Projekt "Kolonialität in den Alpen: Tirols globale Verflechtungen"

Forschungsprojekt | Laufzeit 2026 - 2030

 

Nasenschild der Firma „Unterberger & Comp.“ mit der Aufschrift „Kolonialwaren“, Herzog-Friedrich-Straße 26 in Innsbruck.

Das Projekt „Provincializing Coloniality“ liest Tirols Geschichte im 20. Jahrhundert durch eine dekoloniale Verflechtungsperspektive neu und untersucht, wie Regionen ohne eigene Kolonien und fernab der Hauptstädte in imperialistische Konstellationen eingebunden waren. Das Projekt untersucht lokale kulturelle Praktiken, Institutionen wie Kolonialwarenläden oder siedlerkolonialistische Initiativen ebenso wie Formen grenzüberschreitender Solidarität und politische Interventionen, die sich gegen Kolonialismus und Apartheid wandten. Gestützt auf Archivrecherchen und Interviews beleuchtet das Projekt mit seinem Fokus auf provinzielle Kolonialität Tirols transnationale Dimensionen und eröffnet solcherart neue Perspektiven für eine produktive und kontextsensible Verschränkung von Regional- und Globalgeschichte.

Das Projekt hat drei Schwerpunkte mit je vier bis fünf Fallstudien, wobei sich die Schwerpunkte gegenseitig ergänzen

Institutionalisierungen

Ein erster Schwerpunkt beschäftigt sich mit Institutionen, die in Tirol in unterschiedlichen Zeitabschnitten – von der Ersten Republik über den Austrofaschismus bis in die Nachkriegszeit – mit der Zielsetzung entstanden, in anderen Regionen der Welt in Zusammenhängen von Mission, Kolonisierung oder Entwicklung zu intervenieren. Ein Beispiel ist das Afrikanische Institut in Innsbruck, das 1924 von Albert Drexel gegründet wurde und sich mit der Erforschung von Kulturen und Sprachen in Afrika beschäftigte und 1928 zu einer Missionshochschule umfunktioniert wurde, um Missionar:innen für den praktischen Einsatz vorzubereiten. Eine weitere Fallstudie befasst sich mit der 1933 von österreischischen Emigrant:innen gegründeten Siedlung Dreizehnlinden/Treze Tílias (Brasilien) und den anhaltend intensiven Beziehungen zu Tirol, nicht zuletzt im Kontext der neu entstehenden „Entwicklungshilfe“. Ziel ist es, zu zeigen, wie solche Verbindungen und Institutionen der Wissensproduktion dienten und dazu beitrugen, transnationale und koloniale Elemente in regionale Identitäten einzubetten. Die Analyse solcher Institutionalisierungsformen im 20. Jahrhundert lässt zudem Rückschlüsse darauf zu, welche Kontinuitäten es zwischen Diskursen und Praktiken von Mission und Kolonisierung einerseits und Entwicklung andererseits gab – und welche Brüche sich konstatieren lassen.

Kolonialität und Alltagskultur

Der zweite Schwerpunkt widmet sich der Analyse kolonialer Verflechtungen in der Populärkultur und im Konsum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es untersucht, wie koloniale Vorstellungen und Narrative in Werbung, Konsumgütern und kulturellen Praktiken verankert oder hinterfragt wurden – sowohl in Städten wie auch im ländlichen Raum. Hier sind insbesondere konkrete Bezüge und politische Positionierungen von Interesse. So gab es etwa bei der Fasnachtstradition in Telfs, dem Telfer Schleicherlaufen, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Bezugnahmen auf geographisch ferne Ereignisse wie den Burenkrieg in Südafrika (1899-1902). Hier wie auch bei anderen kulturellen und politischen Veranstaltungen in Tirol mit Bezug auf den Burenkrieg wurde eine anti-imperialistische Position eingenommen, die wiederum mit dem Widerstand gegen die napoleonischen Truppen 1809 verknüpft wurde. In Tirol gab es auch exotisierende Zurschaustellungen von Menschen verschiedener Weltregionen – sogenannte „Völkerschauen“ – deren Durchführung bisher vor allem im Fall europäischer Großstädte von London bis Prag untersucht wurde. Als Beispiel für wirtschaftliche Verflechtungen werden die zahlreichen Kolonialwarenhandlungen untersucht, die Produkte wie Kaffee, Tee und Tabak aus Übersee (nicht zwangsläufig aus Kolonien) feilboten.

Anti/kolonialer Aktivismus

Der dritte Schwerpunkt des Projekts widmet sich Menschen und Gruppen in Tirol und Südtirol, die sich aktiv gegen Kolonialismus und Rassismus einsetzten – oder anderweitig Bezüge zum globalen Prozess der Dekolonisierung herstellten, um politische Ziele zu verfolgen. Im Zentrum stehen hier die 1950er bis 1980er Jahre, als Themen wie die Unabhängigkeit von Ländern in Afrika und der Kampf gegen die Apartheid in Südafrika auch in Tirol und Südtirol rege diskutiert wurden. So stellten die Beschleunigung des Dekolonisierungsprozesses und bewaffnete Befreiungskämpfe wie etwa in Algerien in den 1950er und 1960er Jahren einen wichtigen Kontext für die Auseinandersetzung um die Autonomie Südtirol dar – regional ebenso wie international. Ein weiteres Beispiel ist die Anti-Apartheid-Bewegung, die in Innsbruck und anderen Orten Veranstaltungen und Proteste organisierte, um nicht nur auf Menschenrechtsverletzungen in Südafrika aufmerksam zu machen, sondern auch auf Beziehungen zwischen Eliten in Tirol und Südafrika hinzuweisen. Zum Tragen kamen hier nicht nur verschiedene Deutungen von Tiroler Identität, sondern auch konkurrierende Auslegungen des katholischen Glaubens in Form diametral entgegengesetzter politischer Implikationen. Ziel ist es, diese Geschichten politischen Widerstands mit dem Blick auf globale Verflechtungen zu erforschen und zu zeigen, wie sie die regionale Geschichte geprägt haben.

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