Fortsetzungsgesuch von Inge Bauer, April 1938.

Fortsetzungsgesuch von Inge Bauer, April 1938

Die Ver­trei­bung „jüdischer“ Stu­die­ren­der 1938

Nach dem „Anschluss“ 1938 war es Studierenden, die nach den nunmehr auch in Österreich geltenden Nürnberger Gesetzen unabhängig von ihrer (a-)religiösen Selbstverortung als Juden*Jüdinnen definiert wurden, zunächst noch möglich, bereits begonnene Hochschulstudien fortzusetzen. Voraussetzung war die Genehmigung durch das Rektorat.

In Innsbruck sind derartige Ansuchen von vier Studierenden dokumentiert, es handelte sich dabei um die Geschwister Hans und Inge Bauer, Medizinstudierende im 6. und 2. Semester, Magdalena Heller, die Mathematik und Physik im 10. Semester studierte und Dr. Robert Popper, der im 2. Semester den zahnärztlichen Lehrgang absolvierte. Alle vier Gesuche wurden vom damals kommissarischen Rektor der Universität Innsbruck Harold Steinacker positiv beschieden, so dass die betroffenen Studierenden im Sommersemester 1938 als ordentliche Hörer*innen inskribieren konnten.

Aus den handschriftlichen Notizen auf den überlieferten Dokumenten geht hervor, dass bei den zuständigen Fakultäten Erkundigungen über die Gesuchsteller*innen eingeholt wurden, die zur Entscheidung mit herangezogen wurden. Im Fall von Magdalena Heller wurde der Mineraloge Bruno Sander um eine Stellungnahme gebeten, bei dem die Studentin eine Vorprüfung aus Mineralogie abgelegt hatte. Obwohl Sander angab, keine Erinnerung an die Studentin zu haben und die Heranziehung der Leistung selbst nahelegte – also obwohl die gewünschte Bewertung Hellers unterblieb – wurde ihr Gesuch vom 26. April 1938 vier Tage später bewilligt.

Auf dem Gesuch Robert Poppers, das Mitte Mai 1938 genehmigt wurde, finden sich ähnliche Notizen, welche die Erkundigungs- und Entscheidungswege sichtbar machen. Etwa ein Monat später wurde ihm eine Bestätigung ausgestellt, die seine 1935 mit dem Doktordiplom erworbene Berechtigung „nach den damals geltenden Vorschriften […] in ganz Österreich die Medizin, die Chirurgie und die Geburtshilfe auszuüben“ bescheinigte. Hintergrund dessen war das von den Nationalsozialisten erlassene Verbot der ärztlichen Praxisausübung für als jüdisch definierte Personen. So hatten auch Studienabsolvent*innen, die ihr Diplom innerhalb des Sommersemesters 1938 in einer sogenannten „Nichtarierpromotion“ erhielten, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass sie innerhalb des Deutschen Reiches ihren Beruf nicht ausüben würden, was zusätzlich auf den Diplomen vermerkt wurde. Diese „Nichtarierpromotionen“ waren ein demütigender und diskriminierender Akt, der jeglichen traditionellen Universitätszeremoniells entbehrte und darüber hinaus schweigend in einem Amtszimmer durchzuführen war. Während von anderen Hochschulen, wie beispielsweise der Universität Wien, Berichte über diese Promotionen erhalten sind, kam es an der Universität Innsbruck nicht dazu.

Im Gegensatz zu Magdalena Heller und Robert Popper weisen die Gesuche von Hans und Inge Bauer keine Aufzeichnungen über angeforderte Stellungnahmen auf. Die Geschwister waren die Kinder des Innsbrucker Professors für Zahnheilkunde Wilhelm Bauer, der im Zuge des „Anschlusses“ von der Universität vertrieben wurde. Seine Versuche, zumindest durch die Bewilligung der Führung einer Privatpraxis den Existenzunterhalt zu sichern, schlugen fehl, doch konnte er noch 1938 mit seiner Familie in die USA emigrieren. Dass ihr Vater bis zu seiner rassistisch begründeten Entlassung Angehöriger des Lehrkörpers der Universität Innsbruck war, dürfte im Fall der Geschwister Bauer ausschlaggebend gewesen sein, dass den Gesuchen am 28. April 1938, ohne weitere Erkundigungen einzuholen, stattgegeben wurde – bereits dem Tag des Einlangens der Anträge beim Rektorat.

Anders gestaltete sich die Situation in Bezug auf die nach den Nürnberger Gesetzen als „Mischlinge“ definierten Personen. Bei Bewilligung ihres Zulassungsantrages konnten sie ein Studium auch während der NS-Zeit aufnehmen oder weiterverfolgen. Über ihre Aufnahme entschieden der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, das Rektorat und ab 1942 zusätzlich die Gauleitung. Beschlossen werden sollte nicht zuletzt nach rassistischen, angeblichen äußeren Merkmalen. In Innsbruck war die Zahl der als „Mischlinge“ definierten Personen, die um Hochschulzugang ansuchten bzw. ihn bewilligt bekommen hatten, gering.

Die Verfolgung als jüdisch definierter Studierender und Absolvent*innen schlug sich auch im Umgang mit ihren akademischen Titeln und Abschlüssen nieder: Einen Beruf auszuüben wurde zunehmend unmöglich, ins Ausland emigrierten Verfolgten wurde häufig zudem der akademische Titel infolge „Ausbürgerung“ aus dem Deutschen Reich aberkannt.

Diese Gruppe der jüdischen Studierenden kann anhand zweier Biographien exemplarisch vorgestellt werden: Käthe Frankl und Irene Link. Link und Frankl stehen stellvertretend für jene jüdischen Absolvent*innen der Universität Innsbruck, die 1938 ihre Studienabschlüsse bereits erworben hatten. In den Jahren 1925 bis 1933 wurden die jüdischen Hörer*innen der Universität Innsbruck auf Ersuchen des Rabbinats für Tirol und Vorarlberg jedes Semester mit Angabe der Namen und Anschriften von der Universität dorthin gemeldet. An der medizinischen und philosophischen Fakultät fällt dabei innerhalb der Gruppe der jüdischen Studierenden der hohe Frauenanteil auf: Für das Medizinstudium wurden 29 Frauen und 35 Männer gemeldet, an der philosophischen Fakultät 17 Frauen und 18 Männer, an der juridischen Fakultät aber nur 4 Frauen und 18 Männer. Die medizinische Fakultät hatte im genannten Zeitraum mit durchschnittlich 10 jüdischen Studierenden pro Semester am meisten Zulauf, wenngleich auch das nur etwa 1,5 % der gesamten Studierenden war. In einzelnen Semestern überschritt dieser Anteil nie die 3-%-Grenze. Dabei kamen oft mehr als die Hälfte der Studierenden aus dem Ausland und wie auch bei den Inländern waren viele nur für ein bis zwei Semester in Innsbruck.

Nach 1934 studierten an der medizinischen Fakultät Innsbruck nur noch zwei Amerikaner und eine Ungarin mit mosaischem Bekenntnis. Zwei Studierende, Melanie Adler und Dr. Munisch Heuer, kamen in KZ-Lagern ums Leben, von den meisten anderen ist das weitere Schicksal unbekannt.

Von fünf österreichischen jüdischen Medizinstudentinnen, deren Biografie verfolgt werden konnte, promovierten zwei in Innsbruck und setzten ihre Arbeit auch nach der Emigration im Ausland fort.

Käthe Frankl (* 16. März 1902 Innsbruck, † 1949 London)

Käthe Frankl

Nach dem Besuch des Gymnasiums der Ursulinen begann Käthe Frankl im WS 1921/22 ein Medizinstudium in Innsbruck, das sie nach einigen Semestern in Berlin am 23.10.1926 mit der Promotion in Innsbruck beendete. Danach kehrte sie als Volontärärztin nach Berlin an die Nervenklinik der Berliner Charite unter Karl Bonhoeffer zurück und begann gleichzeitig eine Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut.

1929 heiratete sie den jüdischen Oberarzt an der Charité, Walter Misch (1889-1943), zwei Jahre später wurde ihre Tochter Sybil geboren. 1933 wurde Käthe Misch Mitglied der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung, wo sie zur Gruppe linker Psychoanalytikerinnen um Otto Fenichel gehörte. Käthe und Walter Misch emigrierten nach dem Reichstagsbrand 1933 zunächst nach Paris, dann weiter nach England, wo Käthe Misch einen britischen medizinischen Abschluss erwarb. Ab 1933 war sie Mitglied der British Psycho-Analytical Society. Nach der Scheidung 1934 von ihrem ersten Mann heiratete sie 1937 Georg Friedländer, einen jüdischen Radiologen aus Breslau.

Schon früh galt ihr Interesse der Kinderpsychoanalyse, der jugendlichen Delinquenz, der Weiblichkeit und dem Masochismus. Seit 1929 war sie Sachverständige am Berliner Jugendgericht, in London setzte sie ihre Arbeit als Psychiaterin am Institute for the Scientific Treatment of Delinquency fort. Im Herbst 1946 initiierte sie das West Sussex Child Guidance Service, eine Einrichtung, die zusammen mit dem von Anna Freud aufgebauten Hampstead Child Therapy Course für die psychoanalytische Ausbildung von Kinderanalytiker/inne/n weltweiten Ruf erlangte. 1947 erschien ihr Hauptwerk The Psycho-Analytical Approach to Juvenile Delinquency, in der sie ihren interdisziplinären Ansatz weiter ausbaute. Kate Friedländer starb 1949 an Lungenkrebs.

Irene Link (* 5. November 1908 Hohenems, † 28. September 1986 Baltimore)

Irene Link

Am 5. November 1908 kam Irene Link als Tochter des Hohenemser und später Innsbrucker Rabbiners Dr. Josef Link in Hohenems zur Welt. Seit 1914 lebte die Familie in Innsbruck.

Der 1905 geborene Bruder Ernst promovierte im November 1926 zum Doktor der Staatswissenschaften und dreizehn Monate später zum Doktor der Rechte. Irene beendete das 1927 begonnene Medizinstudium im März 1933. Beide waren Mitglieder zionistisch orientierter Vereine, Irene bei der Innsbrucker Ortsgruppe des jüdischen Jugendbundes Blau-Weiß, Ernst beim Sportklub Hakoah. Im Jahr 1932 erkrankte der Vater Dr. Josef Link an Magenkrebs, woran er am 7. November desselben Jahres verstarb.

Irene begann nach der Promotion eine Facharztausbildung für Psychiatrie. Für kurze Zeit arbeitete sie als Assistenzärztin an der Universitätsklinik in Innsbruck, von 1933 bis 1938 im Nervenkrankenhaus Maria Theresien-Schlössel in Wien. Mutter Helene Link, die inzwischen auch in Wien lebte, erhielt im Dezember 1938 eine Ausreisebewilligung, gelangte über Triest nach Palästina zu ihren Söhnen und verstarb 1962 bei ihrer Tochter in den USA.

Irene Link hatte Dr. Max Hitschmann, einen Wiener Juristen, geheiratet. Hitschmann war nach den Novemberpogromen für kurze Zeit im Konzentrationslager Dachau interniert gewesen. Er wurde entlassen und mußte sofort mit seiner Frau emigrieren. In Shanghai fand das Ehepaar ein erstes Exil und im April 1940 erhielten sie die Einreisebewilligung in die Vereinigten Staaten. Dr. Irene Hitchman-Link arbeitete nach ihrer Ankunft in den USA zunächst als Krankenschwester bis sie ihre Prüfungen wiederholt hatte und als Psychiaterin tätig sein durfte. Von 1941 bis 1962 war sie am Springfield State Hospital in Baltimore tätig, anschließend bekleidete sie bis 1968 den Posten eines Director of Hospital Inspection and Licensure, von 1969 bis 1974 den eines Deputy Commissioner beim Maryland State Department of Mental Hygiene. 1946 wurde die einzige Tochter Eve geboren. 

Quellen

Literatur

  • Martin Ager, Die Studierenden der Universität Innsbruck in der Zeit des Nationalsozialismus 1938-1945, unveröff. MA-Arbeit, Innsbruck 2016.
  • Ingrid Böhler: Der „Landesrabbiner“: Dr. Josef Link und seine Familie. In: Albrich, Thomas (Hg.): „Wie lebten wie sie …“: jüdische Lebensgeschichten aus Tirol und Vorarlberg. Innsbruck 1999, 27-52.
  • Peter Goller/Georg Tidl, „Jubel ohne Ende...!“ Die Universität Innsbruck im März 1938. Zur Nazifizierung der Tiroler Landesuniversität, Wien 2012.
  • http://www.psychoanalytikerinnen.de/index.html?england_biografien.html, dort: Abb. aus Jutta Haager: Kate Friedländer (Diss.), Köln 1986, Anhang.
  • Bruce Hershfield (ed.): Obituary Irene L. Hitchman, MD. Maryland Psychiatrist, November 1986, Vol. 13/5/5, Abbildung.
  • Katharina Kniefacz/Herbert Posch, Vertreibungspolitik an der Universität Wien in den 1930er und 1940er Jahre, in: Johannes Koll (Hg.), „Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934–1945. Voraussetzungen, Prozesse, Folgen, Wien 2017, 123-151.
  • Elke Mühlleitner: Friedländer Kate. In: Brigitta Keintzel / Ilse Korotin (Hrsg.): Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Wien 2002, 203-205.
  • Gad Hugo Sella: Die Juden Tirols. Ihr Leben und Schicksal. Tel Aviv 1979, 111.

(Texte zu Frankl und Link: Renate Erhart, Medizinische Universität Innsbruck)

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