Papua
Maike Preissing war mehrere Wochen beim Stamm der Eipo im Hochland Papuas zu Gast und hat in Interviews Daten für ihre Masterarbeit gesammelt.

Vom Hörsaal ...

Studieren ist viel mehr als im Hörsaal zu sitzen, dicke Bücher zu wälzen oder Klausuren und Arbeiten zu schreiben. Studieren bedeutet immer auch, die gelernte Theorie in der Praxis zu erproben.

Praktische Erfahrungen sammeln Studierende an der Universität Innsbruck in allen Phasen ihres Studiums und unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen: in Lehrveranstaltungen im Bachelor, als studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Master oder in ihren Abschlussarbeiten. Vier Studierende erzählen von ihren Praxisprojekten, mit denen sie auch einen wichtigen Beitrag für Universität und Gesellschaft leisten.

... ins Hochland Papuas

„Von der Steinzeit ins Computerzeitalter“ – so lautete der Titel einer Präsentation der Psychologie-Studentin Maike Preissing, mit der eines ihrer bisher größten Abenteuer begonnen hat. Vorgestellt hat sie darin den Stamm der Eipo, die im Hochland der Provinz Papua leben und in nur 45 Jahren die Entwicklung von einem steinzeitlichen hin zu einem nachsteinzeitlichen Lebensstil mit moderner Technik durchlebt haben. Gleichzeitig war es aber auch ein Vortrag über die Forschungsarbeit ihres Professors Dr. Wulf Schiefenhövel. Der Mediziner & Humanethologe unterrichtet seit Jahrzehnten gemeinsam mit Dr. Gerhard Medicus als Gastprofessor an der Universität Innsbruck und hat bereits zahlreiche Aufenthalte beim Stamm der Eipo verbracht. Schon vor der Präsentation hat Maike Preissing gemerkt, dass dieses Thema sie besonders gepackt hat. „Ich war so nervös wie noch nie, dieses Referat vorzubereiten“, sagt die Master-Studentin. Diese Begeisterung erkennt auch Wulf Schiefenhövel und empfiehlt ihr kurzerhand, sich selbst ein Bild vom Leben der Eipo zu machen. Aus der vagen Empfehlung wurde schließlich ein Thema für ihre Masterarbeit: How global is the secular trend? Age at menarche in postneolithic girls lautet der Titel der Arbeit. „Weltweit zeigt der Trend, dass die Menstruation bei jungen Frauen immer früher einsetzt. Professor Schiefenhövel konnte diese Tendenz auch bei den Eipo, die er vor 45 Jahren das erste Mal besuchte, anhand immer jüngerer Mütter beobachten. Dadurch, dass der Stamm lange von der Außenwelt isoliert war, ist der Einfluss von neuen, externen Faktoren dort besonders gut zu untersuchen“, erklärt Preissing deren Vorhaben.

Im Juni des vergangenen Jahres ist die Master-Studentin aufgebrochen: Zwei Monate Exkursion nach Papua. Ausgangspunkt für die Reise ins Hochland war Jayapura, die Hauptstadt der Provinz Papua, Indonesien. Weil sich die Ankunft ihres Professors verzögert hat, war die Studentin hier die ersten beiden Wochen auf sich alleine gestellt. Da in Papua kaum jemand englisch spricht, kam es ihr zugute, dass sie bereits sechs Monate vor der Exkursion begonnen hatte, indonesisch zu lernen. Auch der Kontakt zu Forschern am Anthropologischen Institut der Universität Cenderawasih in Abepura hat ihr die Wartezeit verkürzt und geholfen das Land kennenzulernen. Und dann endlich ging es los – mit einer kleinen Propellermaschine über den Regenwald. „Der Flug und die Ankunft in Eipomek waren unglaublich: Die Bergkette, der Regenwald und die Einwohner mit ihrer bunten Kleidung“, beschreibt Preissing die Landung auf der holprigen und für ihr Gefühl viel zu kurzen Landebahn. Die Feldforschung der Psychologie-Studentin in Eipomek bestand darin, Interviews mit möglichst vielen Mädchen und jungen Frauen zu führen. Neben dem sensiblen Thema, erschwerte auch die Sprachbarriere ihre Arbeit. Die Interviews wurden auf Indonesisch geführt, das sowohl für Preissing als auch für die Eipo, die eigentlich Mek sprechen, eine Fremdsprache ist. Doch es gelang ihr, 50 Interviews zu führen und so genügend Material für ihre Masterarbeit zu sammeln. „Ich bin so dankbar, diese Chance bekommen zu haben. Die Zeit beim Stamm der Eipo hat mir persönlich unglaublich viel gebracht. Eine Zeit lang ohne Internet und Telefonempfang zu sein, macht das Leben auf eine gute Art sehr langsam“, sagt Maike Preissing. „Es war faszinierend zu sehen, wie Gemeinschaft fernab unserer westlichen und individualistischen Gesellschaft funktioniert. Gerade der Umgang mit Kindern und älteren Menschen hat mich beeindruckt. Die Reise hat mir klar gemacht, wo wir herkommen und wie gut der Mensch eigentlich funktionieren würde, wenn wir uns nicht einen so unnatürlichen Lebensraum schaffen würden“, sagt sie weiter.

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Die Zeit beim Stamm der Eipo im Hochland Papuas wird die Psychologie-Studentin Maike Preissing so schnell wohl nicht vergessen. (Bild: Maike Preissing)

Momentan schreibt Maike Preissing ihre Masterarbeit fertig und arbeitet in einem Wohnprojekt des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Auch ihr Verständnis für psychiatrische Diagnosen, mit denen sie in ihrer Arbeit konfrontiert ist, wurde durch die Reise in den Regenwald verändert. Noch immer wirkt der Aufenthalt auf die Psychologie-Studentin nach. Sie hinterfragt Alltägliches und hin und wieder sehnt sie sich an die entschleunigte Zeit beim Stamm der Eipo zurück.

... in die Marktforschung

Studierende der Wirtschaftswissenschaften entwickelten im Seminar „Marktforschung und Markenentwicklung“ Ideen, wie man jüngere Menschen als Spenderinnen und Spender für SOS Kinderdorf gewinnen könnte. Laurenz Schmid ist einer davon und erzählt von seinen Erfahrungen.

Am Ende dieses Seminars hat Laurenz Schmid nicht wie üblich eine Seminararbeit geschrieben, sondern ist nach München gereist, wo der Hermann Gmeiner Fonds Deutschland – besser bekannt unter dem Namen „SOS-Kinderdörfer weltweit“ – seinen Sitz hat. Dort präsentierten er und seine Kolleginnen und Kollegen Ende Jänner vor mehr als 20 Personen aus dem Management die Ergebnisse, die im Wintersemester 2019/20 in Kooperation mit dem für die Finanzierung der Kinderdörfer zuständigen Fonds erarbeitet wurden. Obwohl das Praxisprojekt für den Bachelorstudenten viel mehr Aufwand bedeutet als eine schriftliche Abschlussarbeit, ist Laurenz Schmid sichtlich begeistert: „An der Uni bekommt man sehr viel theoretischen Input und bearbeitet Themen im theoretischen Kontext. Das Schöne am Marketingkurs ist, dass man die Chance bekommt, selbst ins Feld hinauszugehen und etwas auszuprobieren.“ Er besucht wie die 10 weiteren Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer den Vertiefungskurs im Bereich Marketing bei Univ.-Prof. Oliver Koll und Dr. Mathias Streicher vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus. „Unser Hauptziel war es herauszufinden, wie man es schafft, jüngere Menschen dazu zu bewegen, an SOS Kinderdorf zu spenden“, erklärt Laurenz Schmid die Aufgabenstellung.  

 Um zu ermitteln, wie jüngere Menschen, konkret die Generation der Milliennials, denken und handeln, wenn es ums Spenden geht, haben die Studierenden mit Unterstützung von Mathias Streicher eine Marktforschungskampagne entwickelt. Von der Ausarbeitung der Interviewfragen über die Auswahl geeigneter Orte in Innsbruck und München bis hin zur Durchführung und Auswertung lag alles in der Verantwortung der Studierenden. „Wir haben in zwei Teams gearbeitet, jedes Team hat 60 Interviews geführt“, berichtet Laurenz Schmid. Menschen auf der Straße, am Bahnhof, am Campus oder im Park anzusprechen sei für ihn zunächst eine Überwindung gewesen, erzählt er. „Man kommt dann aber eigentlich schnell hinein und lernt die Gespräche so zu führen, dass man zu dem kommt, was man möchte. Was sich klar gezeigt hat, ist, dass man in Hinblick auf die Generation Y ganz anders denken muss“, nimmt Laurenz Schmid ein Ergebnis vorweg.

Um Ideen zu finden, wie man die Millennials erreichen könnte, organisierten die Studierenden ergänzend zu den Befragungen eine Fokusgruppen-Diskussion. „Es ist kein Geheimnis, dass meine Generation viel Zeit am Smartphone und im Internet verbringt. Das war natürlich ein großes Thema in der Diskussion“, erläutert Laurenz Schmid. Die Nutzung von Streaming-Plattformen wie Twitch seien beispielsweise ein guter Ansatzpunkt. „Da läuft ein Livestream, und man kann direkt an den Streamer spenden und dieser bedankt sich dann auch live. Das funktioniert, weil man Interaktion schafft.“

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Abschlussgruppen-Foto beim Hermann Gmeiner Fonds Deutschland in München. (Bild: Uni Innsbruck)

Die Präsentation der Forschungsergebnisse in München war für Laurenz Schmid jedenfalls ein wichtiger Motivator: „Wir wollten natürlich die bestmögliche Lösung bringen, die wir in der vorgegebenen Zeit herausarbeiten konnten. Auch wenn es vielleicht nur ein kleiner Baustein ist, den wir liefern können, ist das schon wertvoll.“ Wertvoll fanden auch die Vertreterinnen und Vertreter vom Hermann Gmeiner Fonds die Vorschläge der Studierenden, die intensiv diskutiert wurden und in die künftige Strategie als Input einfließen werden, vor allem was die stärkere Nutzung sozialer Medien, einfacherer Spendenformate oder Kooperationen betrifft. Die große Zufriedenheit zeigte sich auch im Angebot, weiterhin mit der Universität Innsbruck zu kooperieren.

... in den Kindergarten

Als studentischer Mitarbeiter am Institut für Anglistik hat Alex Solderer über zwei Jahre an der Studie „MELA – Mehrsprachig Ladinisch“ mitgearbeitet. Das aus insgesamt 10 Studierenden bestehende Team hat einen wesentlichen Beitrag zum erfolgreichen Abschluss der linguistischen Untersuchungen in dreisprachigen Kindergärten geleistet.

Alex Solderer denkt gerne an die Startphase des Projekts MELA zurück, in der er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen in Gröden und im Gadertal unterwegs war, um Datenerhebungen für eine von der Südtiroler Landesregierung unterstützte Studie in mehrsprachigen Kindergärten durchzuführen. „Wir hatten eine wirklich gute Zeit. Ich habe nicht nur fachlich profitiert, sondern auch gelernt, Verantwortung zu übernehmen und mit anderen zusammenarbeiten“, resümiert der gebürtige Grödner, der sowohl seine Orts- als auch Sprachkenntnisse in das Projekt einbringen konnte. Ziel des von Mehrsprachigkeitsexpertin Univ.-Prof. Ulrike Jessner-Schmid geleiteten Forschungsvorhabens war es, ein ebenso detailliertes wie ganzheitliches Bild der sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten von Kindern in mehrsprachigen Kindergärten (Deutsch – Italienisch – Ladinischen) in Südtirol zu zeichnen. Entsprechend aufwändig gestalteten sich auch die Tests, die nach umfassender fachlicher Vorbereitung durch die verantwortlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von den Studierenden geplant, vor Ort durchgeführt, erfasst und ausgewertet wurden. „Wir haben 12 verschiedene Tests mit über 250 Kindern gemacht und vier Vergleichsgruppen untersucht: Kinder mit deutscher, italienischer und ladinischer Muttersprache in mehrsprachigen Kindergärten und eine Kontrollgruppe in einem einsprachigen, deutschen Kindergarten“, erklärt Alex Solderer das Design der breit angelegten Studie. Er selbst hat die narrative Kompetenz der Kinder anhand einer Bildgeschichte erhoben. „Das Fordernde am Anfang war, dass die Situation für die Kinder ein Spiel sein sollte, für mich aber sehr komplex war. Man darf kein Wort zu viel sagen, sonst sind die Daten wissenschaftlich nicht mehr relevant“, schildert Solderer die anfänglichen Herausforderungen seiner Arbeit, die er ausschließlich in positiver Erinnerung hat. „Die Kindergärtnerinnen haben uns sehr unterstützt, und die Kinder haben sich jedes Mal gefreut, wenn wir wiedergekommen sind“, sagt er mit einem Lachen.

Mittlerweile hat Alex Solderer sein Lehramtsstudium in den Fächern Englisch und Russisch abgeschlossen. In seiner Diplomarbeit hat er sich vertieft mit der von ihm getesteten, narrativen Kompetenz von Kindern in einem mehrsprachigen Kontext auseinandergesetzt – eine Gelegenheit, über die er sehr froh ist: „Der persönliche und der praktische Bezug ist schon sehr wertvoll. Außerdem hat man das Gefühl, etwas gesellschaftlich Relevantes geleistet zu haben.“ Ganz verknappt zusammen gefasst könne man sagen, dass die deutschsprachigen Kinder in der mehrsprachigen Umgebung weder sprachlich noch kognitiv schlechter abgeschnitten haben, antwortet Solderer auf die Frage nach den Auswertungsergebnissen. „Im Bereich der kognitiven Kompetenzen vielleicht sogar etwas besser“, ergänzt er, betont aber zugleich, dass man mit allgemeinen Schlussfolgerungen vorsichtig sein müsse.

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Die Erhebungen in den Kindergärten sollten für die Kinder ein Spiel sein. (Bild: pexels)

Die Bedeutung, die studentische Arbeit im universitären Kontext hat, heben die Projektverantwortlichen von MELA, Univ.-Prof. Ulrike Jessner Schmid und Mag. Emese Malzer-Papp, deutlich hervor: „Es ist wirklich von unschätzbarem Wert, was die Studierenden geleistet haben, und zugleich ein Riesenproblem, wenn das Know-how verloren geht.“ Insbesondere im Fall von MELA, da gerade ein Folgeprojekt geplant wird, in dem entsprechende Tests in Grundschule durchgeführt werden. Alex Solderer hofft jedenfalls, dass er als Projektmitarbeiter weiterhin zum Erfolg der Studie beitragen kann.

... auf die Rennstrecke

2016 haben Studierende der Universität Innsbruck ein Formula Student Team gegründet. Daraus hat sich in den vergangenen vier Jahren das derzeit 34-köpfige Team von Campus Tirol Motorsport (CTM) entwickelt, an dem auch Studierende des Management Center Innsbruck, der UMIT in Hall und der FH Kufstein mitarbeiten.

Im Hauptsitz von CTM, am Campus Technik der Universität Innsbruck, wird bereits am zweiten Auto, dem e02, einem 60 kW starken Elektroauto, geschraubt. Fertig werden soll es bis Ende Juli, denn dann findet das große Österreich-Rennen der Formula Student Austria (FSA) in Spielberg statt. Bei diesem Wettbewerb ist dann das ganze Team dabei, quasi die Belohnung für die harte Arbeit, die alle Formula Student Teams ehrenamtlich verrichten. „Der Zusammenhalt, den es sowohl bei uns im Team, aber auch zwischen den einzelnen Teams der verschiedenen Hochschulen gibt, motiviert mich besonders zur Mitarbeit bei CTM. Gerade beim Rennen in Spielberg wird einem das bewusst“, sagt Simon Schneider, der mit dem Team Management betraut ist. Das Team funktioniert wie ein kleines Unternehmen. Marketing, Buchhaltung, Entwicklungsarbeit und auch der Einkauf – alles findet in Eigenregie statt. Das kommt auch bei Unternehmen gut an. „Die Mitarbeit bei CTM bringt jedenfalls eine Menge praktischer Erfahrung. Im Unterschied zu Praktika bei Unternehmen übernehmen Teammitglieder bei uns von Anfang an die Verantwortung für den ihnen zugeteilten Bereich“, sagt Simon Schneider. Mitbringen sollten Interessierte Zeit und vor allem Motivation. Schneider selbst arbeitet Vollzeit bei CTM wie er sagt, manchmal sogar noch ein bisschen mehr.

Offen ist das Team für alle Interessierten. Bereits jetzt arbeiten bei CTM Studierende unterschiedlicher Fachrichtung, wie Informatik, Physik oder Wirtschaft. „Auch wenn wir immer mehr Leute aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich brauchen, um das Auto zu bauen, sind bei uns auch Studierende aus Sozial- und Geisteswissenschaftlichen Fächern willkommen“, sagt Schneider. Und zu tun gibt es immer etwas, weiß der Mechatronik Student: „Sei es das Schreiben von Texten für unsere Webseite oder auch die Organisation von Team-Building-Events, wir sind für alles offen, das mit Einsatz gemacht wird.“

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Das Ergebnis monatelanger Arbeit: Der e02, ein 60kW starkes Elektroauto. (Bild: Campus Tirol Motorsport)

 Dieser Artikel ist in der Februar-2020-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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