht nach! Gebt euch dem Guten hin!  

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Menschen wie Franz und Franziska sind erfüllt vom Begehren, einer tiefen Sehnsucht nach…? Ja, wonach eigentlich? „Vom Geist entflammet“, heißt nicht aus der Welt, sondern in die Welt geworfen. Das Begehren beider zueinander und das Begehren, sich auf die Spur Gottes zu begeben, sind aus dem einen Geist. Von diesem Geist entflammt zu sein befreit nicht vor Erschütterungen, Tiefen, Versuchungen. Es braucht immer auch die „Unterscheidung der Geister“, die sorgsame Suche nach dem Guten, geleitet von der Liebe als Maßstab allen Tuns.

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Wie haben Franz und Franziska nach einer Entscheidung gerungen? Ich lese in ihren Zeugnissen, es ist das Gespräch miteinander, das Vertrauen in Wegbegleiter, die meditierende, kritische Auseinandersetzung mit den Quellen des Glaubens und manchmal auch das erschütternde Erkennen, dass ein Irrweg droht, dass einer auf den falschen Geist setzt. Nein, die Sehnsucht nach dem Guten, das Brennen für ein Leben aus der Liebe macht es uns nicht leicht.

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Gebet: „Ein bisserl fromm…“ oder mehr?

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„Gesten des Begehrens“, so nennt die Fundamentaltheologin Isabella Bruckner das Gebet.[1] In Zeiten der Gottesverdunkelung, des Sturms, der Erschütterung ist das Gebet die Suche, die Sehnsucht, nach dem, was fehlt. „Beharrlich im Gebet“, das scheint mir eine Konstante im Leben von Franz und Franziska. Eine Säule in allen Stürmen, eine Hilfe in der Unterscheidung der Geister. Despektierlich reden wir heute oft vom „fromm sein“. Wer traut sich denn noch „fromm“ zu sein? In Demut, ohne Pomp und Gloria? Einfach so? Und ja, nicht alles, was sich „fromm“ nennt, ist es auch. Je lauter dies einer vor sich herträgt, umso vorsichtiger gilt es zu sein. Bei Franz und Franziska beobachten wir diese Vorsicht, das permanente Suchen nach Orientierung – auch im Gebet. Was ist das eigentlich?

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Gebet ist die Suche nach Beziehung, ein Gespräch, das verändert, das Vertrauen darauf, dass hinter allen Verstrickungen des Lebens einer ist, der uns Orientierung anbietet. Der uns einlädt, aus Beziehung zu ihm zu handeln. Das Böse durch das Gute zu besiegen.

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Handeln aus dem Glauben

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„Ein bisserl fromm sein…“, das ist keine harmlose Angelegenheit, sondern die Herausforderung, in der wir heute neu stehen. Tomáš Halík analysiert treffend:

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„Ich sehe zwei starke Tendenzen in unserer Welt. Zum einen besteht ein Interesse an Spiritualität, zum anderen der Wunsch, die religiöse Energie politisch zu nutzen. Eine von der Ethik, insbesondere von der Ethik der Solidarität und der politischen Verantwortung, losgelöste Spiritualität wird zu einer billigen Solidarität. Und die Verwendung des Christentums als politische Ideologie (wie wir sie in Polen, Ungarn und bei den amerikanischen Republikanern sehen) führt zu einem gefährlichen „Katholizismus ohne Christentum“. Die Beziehung zwischen der spirituellen und der politischen Dimension des Glaubens muss neu überdacht werden.“[2]

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Franz und Franziska haben vorgelebt, dass „Frömmigkeit“ keine Privatsache ist, sondern die Wurzel der christlichen Existenz in all ihren Konsequenzen. Keine billige Solidarität, keine politische oder gar militärische Ideologie, sondern die Wurzel, die alles trägt und uns nicht aus der Verantwortung für diese Welt entlässt. So müssen wir uns heute fragen:

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  • Wo fördert mein Denken, Reden und Tun das Gute? Heute und morgen?
  • Wo wirke ich mit am Frieden? Wo mache ich mich vielleicht unbewusst zum Handlanger von Krieg und Gewalt? Wenn ich, wie P. Marte SJ erinnert, etwa weiterhin auf fossile Energie setze, die die Kriegskassen füllt und das Leben spätestens der nächsten Generation zerstört?[3]
  • Halte ich die Anfeindungen, das Lächerlichmachen aus, wenn ich ein Zeichen des Widerstands setze? Wenn ich vielleicht bewusst ein einfaches Leben wähle? Ich denke an das Gelächter über Papst Franziskus, als er in Laudato Si‘ über Pullover schrieb…
  • Wie kann ich in der Liebe bleiben?
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Liebe fordert von uns keine Unterwerfung, kein „fromm sein“, wie es oft missverstanden wird. Liebe ruft uns in Beziehung zu Gott, Mensch und Natur, zu einem Leben in Friede und Freiheit für alle. Das muss unser Kriterium sein. Und wenn wir als lächerlich, schräg oder verrückt dafür gelten. „Ein bisserl fromm“ kann große Kraft entfalten.

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Anmerkungen

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[1] Prof. Dr. Isabella Bruckner (Sant’Anselmo, Rom) erhält für ihre Dissertation „Gesten des Begehrens. Mystik und Gebet im Ausgang von Michel de Certeau“ den Karl-Rahner-Preis 2022. Vgl. https://www.uibk.ac.at/theol/aktuelles-veranstaltungen/2022/26-01-2023-karl-rahner-preis-2022.html (zuletzt: 25.10.2022)

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[2] Wie die Kirche sich verwandelt. Interview mit Tomáš Halík. Online unter: https://www.meinekirchenzeitung.at/niederoesterreich-kirche-bunt/c-menschen-meinungen/wie-die-kirche-sich-verwandelt_a40413 (zuletzt: 24.10.2022)

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[3] Vgl. Marte, Christian, “Explodierende Energiepreise – was tun?“. 17. Oktober 2022. Online unter: https://www.christianmarte.org/2022/10/17/explodierende-energiepreise-was-tun/ (zuletzt: 25.10.2022)

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