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Die kleine Gemeinde Vent ist als Bergesteigerdorf ebenso bekannt wie als Vorlage vieler literarischer Bearbeitungen. (Foto: Ötztal Tourismus; Bernd Ritschel)

Auf literarischen Spuren

Ereignisse können nicht nur ihre Spuren im Schnee, sondern auch in der kollektiven Erinnerung einer Region oder eines Ortes hinterlassen. Iris Kathan vomxxxForschungsinstitut Brenner-Archiv begibt sich auf eine literarische Spurensuche am Fuße der Ötztaler Gletscher – in Vent.

Spuren führen zu einem unbekannten Ort, leiten den Verirrten in die Sicherheit, verzweigen oder verlieren sich, werden verweht und wecken die Neugier, wenn sie neu entdeckt werden. Um Spurensuchen in Texten und an Orten geht es auch Iris Kathan, deren literarische Neugier in Vent auf 1.900 Meter Seehöhe im hinteren Ötztal geweckt wurde. Als eines der traditionellen alpinen Bergsteigerdörfer ist es als Ausgangspunkt für die Besteigung zahlreicher Dreitausender bekannt. „Doch nicht nur Wanderinnen und Wanderer finden bis heute ihren Weg in die stille Abgeschiedenheit der Bergwelt. Zahlreiche literarische Spuren haben nicht nur das Leben des Dorfes beeinflusst, sondern auch überregional das touristische Bild Tirols geprägt“, sagt Kathan. Werke wie die Geier-Wally von Wilhelmine von Hillern aus dem Jahr 1875 oder Romane und Erzählungen des Autors Norbert Gstrein sowie Reiseliteratur aus dem 19. Jahrhundert wurden weithin bekannt.

Abseits

Die Literatur-Land-Karte Tirol war der Ausgangspunkt für das vom FWF geförderte und von Johann Holzner geleitete Projekt „Tirol/Südtirol. Eine literarische Topographie“. Ein erklärtes Ziel des Projektes ist, die vielfältigen Bezüge zwischen Orten, Schreibenden und Texten in Tirol einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Erstaunlich sei, dass die Literatur fernab der schon früh bekannten touristischen Orte wie Innsbruck, Bozen oder dem Brenner, auch in kleineren Orten wie Vent zu finden ist, sagt Kathan. So schrieb 1875 bereits Wilhelmine von Hillern in ihrem berühmten Roman „Die Geier-Wally“: „Nach zwei Stunden erreichte sie Vent, das letzte Dorf am Eingang in die Eiswelt.“ Dieser weckte, als einer von vielen Flecken auf der Land-Karte, besonders das Interesse der Literaturwissenschaftlerin: „Man sagt ja, Vent sei immer anders gewesen.“ Genauso wie im restlichen Ötztal ist auch in Vent der Tourismus vorherrschend, wobei sich der kleine Ort schon früh für eine andere Linie entschieden hat. „Hier gibt es keine großen Liftanlagen – Tradition und nachhaltiger Tourismus sind Werte, die für das vom Alpenverein ernannte Bergsteigerdorf wichtig sind“, so Kathan.

Schauplatz Vent

Aus und nach Vent führen nicht nur touristische, sondern auch viele literarische Spuren. Der gebürtige Ötztaler Franz Senn war Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins und übernahm als Kurator Mitte des 19. Jahrhunderts die Kuratie St. Jakob in Vent. „Senn erkannte schon früh, dass der Tourismus die damals herrschende Not der Bauern lindern konnte. In seiner Zeit in Vent begann er, Wegenetze auszubauen sowie ortskundige Bergbauern zu Wanderführern auszubilden“, erzählt Kathan. Aber auch er hinterließ seine Spuren im Schnee von Vent. Bei einer Wanderung von Meran über das Hochjoch von Vent starb sein Begleiter und Freund Zyprian Granbichler kurz vor der rettenden Ankunft auf den Rofenhöfen an Erschöpfung. Mit dem aufkommenden Tourismus, der maßgeblich auch Franz Senn zu verdanken war, kamen immer mehr Menschen nach Vent, um hier die atemberaubende Natur zu genießen. Im Jahr 1842 wanderte erstmals der Reiseschriftsteller Ludwig Steub von Vent über das Niederjoch nach Südtirol und beschrieb seine Eindrücke im Reisebuchklassiker „Drei Sommer in Tirol“. „Mit diesen Reiseschilderungen gelang es dem Autor, Tirol auch abseits der bekannten Transitrouten einem deutschen Publikum vertraut zu machen. Dabei haben Steubs Reisebücher einen ausgeprägt erzählerischen Charakter“, erläutert Kathan. Der bekannteste in Vent angesiedelte Roman ist die literarische Verarbeitung des Lebens der Tirolerin Anna Stainer-Knittel, kurz Geier-Wally. „Trunken schaute Wally in die erwachende Welt hinein, und ihr Auge vermochte es kaum in den engen Rahmen zu fassen, das weite, leuchtende Bild in seiner keuschen Morgenschöne. Der Geier auf ihrer Schulter lüftete wie grüßend und sehnsüchtig seine breiten Schwingen der Sonne zu. Unten in Vent wurde es indessen lebendig.“ Iris Kathan erklärt, dass das Motiv der Geier-Wally neben zahlreichen Verfilmungen und Bearbeitungen auch heute noch interessant ist: „Die Tirolwerbung verwendet immer wieder das Sujet der Wally, indem sie eine junge Frau kletternd im Gebirge, oft begleitet von einem Greifvogel, inszeniert.“ Der Roman ist wohl der bekannteste literarische Bezug zu Vent, doch gibt es auch aktuellere Verweise. Der 1961 geborene Autor Norbert Gstrein wuchs „am Eingang in die Eiswelt“ auf. Besonders seine frühen autobiographisch grundierten Texte siedelte er hauptsächlich in Tirol an. „Den fiktionalen Ort Fend legt der Autor auf der Folie seines Heimatdorfes Vent an. Er mach dies so explizit, dass die Leserinnen und Leser mühelos die Wege der Figuren auf einem Ortsplan von Vent nachvollziehen können“, erläutert die Wissenschaftlerin.

LiteraTour

Iris Kathan und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Forschungszentrum Brenner-Archiv sowie vom Literaturhaus am Inn sind bemüht, Interessierten die regionalen literarischen Bezüge in einer besonderen Art und Weise nahe zu bringen: „Einmal im Jahr bieten wir so genannte Lese-Wanderungen an, wo wir gemeinsam mit einer Gruppe an die entsprechenden Schauplätze fahren, gemeinsam Texte lesen und versuchen, den Ort literarisch greifbar zu machen. Die Rezeption der Texte vor Ort kann nicht mit der stillen Lektüre daheim verglichen werden. Das Lesen vor Ort fügt dem Text weitere Bedeutungsnuancen hinzu, wie die Annäherung an einen Schauplatz mittels Literatur, die Wahrnehmung für Orte schärft.“ Die letzte Literaturwanderung führte Kathan und Christoph Griesser mit etwa 25 Interessierten nach Vent. „Schon die Anreise ist ein Erlebnis. Gut eineinhalb Stunden braucht es selbst bei besten Verkehrsanbindungen, um von Innsbruck nach Vent zu gelangen. Ein ganz spezifisches Licht und eine ganz spezifische Atmosphäre sowie die unübersehbaren Spuren des Massentourismus prägen das Tal. Das ändert sich, wenn der Bus durch das Venter Tal fährt, das immer noch wild anmutet und landschaftlich beeindruckt“, erzählt Kathan von ihren Eindrücken. Der LiteraTourismus endet nicht mit dem Vermächtnis von Franz Senn. „Wenn man die Literatur als eine Art Speicher versteht, in dem Themen, Konflikte und Erinnerungen verdichtet werden, dann lassen sich hier spannende Bezüge zu den Orten herstellen und vielleicht finden wir noch so manche literarische Spur, der wir weiter nachgehen können“, bleibt Iris Kathan weiter neugierig.

Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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