Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger verdeutlichen die Möglichkeiten der neuen Anwendung.

Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger verdeutlichen die Möglichkeiten der neuen Anwendung.

Neue Dimen­si­o­nen des Ent­wer­fens

Stefan Rutzinger und Kristina Schinegger vom Institut für Gestaltung entwickeln in ihrem Projekt „Computational Immediacy“ ein zukunftsweisendes Werkzeug, das Architekt:innen und Designer:innen in frühen Phasen des Entwerfens unterstützen wird. Es soll volumetrisches Entwerfen via KI in einer responsiven Computer-Umgebung möglich machen.

Volumetrisches Entwerfen erlaubt es, die architektonische Form gleichzeitig mit ihrer inneren Materialverteilung bereits in frühen Phasen der Ideenfindung zu entwickeln. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet des „Raumplans“ war der österreichische Architekt Adolf Loos (1870 - 1933), der es strikt ablehnte, seine Bauten zweidimensional zu entwerfen. Diese Denkweise bildete die Grundlage für seinen charakteristischen, in sich verschachtelten Baustil. Bis heute gilt seine Herangehensweise als wichtiger Weg der Formfindung in der Architektur. Zwar bieten leistungsstarke Computer Architekt:innen rund 100 Jahre später ganz andere technologische Möglichkeiten, als sie Loos zur Verfügung standen, doch werden diese aktuell noch nicht so umfassend genutzt, wie man meinen möchte: „Im Vergleich zu den meisten anderen Branchen hat die Baubranche einen vergleichsweise niedrigen Digitalisierungsindex“,  berichten Univ.-Prof. Stefan Rutzinger und Univ.-Prof Kristina Schinegger vom Institut für Gestaltung an der Fakultät für Architektur. In ihrem Forschungsprojekt „Computational Immediacy“ möchten die beiden nun die Entwicklung einer volumetrischen Entwurfsmethode vorantreiben, die das volle Potenzial computergestützter Technologien schon in frühen Entwurfsphasen nutzt.

„Das Werkzeug soll beim Experimentieren mit komplexen Materialien und Formen unterstützen.“
Stefan Rutzinger

Eingebunden sind sie dabei am Zentrum für Geometrie und Computational Design (GCD) der Technischen Universität Wien angesiedelten FWF-Spezialforschungsbereich (SFB) „Advanced Computational Design“, der das Wissen von Projektpartner:innen aus verschiedensten Disziplinen wie Mathematik, Bauingenieurwissenschaften, Computergrafik oder eben Architektur vereint.

Raum für frische Ideen

„In frühen Phasen des Entwerfens arbeiten Architekt:innen und Designer:innen noch sehr intuitiv und auf Basis ihres impliziten Wissens. Was entstehen kann, ist oft noch schwer greifbar“, beschreibt Kristina Schinegger jenes Entwurfsstadium, für das das neue Entwurfswerkzeug einen Raum schaffen will. Es soll vage Vorstellungen und Formen, aber auch die Eigenschaften innovativer Materialien in hoher räumlicher Tiefe abbilden. Mithilfe von 3D-Punktwolken-Modellierungen werden Ergebnisse am Computer unmittelbar sicht- und bearbeitbar. Aber auch Rückmeldungen zu Materialaufwand, CO2-Bilanz und weiteren Faktoren sind bereits in dieser frühen Entwurfsphase durch die Anwendung möglich. „Das Werkzeug unterstützt beim Experimentieren mit komplexen Materialien und Formen“, weist Stefan Rutzinger auf das Anwendungsgebiet hin, „und erlaubt es Architekten gestalterisch anspruchsvolle und nachhaltige Gebäudekonzepte zu entwerfen.“

Kanonische Gebäude

Ein wichtiges Feature, mit dem das Werkzeug Entwerfer:innen außerdem unterstützen soll, ist eine Autocomplete-Funktion. Diese kann man sich ähnlich wie einen auf künstlicher Intelligenz basierenden Textgenerator vorstellen, der aus ein paar wenigen Informationen einen Text formuliert: Mit einfachen Inputs – zum Beispiel einer physisch modellierten Grundform – errechnet das Entwurfswerkzeug ein hochaufgelöstes Modell mit vielen Details und macht so eine Idee räumlich erkundbar. Dazu braucht es im Hintergrund Algorithmen, die die räumliche Struktur, die architektonischen Elemente und weitere für die Darstellung relevante Faktoren abbilden, aber auch eine solide Datengrundlage. Derzeit besteht diese aus über 200 nach Material und Bauteilen differenzierten Referenzmodellen kanonischer Gebäude, aus denen die Künstliche Intelligenz ihr Wissen über Architektur beziehen kann. Ein Teil dieser Referenzmodelle wurde im Rahmen von Lehrveranstaltungen aufbereitet. „Unsere Studierenden haben sich in Seminaren mit diesen kanonischen Bauten auseinandergesetzt und schließlich in Kleingruppen Modelle davon erstellt“, erzählt Kristina Schinegger. „So erwerben sie sich grundlegendes Architekturverständnis, können aber auch an einem innovativen Forschungsprozess teilhaben“, erklärt sie den Ansatz forschungsgeleiteter Lehre, wie er am Institut gelebt wird. Erste Anwendungen liefern bereits gute Ergebnisse. „Der Machine Learning Workflow muss allerdings noch mit zusätzlichen Referenzmodellen weiter trainiert werden“, berichten Stefan Rutzinger und Kristina Schinegger, die Ende 2023 das Hearing für die Verlängerung des SFB-Projektes absolviert haben.
 

Spielend getestet

Erste Forschungsergebnisse wurden als hybride Modellierungsumgebung in einer öffentlichen Installation im aut im Rahmen der Ausstellung „Potenziale 3“ im Adambräu mit dem Titel „Clouder“ vorgestellt und mit einem Laienpublikum getestet: Die Besucher:innen der Ausstellung konnten auf einem Tisch mit farbigen Blöcken eine Konstruktion bauen. Mit dem eingescannten, als Punktwolke dargestellten Ergebnis konnten sie in einem zweiten Schritt weiter experimentieren. – Die Installation bestand im Wesentlichen aus Bauklötzen zwei MS-Kinect Scanner, Ringlichtern, einem Bildschirm, einer Arduino Steuerkonsole und einem Computer.

Eine Besucherin beim Experimentieren mit dem Clouder - einer hybriden Modellierungsumgebung.

Eine Besucherin beim Experimentieren mit dem Clouder, einer hybriden Modellierungsumgebung.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 02/23 des Forschungsmagazins der Universität Innsbruck erschienen.

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