Über Franz Horak (1927-2010)

Franz Horak wurde 1927 als Sohn des sozialdemokratischen Gewerkschaftlers Josef Horak und der Maria Horak geboren. Nach Verfolgung durch das NS-Regime konnte Josef Horak 1945 in die wieder errichtete Salzburger Arbeiterkammer zurückkehren, deren langjähriger Präsident er – neben seiner politischen Tätigkeit im Landesparteivorstand der SPÖ Salzburg - werden sollte. Für zwei Jahre hat er die Sozialdemokratie als Landesrat in der Landesregierung vertreten.

Franz Horak, der gerade bei Kriegsende am 31. März 1945 am Staatsgymnasium die Matura ablegen konnte, nahm vorerst das Theologiestudium an der Salzburger Fakultät auf und trat in die geistliche Laufbahn ein, die er 1958 verlassen sollte. Wäre er in dieser verblieben, wäre er wohl in der Hierarchie der Erzdiözese Salzburg aufgestiegen.

Warum er 1945 als 18jähriger Maturant das Theologiestudium wählte, ist nicht bekannt. Nach der krisenhaften Erfahrung des Faschismus fanden aber einige junge Leute seiner Generation offenbar Sinn und Halt in einer christlichen Umgebung, in einer religiös existentialistischen Fluchtwelt. Das ist eine Vermutung, die aber eine gewisse Evidenz erhält, wenn man die 2019 erschienenen Erinnerungen des Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Brezinka (1928-2020) liest: „Ich hatte damals in der ‚Generation ohne Gott‘ [von Wolfgang Borchert] schon viel ‚Gottesfinsternis‘ kennengelernt. Ich hatte Nietzsche gelesen und Bernard Shaws ‚Aussichten des Christentums‘.“[1]

Der aus Berlin gekommene junge Brezinka nahm ebenfalls 1946 das Studium an der Theologischen Fakultät in Salzburg auf und trat für einige Zeit in das fürsterzbischöfliche Priesterseminar ein, um dann Ende der 1940er Jahre zum Studium der Philosophie und Pädagogik nach Innsbruck zu kommen, um hier besonders von Wolfgang Stegmüller, einem Pionier der Analytischen Philosophie in Österreich, beeinflusst zu werden, jenem Stegmüller, dessen mit Rudolf Carnap 1959 verfasste „Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit“ für Horaks wissenschaftstheoretische Ansichten wichtig werden sollte, so wie auch die „Grundformen des wissenschaftlichen Denkens“ von Viktor Kraft, der den logischen Empirismus des vom Faschismus vertriebenen „Wiener Kreises“ in Österreich auch nach 1945 hochhielt. Neben weiteren Autoren des Wiener und Berliner Kreises (Hans Reichenbach, Carl Gustav Hempel u.a.) studiert Franz Horak in Professorenjahren Stegmüllers mehrbändige „Probleme und Resultate Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie“.[2]

Was blieb von Franz Horaks Salzburger und auch Pariser Philosophie- und Theologiestudium (Institut Catholique de Paris) – abgesehen davon, dass er nun die Mühen einer verspäteten wissenschaftlichen Laufbahn auf sich nehmen musste? Perfekte Kenntnis der antiken Sprachen, des Lateinischen vor allem, Kenntnisse im kanonischen Recht, hervorragende Kenntnis der Philosophie des Altertums, der scholastischen Philosophie!

Nach einem Wiener Semester studiert Horak ab dem Winter 1958/59 in Innsbruck Jus, wird hier schon am 27. Mai 1961 zum Dr.jur. promoviert. Er trifft hier auf den Rechtshistoriker Nikolaus Grass, den Kirchenrechtler Friedrich Merzbacher, auf Franz Gschnitzer, auf den Zivilprozessualisten Franz Novak, den Strafrechtler Friedrich Nowakowski oder auf den Staatsrechtler Felix Ermacora.

Mit Hilfe und Unterstützung von Arnold Herdlitczka und Wolfgang Waldstein, beide auf je unterschiedliche Weise dem politischen Universitätskatholizismus zuordenbar, konnte Franz Horak anfangs als wissenschaftliche Hilfskraft an der Innsbrucker Juristenfakultät einsteigen.

In die Professur des Römischen Rechts war nach der Befreiung Österreichs 1945 nämlich der 1938 vom NS-Regime entlassene vormalige Wiener Privatdozent Arnold Herdlitczka (1896-1984) zurückgekehrt. Seine Berufung an die Universität Innsbruck galt 1934 als „Ständestaats“ konform.[3] Der in Prag während der NS-Jahre enthobene Professor der antiken Rechtsgeschichte Egon Weiß (1880-1953), hervorgetreten vor allem als bedeutender Erforscher des altgriechischen Privatrechts, hatte in Innsbruck nach 1945 als Honorarprofessor Kollegien aus dem römischen Recht, aber auch aus dem modernen bürgerlichen Recht angekündigt.

Bei Herdlitczka habilitierte sich 1963 der streng konservative Wolfgang Waldstein (1928-2023) mit „Untersuchungen zum römischen Begnadigungsrecht, abolitio-indulgentia-venia“. Herdlitczka merkt zu Waldsteins strafrechtsgeschichtlicher Arbeit an: „Die Arbeit vermeidet die bei Mommsen und seinen Nachfolgern zu beobachtende Auswertung der Quellen, die aus verschiedenen Zeiten stammen, in einer Weise als ob sie alle derselben Zeit angehören würden. Dies ließ Mommsen wohl zu einem eindrucksvollen und abgerundeten, aber rechtsgeschichtlich gesehen, völlig verfälschten Bild des römischen Strafrechtes gelangen. Die Sucht Mommsens, Rechtszustände sämtlicher Epochen zu einem Ganzen zusammenzuziehen, hat auf einem Gebiete des Strafrechtes schon [Christoph Heinrich] Brecht in seiner Schrift über die perduellio (München 1938) scharf abgelehnt und neuerdings (1962) bahnt [Wolfgang] Kunkel mit seinen Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit eine durchgreifende Revision der Mommsen’schen Lehre vom römischen Strafrecht an.“[4]

1964 zum Extraordinarius ernannt sollte Waldstein schon im Herbst 1965 als Gründungsdekan an die Salzburger Juristenfakultät wechseln. Im Juni 1964 hatte die Fakultät für das römisch-rechtliche Extraordinariat Waldstein nachgereiht: an zweiter Stelle den Privatdozenten Sven Erik Wunner (1932-2013, mit einer Studie „Contractus. Sein Wortgebrauch und Willensgehalt im klassischen römischen Recht“ bei Wolfgang Kunkel 1964 in München habilitiert, später Professor für bürgerliches Recht in Bochum und Kiel) und an dritter Stelle Herbert Hausmaninger (Jg. 1936, 1965 zum Professor des römischen Rechts an der Universität Wien ernannt, für Innsbruck relevant mit seiner Schrift „Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht“).

Im Februar 1965 beklagte Waldstein in seiner Antrittsvorlesung den Bedeutungsverlust des römischen Rechts, den schleichenden Niedergang des rechtsgeschichtlichen Studiums. Nicht zufällig sei mit einer Orientierung am „Gesetzespositivismus“ auch der Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz ins Gerede gekommen, bekannt Julius Hermann Kirchmanns Diktum: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur.“ (1847). Hans Kelsens reiner Normativismus, also „eine von allem Naturrecht gereinigte Wissenschaft vom positiven Recht“, Kelsens Polemik gegen den „Methodensynkretismus“ und dessen steter „Vorwurf der Missachtung der Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik“ hat gewisse Berechtigung, ist aber nicht befriedigend, so Waldstein unter Berufung auf Romanisten-Autoritäten des 20. Jahrhunderts wie Paul Koschaker oder Fritz Schulz, beide übrigens knapp nach 1900 auch kurz in Innsbruck lehrend: „Als ich in einem Gespräch mit Hans Kelsen auf die – historische – Tatsache hinwies, dass die römischen Juristen Recht geschaffen haben, fiel er beinahe vom Stuhl und sagte sehr temperamentvoll und bestimmt: ‚Ein Jurist kann niemals Recht schaffen, er kann nur geltendes Recht erkennen‘, wobei er selbstverständlich das positiv staatliche Recht meinte.“

Die rechtsfortbildenden Leistungen der römischen Jurisprudenz (Beispiel: lex Aquilia de damno, Sachbeschädigung) wären mit den Mitteln des „Rechtspositivismus niemals erbracht“ worden: „Es ist daher mehr als ein rhetorischer Gemeinplatz, wenn Ulpian die römische Rechtswissenschaft als iusti atque iniusti scientia bezeichnet, als die Wissenschaft vom Gerechten und Ungerechten. An einer anderen Stelle spricht er davon, dass die Juristen die Gerechtigkeit (iustitia) pflegen, indem sie das Gerechte vom Ungerechten scheiden.“

Mit Fritz Schulz‘ „Geschichte der römischen Rechtswissenschaft“ (1961 [S. 71f.]) wendet Waldstein gegen Kelsen ein: „‘Die Rechtswissenschaft ist in erster Linie gerichtet, nicht auf Interpretation von Gesetzen und Rechtsbüchern, nicht auf Deskription und Meditation, sondern auf Gestaltung und Fortbildung des Rechts, mag das nun in Form der lex rogata [also des Gesetzes], des Jurisdiktionsedikts, der Formelkonzeption oder des responsum geschehen … Bestand ja doch die ganze Weisheit der römischen Rechtssetzung darin, dass die Juristen grundsätzlich die auctoritas hatten, ihr Recht selbst zu machen und zu ändern. Diese auctoritas benutzten sie bewusst, das Erstarren und Gerinnen des Rechts zu verhindern.‘ Einen an moderner Rechtsstaatlichkeit orientierten Juristen befällt ein Gruseln. Man könnte meinen, hier die Freirechtslehre, wie sie etwa Kantorowicz 1906 vertreten hat, vorgebildet zu sehen.“

Mit Paul Koschakers „Europa und das römische Recht“ argumentierte Waldstein, dass die Arbeit der römischen Juristen zu einem „(relativen) Naturrecht“ geführt hat, das auch durch den positivistischen Einwand, dass „Rechtssicherheit“ das (allein) zu schätzende Gut ist, nicht herabgewertet werden kann. Es handelt sich um ein gegenwartrelevantes „Naturrecht, das die Rechtserfahrungen aller Kulturvölker sammelt, die Europa aufbauen geholfen haben“ – so Waldstein mit Koschaker partiell einverstanden: „Dass die auf Erfassung vorpositiver Normen gerichtete Erkenntnis schwierig ist und vielfältigen Einflüssen unterliegt, kann nicht bestritten werden. Dass sie aber dennoch möglich ist und zu brauchbaren Ergebnissen führen kann, hat die römische Rechtswissenschaft gezeigt.“[5]

Für die Kelsen-Schule widersprach der Wiener Staatsrechtler Robert Walter in einer direkten Replik „Rechtsgeschichte gegen Rechtstheorie?“: Die Suche nach „richtigem Recht“ und nach „vorpositiven Normen“ liegt für die „Reine Rechtslehre“ jenseits aller rationalen Erkenntnisgrenzen im Bereich der Rechtspolitik. Waldstein kann nicht erklären, „warum er aus der Beschäftigung mit der römischen Rechtswissenschaft zu der Auffassung kommt, dass eine rationale Erkenntnis nicht nur des positiven Rechts, sondern auch ‚einer normativen Ordnung …, die von staatlicher Setzung unabhängig und dem Menschen vorgegeben ist‘, möglich ist“.[6]

Waldstein hingegen sollte 1966 in der Salzburger Antrittsvorlesung das Leitmotiv vom „vorpositiven Recht“ anknüpfend an § 7 und § 16 ABGB wiederholen und ausbauen. Waldsteins christlicher Naturrechtsposition konnten nicht nur die Vertreter der „Reinen Rechtslehre“, sondern auch ein Franz Horak nicht folgen, wie seine Auseinandersetzung mit Johannes Messner zeigt.[7]

Bei dem die Lehrkanzel noch bis Ende der 1960er Jahre supplierenden Arnold Herdlitczka hat sich Franz Horak 1969 mit „Rationes decidendi. Entscheidungsbegründungen bei den älteren römischen Juristen bis Labeo“ [I, =Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte V, hrg. von Nikolaus Grass, Innsbruck 1969, 311 Seiten] für Römisches Recht habilitiert, einer Arbeit, die die Begründungen der republikanischen Juristen vor Augustus analysierte. Herdlitczka urteilt Anfang 1969 über Horaks eine moderne Normlogik zugrunde legende Studie: „Zurückgehend bis auf Savigny, der die Vertrautheit und den routinierten, an mathematische Sicherheit gemahnenden Umgang der römischen Juristen mit den Rechtsbegriffen und Rechtssätzen herausstellt und lobend unterstreicht, über einen der größten Mathematiker, nämlich Leibniz, der zu allen Zeiten seines Lebens die großen Parallelen der Mathematik und des römischen Rechts hervorgehoben hat und die Schriften der römischen Juristen in ihrer vis und subtilitas den Werken über Mathematik (Geometrie) gleichstellt, über Jhering, der als besondere Vorzüge der frühen Periode der römischen Jurisprudenz neben musterhafter Ordnung ‚mathematische Regelmäßigkeit und Genauigkeit‘ und ‚unerbittliche Konsequenz‘ anerkennt, zeigt Horak, dass auch heute noch – wenigstens für die in Frage stehende Periode der römischen Jurisprudenz – die zwingende Logik, ja mathematische Genauigkeit der Schlussfolgerungen der römischen Juristen angenommen wird. (…) Horak vermag aber zu zeigen, dass wir auch für die Zeit der veteres und Labeos die Willkürlichkeiten, den weitgehenden Mangel an allgemeinen Begriffen und allgemein gültigen Lösungen, sowie die vielfachen bloß im Subjektiven begründeten Anschauungen und die damit in Erscheinung tretenden Widersprüche nicht übersehen dürfen und damit der Glanz der Logik und der mathematischen Regelmäßigkeit auch des Juristenrechtes dieser Periode nicht gegeben ist.“

Der Salzburger Romanist Theo Mayer-Maly merkt am 22. April 1969 in einer Stellungnahme an, dass Horak der jeder rechtshistorischen Arbeit drohenden Gefahr, „den Gegenwartsbezug zu verlieren“, entgangen ist: „Zugleich konnten der modernen juristischen Methodologie, die sich immer dringlicher fragt, wie man eigentlich dazu kommt, etwas als Recht zu bezeichnen (vgl. [Martin] Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1966), wichtige zusätzliche Aspekte erschlossen werden. Aber auch für das eigentlich römischrechtliche Forschungsfeld bedeutet schon die Themenstellung des Verfassers einen anerkennenswerten Fortschritt: Weithin war und ist ja das Pauschalurteil verbreitet, die römischen Juristen hätten keine oder wenigstens keine ausführlicheren Begründungen geboten, sondern ihre Ergebnisse gleichsam intuitiv erfasst; sogar eine Stellungnahme von so hohem Rang wie Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, 1962, Nr. 2) beruht in vielem noch auf der Annahme einer Begründungsscheu oder -indifferenz der Römer. Dem gegenüber macht die Arbeit des Verfassers deutlich, dass die römischen Juristen doch öfter und eingehender begründet haben, als man gemeiniglich annimmt. (…) Ein besonderer Vorzug der Arbeit liegt in der Konfrontation der romanistischen Fragestellung mit der modernen Wissenschaftstheorie.“[8]

Franz Horak trat dann 1971 – neben dem 1970 zum Herdlitczka-Nachfolger ernannten Salzburger Dozenten Fritz Raber – eine neu errichtete römischrechtliche Professur an. Mit Horak waren der Grazer Privatdozent Herwig Stiegler, Schüler von Gunter Wesener, und der in Münster lehrende Dozent Karlheinz Misera, ein Schüler von Max Kaser genannt. Begründet wurde die neue Professur 1970 damit, dass es vermehrt notwendig ist, „die Studierenden anhand der Digesten auf die für Österreich relevanten Problemstellungen aufmerksam zu machen“ und sie „auf das geltende österreichische Privatrecht“ vorzubereiten.

Als Quellengrundlage für die „Rationes decidendi“ diente Franz Horak neben Franz Peter Bremers „Iurisprudentiae antehadrianae quae supersunt“ (1896-1901) allen voran „Otto Lenels „Edictum perpetuum“ (1883) und vor allem Lenels „Palingenesia Juris Civilis“ (2 Bände, erstmals 1889 mit vielen späteren Nachträgen), womit Lenel eine „neue Epoche der Quellenkritik“ eröffnen konnte. 1924 schreibt Lenel in einer kleinen Autobiographie: „Sehr große Schwierigkeit bereitete mir die Frage, wie ich mich gegenüber den zahllosen Textkorruptelen, sowie gegenüber den nicht minder zahlreichen Interpolationen und in den Text eingedrungenen Glossemen verhalten solle.“ Als nunmehriger Freiburger Emeritus, ein Jahrzehnt vor der Ächtung durch die deutschen Faschisten stehend, meint Lenel 1924, dass seine „Interpolationenjagd“ mit dem Ziel, „in den Justianischen Quellen den klassischen Kern aus der byzantinischen Umhüllung herauszuschälen“, weit fortgeschritten, aber noch lange nicht abgeschlossen ist, was auch für die Romanisten-Generation um 1970 noch gelten sollte, wie die für Horak unentbehrlichen „Textstufen klassischer Juristen“, 1960 von Franz Wieacker vorgelegt, zeigen.[9]

Als rechtsgeschichtliche Leitschriften dienen Franz Horak etwa Fritz Schulz‘ – auch er vom NS-Regime zwangsemeritiert und aus Deutschland vertrieben – „Geschichte der römischen Rechtswissenschaft“ in der Fassung von 1961 und dessen „Prinzipien des römischen Rechts“ in der Fassung von 1954 oder Erwin Seidls „Römische Rechtsgeschichte und Römisches Zivilprozessrecht“ (1962).

Theoretische Vorlagen zur (romanistischen) Methodendiskussion sind allen voran Max Kasers Vortrag am Pariser Institut de Droit Romain „Zur Methode der römischen Rechtsfindung“ (deutsch Göttingen 1962), dann Erwin Seidls „Moderne zivilrechtliche Lehren als Erkenntnismittel der Rechtsgeschichte“ (1956),[10] Seidls Frage „War die Begriffsjurisprudenz die Methode der Römer?“ (1957)[11] oder dessen „Prolegomena zu einer Methodenlehre der Römer“ (1966).[12]

Wichtig auch die Methoden-Arbeiten von Franz Wieacker, abwehrend distanziert werden von Horak Theodor Viehwegs „Topik und Jurisprudenz“ (1953),[13] Karl Larenz oder Josef Esser rezipiert. Insgesamt waren all diese Letzterwähnten intellektuelle Leitfiguren und BRD-Spitzenwissenschaftler, von denen nicht verschwiegen werden kann, dass einige ihr erstes akademisches Kapital im Einsatz für die NS-Jurisprudenz erworben hatten.

Franz Horaks Leistung wurde eingehend gewürdigt, vor allem durch Rezensionen wie jene von

Franz Wieacker: Rationes decidendi, in: ZRG/RA 88 (1971), 339-355.

Erwin Seidl, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 39 (1971), 477-480

oder Bruno Schmidlin, in: Gnomon 45 (1973), 468-474.

Erwin Seidl, der zu diesem Zeitpunkt gerade „Labeos geistiges Profil“ vorlegte, teilt Franz Horaks Begründungen in jene der „echten Subsumtion“ und jene nach Wahrscheinlichkeit ein. Für jede Variante der „echten Subsumtion“: Anwendung einer Rechtsnorm, Folgerung mittels Logik und Grammatik, aus einem Satz allgemein anerkannter, rezipierter Juristenlehre, aus einer regula iuris, mittels der juristischen Konstruktion, aus einem bestimmten Rechtsbegriff – und für die Wahrscheinlichkeitsbegründungen: Begründung aus kontroverser Juristenlehre oder eigener Ansicht eines Juristen, aus dem Sprachgebrauch, aus dem Willen, aus philosophischen Erwägungen, aus Sitte und Sittlichkeit, mittels Analogie, mittels eines Beispiels, mittels deductio ad absurdum, aus Naturgegebenheiten – zitiert Seidl einen Digesten-Text als Beispiel.

Franz Wieacker, Max Kaser und Erwin Seidl waren dem Innsbrucker Institut für Römisches Recht in vieler Hinsicht verbunden. So hält Wieacker, Göttingen, 1970 im Rahmen des 300-Jahr-Jubiläums der Universität Innsbruck zwei Vorträge, über das „Ende der klassischen Jurisprudenz“ und über die „Bedeutung des römischen Rechts für die geltende Privatrechtsordnung“. Kaser, Hamburg, spricht aus selbem Anlass über „Kauf und Eigentumsübertragung“. Seidl wirkte nach seiner Kölner Emeritierung für einige Semester hier in Innsbruck als Honorarprofessor. Im Wintersemester 1975/76 hielt er ein Kolleg „Einführung in die juristische Papyruskunde“ ab.

Dass Franz Horaks „Rationes“ im Mittelpunkt einer international geführten romanistischen Methodendiskussion standen, zeigt Franz Wieackers an prominenter Stelle publizierter Aufsatz „Zur Rolle des Arguments in der römischen Jurisprudenz“ 1976 in der Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag (S. 3-27). Wieacker knüpft in vielfältiger Weise an diese Innsbrucker Habilitationsschrift aus dem Jahr 1969 an: „Das umfassendste Zeugnis dieser Forschungsrichtung sind bis zur Stunde Franz Horaks rasch zu berechtigtem Ansehen gelangte ‚Rationes decidendi‘, seinen Fragestellungen und seiner ersten umfassenden Sichtung des republikanischen Materials sind die folgenden andeutenden Betrachtungen auf Schritt und Tritt verpflichtet.“ Horak hat diese Juristen-Begründungen methodisch brillant untersucht: „Die expliciten Begründungen der Juristen für ihre Rechtsmeinungen sind bekanntlich nicht nur wortkarger, sondern auch seltener als in irgendeiner Epoche der europäischen Jurisprudenz seit den Glossatoren.“ Warum ist dem so? Einmal der „spätere Textverlust. Schon in klassischer Zeit in den Epitomierungen, denen besonders Servius, Alfenus und Labeo ausgesetzt waren, sind zahlreiche Argumente der Originalschrift verschwunden; noch mehr sind den Kompilatoren zum Opfer gefallen. (…) Aber auch wenn uns die Originale vorlägen: wir wären vermutlich immer noch über die Spärlichkeit und Kurzangebundenheit expliciter Begründungen überrascht. Die oft notierte und oft nur als altrömischer Lakonismus gewertete Erscheinung hat komplexere Gründe. Zum Teil beruht sie wirklich auf einem gewissen Vorzug der Tradition, vor allem beim unstrittigen Recht quo utimur, oder auf der früheren oder aktuellen Autorität angesehener Juristen – so wenig das Traditions- und Autoritätsprinzip überschätzt werden darf. Auch gilt ein solches stat pro ratione voluntas mehr für das konkrete Responsum als für die in die literarische Fachdiskussion gelangte, problematisierte quaestio. Ferner aber wird das Argument offenbar häufig impliziert; es ist im Sinn der griechischen Theorie enthymematisch.“

Wieacker will das Argument nicht im Sinn der heutigen Wertungsjurisprudenz verstanden wissen, will es aber nicht bloß als Dekor zur Verdeckung von „Demagogie und Hypokrisie“, als Verschleierung der Machtansprüche öffentlicher Meinungsträger abgewertet wissen: Der „Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz seit der späten Republik bestimmt auch die Funktion des juristischen Arguments. (…) Das Verfahren ist nicht nur rational, sondern auch wissenschaftlich im Sinn der griechischen Theorie. Denn diese gesteht nicht nur den apodiktischen, sondern auch den induktiven und anderen auf Wahrscheinlichkeit gestützten Beweisen in den Erfahrungs- und Handlungswissenschaften (wie der Heilkunde, der Technik, der Politik) methodische Dignität zu.“

Wieacker beschreibt die „selbständigen Bestimmungsgründe“ nach „Horaks Katalog“: „Logik und Grammatik, Rechtsbegriffe, juristische Konstruktion, Sprachgebrauch und Parteiabsicht, ‚philosophische Erwägungen‘, Analogie (im weitesten Sinn) und ‚Naturgegebenheiten‘. Horak verteilt diese Kategorien in einleuchtendem Anschluss an die aristotelische Unterscheidung strenger und wahrscheinlicher Beweise vorschlagsweise auf ‚Deduktion aus sicheren Prämissen‘ [Rationes, 84-170] und ‚Wahrscheinlichkeitsbegründungen‘ [Rationes, 171-287] (…) Das schon von Horak angedeutete [Rationes, 288ff.] erste Ergebnis ist das Zurücktreten streng ableitender Begründungsfiguren hinter den unstrengen, induktiven Wahrscheinlichkeitsbeweisen. Noch wichtiger scheint uns, dass jedenfalls in dem bisher bearbeiteten Material deduktive und induktive Beweise, und innerhalb dieser beiden Kategorien auch wieder die verschiedenartigen Figuren untereinander, von den Juristen promiscue und stellvertretend eingesetzt werden können. So wie im allgemeinen die Berufung auf Gesetz, Edikt, Tradition und die Autorität des ius non controversum mit rationalen Argumenten kumuliert werden oder alternieren kann, so werden auch bei ein und demselben Juristen wie in der fortlaufenden Diskussion einer quaestio die Beweisfiguren vermischt.“

Franz Horak hat seine Position 1976 in seiner Erwiderung auf Wolfgang Waldstein und Werner Flume zusammengefasst.[14] Welchen Grad an so genannter „Wissenschaftlichkeit“ hat die römische Jurisprudenz erreicht, oder ist sie in irrationalen Wertungen versunken? Letzteres ist nicht eingetreten, aber: „Skeptisch geäußert habe ich mich gegenüber den Vergleichen der Denkweise und Methode der römischen Juristen mit der Mathematik. Hier habe ich bekannte Äußerungen von Savigny, Jhering und vor allem von Leibniz kritisch zitiert. Und angesichts einer Äußerung Jherings (‚Geblendet durch den Glanz des Logischen, der das römische Recht bedeckt und jedem, der sich ihm naht, zuerst in die Augen fällt, …‘), habe ich die Ansicht ausgedrückt, dass wir heute die zwingende logische Folgerichtigkeit nicht mehr sähen, die für Leibniz, Savigny und Jhering so evident hervorleuchtete; und ich habe mich unterfangen, ohne viel Federlesens über das römische Recht zu schreiben: ‚Der ‚Glanz der Logik‘ ist dahin.‘ Dies hat mir jüngst [1974 von Waldstein und Flume] Widerspruch und wohl auch einen gewissen Tadel eingetragen.“ „Logik und Konsequenz“ habe er den römischen Juristen nie absprechen wollen, aber, „da wir nicht mehr in der Zeit eines Descartes oder Leibniz, aber auch nicht mehr in der Epoche der Begriffsjurisprudenz leben“, halte er die „bekannte Savigny-Stelle, in der vom ‚Rechnen mit Begriffen‘“ die Rede ist, für völlig übertrieben, was schon Fritz Schulz in den „Prinzipien des römischen Rechts“ viel „zu weit ging“: Ist Leibniz‘ Ideal, „auch die nichtmathematischen Wissenschaften, insbesondere die Jurisprudenz, zu mathematisieren und more geometrico, d.h. nach dem Vorbild Euklids, den er immer wieder nennt, in ein System zu bringen“, noch zu retten?[15]

1984 wiederholt Franz Horak in „Dogma und Dogmatik“: „Hingegen wird man nur mit großem Vorbehalt akzeptieren, dass die römischen Juristen – oder zumindest die ‚logischen‘ unter ihnen – als Vertreter einer logiké techne ein axiomatisches Aufbauprinzip nach dem Muster der Geometrie übernommen hätten.“ Auch die Begriffswelt des jüngeren Rudolf Jhering vom „Geist des römischen Rechts“ und dessen Rede vom „Construiren“, von der „naturhistorischen Methode‘ ist nach Horak dahin.[16]

In den späten 1970er Jahren ist Horaks „Römisches Juristenrecht im Licht moderner Rechtsquellentheorien“ entstanden, 1980 in „Kürschners Gelehrtenkalender“ als Publikation angegeben, wenngleich mit unklarem, derzeit nicht identifizierbarem Erscheinungsort.

Skeptisch betreffend Hans Kelsens Normativismus, gegen eine an einem „Stufenbau der Rechtsordnung“ orientierte Geltungstheorie, und dessen Annahme einer „transzendentallogisch“ vorgelagerten Grundnorm, gegen Kelsens Sein-/Sollendualismus und dessen stete Verurteilung von jedem Methodensynkretismus knüpft Horak an die oben erwähnte Sicht von Fritz Schulz (1961) und Wolfgang Waldstein (1965) an, wonach eine strenge Trennung von Rechtserkenntnis, Rechtsanwendung und Rechtserzeugung im Römischen Recht nicht gegeben ist. Franz Horak meint, dass Kelsen, hätte er sich näher mit dem Römischen Recht befasst, mit „dem obersten Gebot seiner Lehre, der Reinheit, in Konflikt gekommen“ wäre: „Er war davon ausgegangen, das Recht rein normativ als Recht zu begreifen und die Rechtslehre aus allen Verstrickungen in Psychologie und Soziologie, Ethik und politischer Theorie zu befreien. Aber wie soll eine Theorie dann einem ‚Recht‘ genügen, in dem rein rechtliche Elemente von außerrechtlichen nicht zu trennen sind?“

Viel besser lässt sich nach Horak das römische Recht in seinen Ablaufphasen über viele Jahrhunderte mit Hilfe des „Rechtsrealismus“, etwa jenem von Alf Ross erklären. Horak spricht mit Blick Alf Ross‘ Rechtsrealismus von einer „kopernikanischen Wende“, wonach etwa der Richter nicht die „Rechtsquelle“ anwendet, sondern vielmehr solche schafft. Horak orientiert sich an Alf Ross‘ „Theorie der Rechtsquellen. Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen“, 1929 erschienen, übrigens in einer von Hans Kelsen mit herausgegebenen Schriftenreihe: „Der realistische Ansatz bei Alf Ross findet sich schon in der ‚Theorie der Rechtsquellen‘, dort stellt Ross fest, [dass ‚keine andere Möglichkeit bleibt, als das Dogma aufzugeben, dass der Richter nicht Recht schafft‘]‚ ‚dass das Gewohnheitsrecht, Naturrecht, die Doktrin usw. alles nur Recht ist, wenn und in dem Maße, wie es im Gerichte Anwendung findet‘ (Ross 1929, S. 295). Die Kategorie eines objektiven Sollens, als eines a priori vorgegebenen Begriffs, wird als Illusion und Rationalisierung abgelehnt. Dennoch will Ross nicht auf jeden normativen Gesichtspunkt, jeden Begriff der Geltung (validity) verzichten.“

In einer Besprechung der „Wissenschaftslehre im Zivilrecht des Q. Mucius Scaevola pontifex“, einer Akademieschrift des Göttinger Fachkollegen Okko Behrends hat Franz Horak bestritten, dass Zuordnung eines Juristen zu einer bestimmten philosophischen Schulrichtung aussagekräftig ist, und dass sich daraus etwas Relevantes für dessen Rechtstätigkeit ableiten lässt. Im vorliegenden Fall der Stoa bedeutet dies schon allein deshalb nichts, da der „Stoizismus“ im römischen Sprachgebrauch allerhand bedeuten kann, „von ernsthafter Philosophie bis zum Essen aus tönernem Geschirr“ reichend.[17] Ab den 1990er Jahren kam es dann zu einer Zusammenarbeit des Innsbrucker Instituts (Constanze Ebner, Fritz Raber und Franz Horak) an der federführend von Okko Behrends geleiteten „Corpus Iuris Civilis“-Übersetzung.[18]

Franz Horak, der über viele Jahre die rechtsphilosophische Lehre an der Juristenfakultät übernehmen sollte, bespricht knapp nach dem Erscheinen Johannes Messners „Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftskritik, Staatsethik und Wirtschaftsethik“ in der Fassung der 5. Auflage von 1966 (Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien-München, 1372 Seiten). Offenbar blieb das in den späten 1960er Jahren entstandene Manuskript unveröffentlicht. Constanze Ebner, langjährige hoch gelehrte wissenschaftliche Beamtin am Institut für Römisches Recht und Mitarbeiterin von Franz Horak, hat das Manuskript gesichert.

Horak folgt der Abrechnung mit dem Naturrecht durch Hans Kelsen. Er schätzt Messners „Naturrechts-Summe“ selbst innerkatholisch als zugunsten einer „theologischen Ethik und einer Sozialtheologie“ in die Defensive geratend ein. Messners Versuch, dem „raschen Erstarken des rechtsphilosophischen Relativismus“ entgegen zu halten, und allenfalls verhalten sozialpolitisch etwa im Sinn der Entwicklungen, die zur Enzyklika „Populorum progressio“ führen sollten, zu reagieren, scheinen wirkungslos, da Messner in der „traditionellen, katholisch-scholastischen Naturrechtslehre“ verharrt. Horak hält jede „ontologische Begründung des Naturrechts“ für längst anachronistisch, sinn- und aussichtslos: „Wie kommen wir von unserem Wissen über das Sein des Menschen und der Welt zu einem Wissen, über das, was wir sollen? Ist ein Schließen vom Sein auf das Sollen überhaupt möglich?“

Horak stimmt Kelsen zu, der der Naturrechtslehre vorwirft, „einen ‚fundamentalen logischen‘ Fehler‘ zu begehen, wenn sie aus dem Sein ein Sollen, aus der Natur Normen deduziert (Reine Rechtslehre, 2. Auflage [1960], 405)“. Messners Einwänden, dass Kelsen auf Grundlage einer „antimetaphysisch neopositivistischen Ideologie“ die göttliche Personalität des Menschen, sein „Vermögen zur Verantwortung“ nicht erkennen kann, gewinnt Horak nichts ab. Es gibt kein in einer von Messner ohnehin regressiv egoistisch/aggressiv vorgestellten Triebstruktur selbst angelegtes Sollen: „Obwohl Messner also expressis verbis den Unterschied zwischen Sein und Sollen zugibt, versucht er immer wieder, der Schwierigkeit, die schon Hume gesehen hatte zu entgehen, indem er Sollensätze (Normen) sprachlich umformt in Seinsätze (Aussagen), mit anderen Worten, indem er die Kopula ‚soll‘ durch die Kopula ‚ist‘ ersetzt.“

Horak qualifiziert Messners naturrechtliche Prinzipien (von familiärer Treue, vom „suum cuique“, als Gerechtigkeit im Sinn von „Jedem das Seine“, „Tue das Gute, meide das Böse“, Annahme einer unveränderlichen Natur des Menschen mit daraus folgenden sittlichen Prinzipien) für „Leerformeln mit analytischem, zirkulärem und tautologischem Charakter“. Messner versucht sich mit einem mehr als fragwürdigen Rückgriff auf Immanuel Kant zu retten: „Nicht glücklich ist es schließlich, wenn Messner die obersten naturrechtlichen Prinzipien als synthetische Urteile a priori bezeichnet. Zunächst deshalb, weil sie keine Urteile sind, sondern Sollenssätze. Sodann, weil der Ausdruck ‚synthetische Urteile a priori‘ durch Kant eine ganz präzise Bedeutung erhalten hat mit der Messners Gebrauch des Ausdrucks nur eine oberflächliche Ähnlichkeit hat. Bei Kant sind es Urteile, die allgemeingültig und notwendig sind (a priori), ohne dass die Hinzufügung des Prädikats zum Subjekt im Begriffe des Subjekts selbst begründet ist (synthetisch). Sie sind nach Kant möglich auf Grund reiner Anschauung (Raum und Zeit) oder reiner Verstandesbegriffe (Kategorien). Bei Messner dagegen handelt es sich darum, dass Verhaltensweisen, die das Kind in der Familie (durch Lohn und Strafe) als gut oder böse zu bewerten gelernt hat, später evident als gesollt oder verboten erfasst werden.“

Messner verschließt sich – so Horak richtig erkennend – jeder Ideologiekritik. 1961 hat August Maria Knoll, ehemaliger Privatsekretär von Ignaz Seipel, des „Prälaten ohne Milde“, und in Tagen des „Ständestaats“ noch Gesinnungsgenosse von Messner, das Erbe des katholischen Naturrechts als das einer opportunistischen Unterdrückungsideologie markiert. Wenn Knoll ausgehend vom paulinischen Imperativ „Herren, seid gute Herren, Sklaven, seid gute Sklaven“ verschiedene „Irrtümer der scholastischen Naturrechtslehre“ und „bedauerliche Haltungen kirchlicher Stellen“ in Fragen der Sklaverei, der kolonialen (spanischen) Zwangsarbeit oder der Duldung der Kinderarbeit aufzeigt, so kann selbst ein Messner der historischen Evidenz nicht widersprechen. Von seinen „pamphletischen Überspitzungen“ und von einem „soziologischen Fehlansatz“ ausgehend kann Knoll – nach Messners Antikritik – aber die „heutige scholastische Naturrechtslehre“ und ihren angeblichen Wert in „Grundfragen der sozialen Reform“ nicht erschüttern. Nach Messner geht Knoll mit seiner Abwertung der christlichen Soziallehre „als Apologie des bestehenden Eigentums“ in die Irre. (Messner, Naturrecht, 5. Auflage, 342-344)

Knoll, nach 1945 Professor für Soziologie an der Universität Wien, wurde wegen dieses Büchleins über „katholische Kirche und scholastisches Naturrecht“ kriminalisiert und in seinen letzten Lebensjahren aus allen katholischen Sozialinstituten verdrängt.[19]

Nach 1945 hat Messner als Wiener Universitätsprofessor der Ethik und Sozialwissenschaft seine Sozialismuskritik aus der Sprache des rechtsautoritären Ideologen der 1920er Jahre in Richtung einer akademischen Diktion adaptiert: „Der Sozialismus verkennt, dass die soziale Ordnung zuinnerst eine sittliche Aufgabe ist (…).“ Messner zählt die „Klassenkampfideen“ zu jenen Annahmen, die von der „unvoreingenommenen Sozialwissenschaft“ zu den „soziologischen Irrtümern“ gezählt würden, zumal sie im Widerspruch zu einer von „Gerechtigkeit und Liebe bestimmten Sozialordnung“ stünden, der Sozialismus als Verfallserscheinung: „In einem Punkt scheint [Oswald] Spengler recht zu haben: dass kollektivistische Bewegungen in Spätzeiten kultureller Entwicklung die Gebrochenheit der Kultur bezeugen. Der moderne Sozialismus bildet davon keine Ausnahme, er ist ein Symptom der Kulturkrise des Westens. In einer Kultur mit ungebrochener Vitalität würde für die sozialistische Gleichheitsidee und die sozialistische Idee der sozialen Sicherheit kein Platz sein.“ Bei gleichzeitiger Verteidigung des Privateigentums an Produktionsmitteln als christlich sittenkonform billigt Messner die betriebliche Mitbestimmung und das Streikrecht, aber nur unter den zahlreichen Einschränkungen der so genannten „negativen Koalitionsfreiheit, gegen sogenannten gewerkschaftlichen „Organisationszwang“, auch den Schutz des im Arbeitskampf (streikbrechenden) „Arbeitswilligen“ im Auge behaltend.[20]

Johannes Messners Wirken als Wiener Universitätsprofessor blieb bis in das hohe Alter ungebrochen mächtig. Als Gerhard Oberkofler 1976 die antisozialistische Stoßrichtung der „berufsständisch“ katholischen Naturrechtsapologetik in Anmerkungen zur „Geschichte der katholischen Soziallehre in Österreich. Victor Cathrein, Joseph Biederlack, Sigismund Waitz und Johannes Messner über die Klassenorganisationen der Arbeiterbewegung“[21] beschrieben hatte, verlangte der einflussreiche Leiter des „Hauses der Begegnung“, der zentralen Bildungseinrichtung der Diözese Innsbruck, Monsignore Viktor Zorzi, in einem Rundbrief an Tiroler Kulturinstitutionen, derartige Kommentare künftig nicht mehr zu drucken und nicht mehr mit Subventionen zu fördern.

1947 wurde dem Moraltheologen Johannes Kleinhappl, noch dem Jesuitenorden angehörend, die eben erst an der Innsbrucker Theologischen Fakultät erlangte Professur abrupt und hart entzogen, da Kleinhappls „Anschauungen mit dem päpstlichen Rundschreiben Quadragesimo anno nicht vereinbar“ sind. Obwohl der „rote“ Tiroler Bischof Paulus Rusch, der Kleinhappl Sympathie entgegenbrachte, diesem als zuständiger Ortsordinarius die kirchliche Lehrerlaubnis nie entzog, musste sich Kleinhappl isoliert nach Wien zurückziehen.

Johannes Kleinhappls Kapitalismuskritik ging unmittelbar nach der Befreiung Österreichs 1945 von Gesellschaft als einem System antagonistischer Klasseninteressen, also auch von Karl Marx‘ Arbeitswertlehre, Mehrwerttheorie, von Marx‘ Deutung der brutalen (ursprünglichen) kapitalistischen  Akkumulation, beschrieben im Abschlusskapitel von „Kapital I“ (1867), von Marx‘ und Engels‘ Klassenkampfananalyse aus, weshalb er in Widerspruch zur naturrechtlich fundierten Apologetik des Privateigentums an Produktionsmitteln durch die Enzyklika „Rerum novarum“ (1891) und vor allem von „Quadragesimo anno“ (1931) geriet. Kleinhappl verurteilte die katholische Rede von einem „Arbeiterstand“ statt von einer Arbeiterklasse. Er widersprach einer sogenannten „Berufssolidarität von Kapital und Arbeit“. Eine solche kann es nicht geben. Eine solche Annahme verewigt schönfärberisch die Lohnsklaverei.[22]

Großes Unverständnis zeigte Kleinhappl Anfang der 1970er Jahre, als das sozialdemokratisch regierte „Rote Wien“ den „Sozialpolitiker“ Johannes Messner mit einem „Ehrenring“ auszeichnete, jenen Messner, der als Dollfuss-Hagiograph 1935 die Liquidierung des Austromarxismus nach dem 12. Februar 1934 begrüßt hatte und der vom Vordenker des „Ständestaats“ nach 1945 zum Verklärer eines harmonisierend unter dem Titel „soziale Marktwirtschaft“ firmierenden Kapitalismus geworden war. Unter Hinweis auf Dollfuß‘ Rede vom „jüdischen Marxismus“ hat Messner 1935 hasserfüllt das Ende der sozialistischen Arbeiterbewegung begrüßt: Anfang 1933 konnte, so Messner, noch niemand ahnen, „dass das Strafgericht der Geschichte über jene Partei, die nie an das Staatsinteresse, sondern immer nur an das Parteiinteresse dachte, so rasch hereinbrechen würde. Denn daran ist die Sozialdemokratie in Österreich schließlich zugrunde gegangen, dass sie ihre Partei auch dann noch über Staatswohl und Volksgemeinschaft stellte, als das Volk längst den Parteienkampf und den Klassenkampf als Verbrechen an seiner Lebensgemeinschaft zu erkennen und sich auf die naturgegebenen Gesetze seines Zusammenlebens in Staat und Wirtschaft zu besinnen begonnen hatte. (…) Nicht minder wüteten die marxistischen Führer gegen das überkommene Erbe des Volkes, um für den atheistischen und materialistischen Sozialismus Raum zu schaffen.“ Die Gewerkschaften denunzierte Messner als erledigte „Stoßtruppe der Sozialdemokratie im Klassenkampf“.[23]

Franz Horak war u.a. in der Gefangenenhilfe Tirol aktiv tätig. Mit seinen Professorenkollegen Gerhard Oberkofler (Geschichte) und Andreas Scheil (Strafrecht) bemühte er sich darum, dass an den in Innsbruck kurzfristig und eher zufällig immatrikulierten und am Tag seiner Hinrichtung am 22. Februar 1943 vom Rektorat der Universität Innsbruck vom Studium ausgeschlossenen Medizinstudenten Christoph Probst, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, erinnert wird. Horak, Oberkofler und Scheil bemühten sich darum, dass an Christoph Probst und seine Freunde als KämpferInnen für ein demokratisches, entmilitarisiertes und humanistisches Deutschland erinnert wird, und dass das Gedenken an die „Weiße Rose“ nicht ausschließlich religiös beansprucht wird. In diesem Sinn hat Franz Horak bei der Enthüllung der Gedenktafel für Christoph Probst am „Ehrenmal“ der Universität im November 1984 auf die Inschrift „Humanität – Freiheit – Demokratie“ verwiesen und auf den Umstand, dass die Mitglieder der „Weißen Rose“ in den Tagen der Niederlage von Stalingrad, aber auch des Umstands, dass die Macht des deutschen Faschismus „immer noch von Norwegen bis Afrika, von Frankreich bis Griechenland und zum Balkan“ reichte, zum politischen Widerstand gerufen haben.[24]

 

[1] Vgl. Wolfgang Brezinka: Vom Erziehen zur Kritik der Pädagogik. Erfahrungen aus Deutschland und Österreich, Wien 2019, 62-78.

[2] Vgl. Pierre Sachse und Peter Goller: Wolfgang Stegmüller im intellektuellen Umfeld der Universität Innsbruck (1941-1958), in: Journal Psychologie des Alltagshandelns 16/2 (2023), 50-64.

[3] Vgl. Wolfgang Waldstein: Nachruf auf Arnold Rudolf Herdlitczka (1896-1984), in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte/Romanistische Abteilung (künftig: ZRG/RA) 102 (1985), 796-803.

[4] Universitätsarchiv Innsbruck, Jur. Habilitationsakten nach 1945, Habilitationsakt „Wolfgang Waldstein“ und im Folgenden „Franz Horak“.

[5] Vgl. Wolfgang Waldstein: Über das Wesen der römischen Rechtswissenschaft (Innsbrucker Antrittsvorlesung 17. Februar 1965), in: Juristische Blätter 88 (1966), 5-12.

[6] in: Juristische Blätter 88 (1966), 351-354.

[7] Vgl. Wolfgang Waldstein: Vorpositive Ordnungselemente im Römischen Recht. Antrittsvorlesung gehalten am 25. Jänner 1966 an der Universität Salzburg. (=Salzburger Universitätsreden 19), Salzburg-München 1967. Vgl. Martin Schermaier: Wolfgang Waldstein (1928-2023), in: ZRG/RA 141 (2024), 704-727.

[8] Thematisch im Zusammenhang mit der Habilitationsschrift stehend Franz Horak: Die rhetorische Statuslehre und der moderne Aufbau des Verbrechensbegriffs, in: Festgabe für Arnold Herdlitczka zu seinem 75. Geburtstag, München/Salzburg 1972, 121-141 und Franz Horak: Zur rechtstheoretischen Problematik der juristischen Begründung von Entscheidungen, in: Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, hrg. von Rainer Sprung und Bernhard König, Wien-New York 1974, 1-26.

[9] Vgl. Otto Lenel: Selbstdarstellung, in: Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrg. von Hans Planitz, Leipzig 1924, 133-152, hier 147f. Über Lenel, dessen Witwe vom NS-Regime umgebracht wurde, dessen Tochter mit Mühe überlebte vgl. Hugo Sinzheimer: Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, Frankfurt 1953, 97-110.

[10] in: Das deutsche Privatrecht in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Heinrich Lehmann zum 80. Geburtstag, Band 1, Berlin 1956, 97-112.

[11] in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 43 (1957), 343-366.

[12] in: Aktuelle Fragen aus modernem Recht und Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, Berlin 1966, 359-378. In „Rationes“ 1969, 1f. Anmerkung 3 zitiert Horak zahlreiche weitere Vorlagen.

[13] Theo Mayer-Maly merkt im April 1969 in seiner Stellungnahme an: „Nachdrückliche Zustimmung verdient die Korrektur des durch Viehweg populär gewordenen Irrtums, topische Jurisprudenz sei eine Alternative zur systematischen (dazu Rationes, S. 69ff). Völlig zutreffend kennzeichnet [Horak] Ciceros Konzept der Topik, das sich als ein überaus systematisches herausstellt. Der Gemeinplatz, die römischen Juristen hätten sich ebenso wie die angloamerikanischen im Gegensatz zu den kontinentalen einer topischen Methode verschrieben, ist nach den Argumenten Horaks nicht mehr aufrechtzuerhalten.“

[14] Vgl. Wolfgang Waldstein: Konsequenz als Argument klassischer Juristen, in: ZRG/RA 92 (1975), 26-68 und Werner Flume: Der bedingte Rechtsakt nach den Vorstellungen der römischen Klassiker, in ebenda 69-129.

[15] Vgl. Franz Horak: Die römischen Juristen und der „Glanz der Logik“, in: FS Kaser 1976, 29-53.

[16] Vgl. Franz Horak: Dogma und Dogmatik. Zur Genese und Entwicklung eines Begriffs in der Wissenschaftsgeschichte, in: ZRG/RA 101 (1984), 275-293.

[17] Neben einer Arbeit von Aldo Schiavone bespricht Franz Horak 1978 in ZRG/RA 95, 402-421 Okko Behrends‘ „Die Wissenschaftslehre des Q. Mucius Scaevola pontifex“ (Göttingen 1976), schon zuvor Franz Horak: Kreditvertrag und Kreditprozess in den Zwölftafeln. Zugleich eine Rezensionsmiszelle von Okko Behrends: Der Zwölftafelprozess. Zur Geschichte des römischen Obligationenrechts (Göttingen 1974), in: ZRG/RA 93 (1976), 261-286.

[18] Vgl. Rezension von Theo Mayer-Maly Besprechung von „Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, Band II, hrg. von Okko Behrends u.a., Heidelberg 1995, in: ZRG/RA 113 (1996), 451-454. - zu weiteren Arbeiten Franz Horak: Rechtsirrtum in Philosophie und römischem Recht. Besprechung von Laurens C. Winkel, Error iuris nocet. Rechtsirrtum als Problem der Rechtsordnung, Band 1: Rechtsirrtum in der griechischen Philosophie und im römischen Recht bis Justinian, 1985, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 56 (1988), 355-365 oder Franz Horak: Wer waren die „veteres“? Zur Theorie der klassischen römischen Juristen, in: Vestigia Iuris Romani. Festschrift für Gunter Wesener zum 60. Geburtstag, Graz 1992, 201-236, zahlreiche Einträge in [Paulys] Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, zum Kleinen Pauly.

[19] Vgl. August Maria Knoll: Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht, eingeleitet von Ernst Topitsch, Luchterhand-Verlag, Neuwied-Berlin 1968, 70f. (Erstausgabe Europa-Verlag, Wien 1962). Dass auch Knolls Geschichte des Naturrechts nicht das letzte Wort sein konnte, wenn an Grotius, Thomasius oder u.a.m. an Riegger oder Martini gedacht wird vgl. zeitgleich Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt 1961 oder Hermann Klenner: Der Januskopf des Naturrechts – damals und heute, in: Karl Anton von Martini. Ein österreichischer Jurist, Rechtslehrer, Justiz- und Bildungsreformer im Dienste des Naturrechts, hrg. von Heinz Barta und Günther Pallaver, Wien-Berlin 2007, 22-39.

[20] Vgl. Johannes Messner: Die soziale Frage im Blickfeld der Irrwege von gestern, der Sozialkämpfe von heute und der Weltenscheidungen von morgen, 6. neubearbeitete Auflage, Innsbruck, Wien, München 1956, 259-263, 286.

[21] in: Alpenregion und Österreich. Festschrift für Hans Kramer, hrg. von Eduard Widmoser und Helmut Reinalter, Innsbruck 1976, 95-104.

[22] Vgl. Johannes Kleinhappl: Unus contra omnes. Der schwere Weg gegen den Strom – Dokumentation – Reflexion – Kommentar, Tyrolia, Innsbruck-Wien 1996, 52-93.

[23] Vgl. Johannes Messner: Dollfuß, Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck 1935, 51f. 54.

[24] Vgl. Franz Horak: Ansprache bei der Enthüllung der Gedenktafel für Christoph Probst am 6. November 1984, in: Gaismair-Kalender 1986, 50f.

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