Student Paper Series #5/2025
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Matthias Thoma
Die Nationalratswahl 2024 hinterließ trotz knappen FPÖ-Sieges keine tragfähige Mehrheit. Die Regierungsbildung zog sich bis ins Frühjahr 2025. Zwei Regierungsbildungsaufträge und ein amtierender Kanzler scheiterten - der Bundespräsident blieb still, aber wirksam: Alexander Van der Bellen manövrierte mit gezieltem Framing die Republik aus einer Staatskrise.
Drama ohne Dirigentenstab
Gänzlich neue, zersplitterte Mehrheiten, gegenseitige Vetos und lange Sondierungen prägten die Nationalratswahl 2024. Van der Bellen verzichtete auf sichtbare Interventionen und setzte auf aktives Abwarten: Gespräche auf Augenhöhe mit allen, minimale öffentliche Statements, Signale von Stabilität und Verantwortung. So blieb der politische Prozess im Rahmen, ohne dass der Präsident selbst Partei ergriff.
Handlungsspielraum: Was darf der Bundespräsident?
Gemäß der Bundesverfassung obliegt alleinig dem Bundespräsidenten - nicht dem Nationalrat oder der Direktwahl - die Ernennung des Bundeskanzlers. Faktisch ist er dabei jedoch an Mehrheiten im Parlament gebunden. Die Österreichische Praxis löst diese Spannung über den sogenannten Rollenverzicht. Bewusste Selbstbeschränkung des Staatsoberhauptes etabliert sich als verfassungskulturelle Konvention, nicht als juristischer Zwang. Rechtlich möglich ist vieles, legitim ist, was Stabilität herstellt und stärkt. Der Vergleich macht sicher: 2019 setzte die Ernennung Bierleins ein sichtbares Krisensignal, wobei 2024/25 die kommunikative Reduktion dominierte.
Symbolische Macht: Präsenz durch Zurückhaltung
Die stärkste Ressource des Präsidenten ist die Macht des Wortes - sparsam eingesetzt. Mit Robert Entman lässt sich zeigen: Durch Auswahl und Gewichtung von Bedeutungen werden Probleme definiert, Verantwortung verortet und Lösungen nahegelegt. Van der Bellen nutzte Begriffe wie Stabilität, Verfassungstreue und Verantwortung. Dieser Deutungsrahmen erzeugte Handlungsdruck, ohne direkte Anweisungen zu geben. Diese Wirkung entfaltete sich im Rückblick erst in der Resonanz: Medien griffen die Zurückhaltung als staatsmännische Besonnenheit auf. Er überzeugte nicht durch Lautstärke, sondern vielmehr, weil sich die Gesellschaft mit seiner Haltung im öffentlichen Diskurs identifizieren konnte.
Kommunikation als stille Führung
Van der Bellen setzte den rhetorischen Rahmen nicht durch Anweisungen, sondern vielmehr durch Worte. In der Kommunikationswissenschaft spricht man von „Framing“: Das bedeutet, wie man Themen sprachlich einbettet und einen Deutungsrahmen schafft - also wie man sagt, worum es eigentlich geht. Seine wenigen öffentlichen Aussagen setzten auf wiederkehrende Begriffe: Verantwortung, Stabilität, Verfassung. Damit bot er Orientierung, ohne konkrete Vorgaben. Genau darin lag seine Führung. Durch Sprache Erwartungen formen, ohne die Entscheidung vorwegzunehmen. Statt mit Machtworten zu agieren, ließ er der Politik den Raum zur Lösung und erinnerte gleichzeitig an ihre Pflicht, genau das zu tun.
Leise Signale, starke Wirkung
In der längsten Regierungsbildung der Zweiten Republik wurde deutlich: Der Bundespräsident ist mehr als ein Notar der Verfassung - er ist ein unverzichtbarer, stabilisierender Anker im politischen System. Nicht durch Erlässe, sondern vielmehr durch klug gesetzte Worte. Nicht durch ständiges Eingreifen, sondern durch besonnene Präsenz. Van der Bellens Verhalten 2024/25 zeigt, dass Zurückhaltung keine Schwäche sein muss, sondern eine bewusste Strategie, besonders in polarisierten Zeiten, in denen das Handeln des Bundespräsidenten über das Auslösen oder Verhindern einer Staatskrise entscheidet.
Über den Autor
Matthias Thoma ist Studierender der Politikwissenschaften und im Vorsitzteam der Fakultätsvertretung Powi-Soz. an der Universität Innsbruck. Sein besonderes Forschungsinteresse liegt neben dem Österreichischen Politischen System besonders in den internationalen Beziehungen und internationaler Wirtschaftsdiplomatie.
Zitieren
Thoma, Matthias (2025): Die stille Macht des Bundespräsidenten, Powi Blog, Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck, https://www.uibk.ac.at/de/politikwissenschaft/kommunikation/powi-blog/thoma-bundespraesident.
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