Vortrag & Diskussion:
Wohnen wie alle anderen auch!
Wie können Transformationsprozesse in Behinderten-Großeinrichtungen gelingen?

Datum: Mittwoch, 23. Oktober 2013, 19:30 Uhr
Ort: MCI II, Universitätsstraße 15 (EG), Innsbruck

Referentin: Aglaia Parth
 

Hier können Sie den Vortrag herunterladen 

 


 

Zur Person:
Aglaia Parth arbeitet seit 4 Jahren bei Wibs.
Wibs ist eine Beratungsstelle für Menschen mit Lernschwierigkeiten
(Anm. WuV: Wibs - Wir informieren beraten bestimmen selbst. Im Internet: http://www.wibs-tirol.at/).
Sie macht dort Peer Counseling.
Das heißt: Sie berät andere Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Sie hält Schulungen und Vorträge.
Außerdem moderiert sie ZukunftsplanerInnen und UnterstützerInnen-Kreise.
Aglaia Parth hat mehrere Jahre in Behinderteneinrichtungen gelebt.
Sie lebt jetzt in ihrer eigenen Wohnung mit Persönlicher Assistenz.

 



Vortrag von Aglaia Parth:

Danke Petra! Danke für die Vorstellung.
Jetzt möchte ich mich noch einmal persönlich vorstellen.
Ich bin Aglaia Parth.

Ich wohne schon seit 10 Jahren in meiner eigenen Wohnung
und möchte euch jetzt erzählen, wie ich dorthin gekommen bin.

Und das ist Lisa W., die mich dabei unterstützt.
Wir haben den Vortrag gemeinsam vorbereitet.
Und ich habe ihr gesagt, was sie tun soll heute Abend.
Ich möchte euch bitten, mir eure Namen zu geben.
Nur Vor- und Nachname und E-Mail-Adresse, falls ihr noch mehr wissen wollt von mir.
Ok, bitte einfach durchgeben und ausfüllen. Danke!

Ich möchte noch erwähnen, dass ich nicht den Namen vom Heim sagen werde.
Und ich möchte auch nicht, dass mich jemand danach fragt.
Weil ich das heute Abend anonym machen möchte.

Jetzt zum meiner Geschichte:
Ich bin als 4-Jährige bin ich in ein Heim gekommen.
Dort bin ich in den Kindergarten gegangen. Dann bin ich in die Schule gegangen.
Und dann bin ich noch in eine Berufsvorbereitung gegangen.
Am Wochenende und in den Ferien bin ich Daheim gewesen,
bei Mama, Papa und bei meinen Brüdern.
Ich habe somit ein Familienleben mitbekommen.
Die Brüder haben daheim mit mir gespielt.
Und das war für mich etwas Besonderes, weil ich doch einige Kinder kenne,
die das nicht gehabt haben.
Ja bitte  (Anm. WuV: Jetzt spricht die Unterstützerin:
"Die Eltern von Aglaia sind dann irgendwann einmal gestorben.
Und das heißt: Die Aglaia hat dann immer im Heim bleiben müssen.
Also auch am Wochenende und in den Ferien.")
Beziehungsweise nur am Wochenende.
Ich war dann schon 18 Jahre alt und dann habe ich das Heim gewechselt,
weil ich schon zu alt geworden bin.

Als Kind habe ich es ganz ok gefunden, dass ich unter der Woche dort gelebt habe.
Und Mama und Papa wollten nur das Beste für mich.
Ich habe mich recht wohl gefühlt
und habe auch viel gelernt im Heim, das für mich wichtig war.
Ich habe kleine Aufgaben übernommen.
Zum Beispiel habe ich auf jüngere Kinder aufgepasst,
als ich älter geworden bin.
Oder ich habe in der Früh den Tisch gedeckt.
Und das hat mir gezeigt, dass ich wichtig war für die Gemeinschaft.
Und darum habe ich mich dort noch wohl gefühlt.

Als Jugendliche habe ich gedacht:
„Nichts wie weg vom Heim!“
Weil diesen vielen Regeln sind nichts für mich.
Zum Beispiel: Es hat dort Essensvorschriften gegeben.
Oder: Es hat Bettzeiten gegeben.
Die haben mir auch nicht so ganz gepasst.
Denn ich wollte selber entscheiden, wann ich Etwas esse oder wann ich ins Bett gehen will.
Aber das habe ich nicht gekonnt

Meine zwei Brüder und eine Freundin, die behindert war, waren für mich Vorbilder.
Und zwar deshalb Vorbilder, weil ich so leben wollte, wie sie das getan haben.

Mit 20 Jahren habe ich dann endgültig gesagt:
„Ich will in einer eigenen Wohnung leben.“
Weil: Die BetreuerInnen haben genervt.
Es war immer jemand da.
Ich habe nichts allein machen können.
Und ich wollte einfach frei sein.
Mit 23 Jahren bin ich dann endgültig umgezogen in meine eigene Wohnung.
Und zwar habe ich dort von verschiedenen Personen Unterstützung bekommen.
Zum Beispiel: Von einer ehemaligen Betreuerin, vom Sachwalter und von einer Ergotherapeutin.
Ich habe das Vertrauen von den BetreuerInnen gehabt, dass ich es schaffe, allein zu wohnen.

Es war damals so:
Bei Menschen, die viel Unterstützung gebraucht haben, haben sie kein Vertrauen gehabt.
Die BetreuerInnen haben gesagt:
„Du bist zu behindert. Du kannst das eh nicht schaffen.“
Und ich glaube, es ist oft immer noch so.

Und wenn Menschen wenig Unterstützung gebraucht haben, so wie ich,
dann haben sie gesagt: „Ja. Du kannst das schaffen. Dir traut man das zu.“

Ich hätte mir noch mehr Unterstützung gewünscht.
Zum Beispiel beim Telefonieren.
Damals war ich noch ziemlich jung und unerfahren, als ich gesagt habe:
„Ja. Ich will in einer eigenen Wohnung wohnen.“
Und ich habe mir immer die Tiroler Tageszeitung geholt
und dann haben wir zwar die Inserate durchgeschaut und herausgeschnitten.
Aber ich war nicht sicher, was ich sagen soll am Anfang.
Am Anfang, da hätte ich mir mehr Vorbereitung gewünscht.
Mehr Vorbereitung auf das Telefonat.

Oder: Keine Vorbereitung für Persönliche Assistenz.
Oder: Wie man die AssistentInnen anleitet.
Und: Wie man sinnvoll die Zeit mit den AssistentInnen nützt.
Da hätte ich mir auch mehr Vorbereitungszeit gewünscht.
Und darauf war ich nicht vorbereitet.
Und dann habe ich zuerst alles in meiner eigenen Wohnung lernen müssen,
wie ich das am besten mache und umsetze.

In der WG habe ich zum Beispiel gelernt:
Putzen, Kochen, Wäsche waschen, Wäsche bügeln, Wäsche zusammenlegen.
Das habe ich gelernt.
Das sind Dinge, die jetzt teilweise die AssistentInnen machen.
Die AssistentInnen putzen.
Die AssistentInnen legen die Wäsche zusammen.
Die AssistentInnen kochen für mich, was ich will.

Und diese Zeit, die ich damit in der WG verbracht habe,
hätte ich mir gewünscht, dass man mich darauf vorbereitet,
wie man gut die AssistentInnen anleiten kann.

In der WG war es so, dass die BetreuerInnen mir gesagt haben,
was ich zu tun habe.
Ich habe mir nicht aussuchen können,
an welchem Tag ich mein Zimmer putzen will.
Oder: Ich habe nicht sagen können:
„Nein. Der passt mir nicht. Weil ich mit dem nicht zurecht komme.“
Und andere haben über mich bestimmt, in der WG auch noch.

Und jetzt ist es so, dass ich sage, was zu tun ist
und was die AssistentInnen tun sollen.
Ich suche mir jetzt selbst die AssistentInnen aus.
Und ich sage jetzt: „Ja. Du passt mir!"
Oder: „Nein. Mit dir komme ich nicht zurecht.“


Was brauchen wir Menschen mit Lernschwierigkeiten?
Damit man sagt: „Ja. Ich will in einer eigenen Wohnung leben.“
Wir brauchen das Vertrauen von Eltern und BetreuerInnen,
dass man es schafft.
Dann brauchen wir Informationen, was es alles gibt.

Dann brauchen wir - wie Germain Weber gesagt hat – die passende Unterstützung dazu.
Dann brauchen wir eine Menge Mut.
Mut, um zu sagen, was man eigentlich will und was man nicht will.
Und: Mut machen Vorbilder.
Denn ohne Vorbilder, wäre ich nicht so weit gekommen.
Dann wäre ich vielleicht noch immer im Heim und würde noch dort leben quasi.

Und es braucht ein anderes Bild von Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Köpfen
und zwar nicht: „Du schaffst das nicht. Du bist zu behindert.“
Denn Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen entscheiden können,
wo sie leben und wie sie leben.
Und dann bin ich noch einmal bei dem bunten Bild
Denn es braucht die passende Unterstützung.

Danke für's Zuhören!


 

wibs_logo

 Aglaia Parth von Wibs

 Internet: www.wibs-tirol.at
 Mail-Adresse: aglaiawibs@selbstbestimmt-leben.at
 Telefon-Nummer: 0512 - 57 34 48

 

 

Semesterschwerpunkt: PROTEST 02
Nach oben scrollen