Gruppenbild von Vortragenden und Diskussionsteilnehmer:innen in der Aula

Angela Wroblewski, Barbara Weitgruber, Dirk Rupnow, Irene Häntschel-Erhart, Brigitte Mazohl, Heike Welte (von links nach rechts)

Diver­si­täts­o­ri­en­tierte Gleich­stel­lungs­po­li­tik

Am 23. November 2023 wurde in der Aula der Universität Innsbruck die neue Publikation „Von der Geschlechterpolitik zur diversitätsorientierten Gleichstellungspolitik im österreichischen Hochschul- und Forschungsraum“ des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) vorgestellt und diskutiert.

Ziel des Bandes ist es die Entwicklung von Gleichstellungspolitik seit 2000 aufzuzeigen, gesetzte Initiativen vorzustellen, was damit erreicht wurde und zu fragen, was für eine wirkungsvolle Gleichstellungspolitik nun noch zu tun bleibt. Gleichstellungspolitik zielt dabei immer auf drei Ebenen: (1) Karriereförderung und Empowerment von Frauen (fix the numbers), (2) die Verankerung der Genderdimension in Forschung und Lehre (fix the knowledge) und (3) das Vorantreiben eines geschlechtergerechten Kulturwandels (fix the institution).

Gleichstellungspolitik: Erfolge und zukünftige Aufgaben

Wie Universitätsrätin Brigitte Mazohl in ihren Eröffnungsworten festhält, ist eine Geschlechterparität auf den höheren Hierachieebenen nach wie vor nicht erreicht, lediglich 24,8 Prozent der Professuren nach § 98 – also die hochwertigsten und bestbezahlten Stellen – werden an unserer Universität von Frauen besetzt. Je unsicherer und schlechter bezahlt Stellen sind, desto mehr Frauen finden wir. Aber auch in Hinblick auf ein breites Bewusstsein über die Relevanz der Genderdimension in den Inhalten von Forschung und Lehre ist in den meisten Fächern noch viel Luft nach oben. Dass geschlechterblinde Forschung nicht „nur“ ein verzerrtes Bild unserer Gesellschaft wiedergibt, sondern Schaden anrichtet, darauf weist auch Studienautorin und Mitherausgeberin Angela Wroblewski vom Institut für Höhere Studien hin: sei es in der Medizin – hier sind die negativen Folgen für Frauen inzwischen weitgehend bekannt, wenn auch nicht behoben –, sei es in der Technikforschung, aber auch in den Sozialwissenschaften, wo die Anerkennung der Geschlechterforschung, neben den Geisteswissenschaften, bereits eine längere Tradition hat. Dennoch: eine feste Verankerung von Geschlechterforschung ist auch in diesen Fächern keine Selbstverständlichkeit und bleibt abhängig von sicher verändernden Akteur:innen und (Instituts-)Politiken.

Voraussetzungen: Universitäre und Nationale Vernetzung

Wesentlich für den gleichstellungspolitischen Diskurs an den Hochschulen ist es, wie Angela Wroblewski betont, Entwicklungen der Gleichstellungspolitik aufzuzeigen, die Expertise in diesem Bereich sichtbar zu machen und in die strategischen Planungen der Hochschulen einzubeziehen. Vernetzungen, wie sie vom BMBWF initiiert wurden, tragen dazu bei, dass Expert:innen sich über ihre Hochschule hinaus austauschen können und das „Voneinander-Lernen“ einen systematischen Rahmen bekommt. In der Zusammenschau zeigen die Beiträge des Bandes, dass es einen stärkeren Fokus auf die Umsetzung und Wirkung von gleichstellungspolitischen Maßnahmen braucht. In den einzelnen Beiträgen des Bandes werden Maßnahmen und ihre Umsetzung genauer unter die Lupe genommen. Sie öffnen die black box der Umsetzung, wie Wroblewski betont, und zeigen die konkreten Bedingungen etwa die Herausforderungen in der Etablierung von Forschungsplattformen oder der Entwicklung von Karriereförderprogramme für Frauen. Insofern bietet der Band eine Vielzahl von Anregungen aus den Erfahrungen anderer Hochschulen zu lernen. Die Beiträge zeigt aber auch institutionelle Hürden auf, weißen auf Intransparenz und zu unkonkrete Kriterien etwa für das Verständnis von Exzellenz hin. Neben Vernetzung und Erfahrungsaustausch in und zwischen den Hochschulen sind aber auch Anforderungen und Initiativen des BMBWF und des Europäischen Forschungsraums wichtige Impulsgeber für universitäre Gleichstellungspolitik.

Innovation durch den Europäischen Forschungsraum

Wichtige Anstöße für universitäre Gleichstellungspolitik kommen auch von außen, konkret der Europäischen Union und dem in den EU-Verträgen (seit dem Vertrag von Lissabon 2009) verankerten Europäischem Forschungsraum, EFR (European Research Area – ERA). Wichtigstes Instrument der Umsetzung ist das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, derzeit Horizon Europe 2021-2027, wie Sektionschefin Barbara Weitgruber vom BMBWF betont. Um dem EFR angesichts der Herausforderungen der letzten Jahre durch Pandemie, Klimawandel oder Digitalisierung mehr Effektivität und Sichtbarkeit zu verleihen wurde 2021 ein Pakt für Forschung und Innovation in Europa beschlossen. Mit der ERA Policy Agenda 2022-2024 soll die konkrete Umsetzung des Paktes – entlang von 20 konkreten Aktionen – durch die Mitgliedsstaaten erfolgen.
Auch der Nationale Aktionsplan der österreichischen Bundesregierung orientiert sich an der ERA Policy Agenda und enthält ein „Maßnahmenpaket Gleichstellung der Geschlechter und Inklusion“. Die inhaltlichen Prioritäten dabei sind: (1) Unterstützung der Hochschul- und Forschungseinrichtungen bei der Entwicklung, Umsetzung und dem Monitoring von Gleichstellungsplänen, (2) die Integration der Genderdimension in Forschungs- und Innovationsinhalte, (3) Interventionen gegen geschlechterbasierte Gewalt inklusive sexueller Belästigung sowie (4) die Förderung eines Gleichstellungsdiskurses.
Wie Weitgruber anmerkt. ist die vorliegende Publikation selbst Teil dieser Agenda, ist sie doch Produkt eines sektorenübergreifenden Gleichstellungsdialogs.

Bewusstseinsbildung und Kulturwandel

Eine wesentliche Grundlage für eine diversitätsorientierte Gleichstellungspolitik liegt auch in der Bewusstseinsbildung der Akteur:innen und dem Kulturwandel der Institution Universität. Denn auch wenn die zahlenmäßig gerechte Verteilung von Ressourcen und Stellen zwischen Frauen und Männern eine wesentliche Basis sind, ist das doch zu wenig, wie Heike Welte vom Institut für Organisation und Lernen und Diskussionsleiterin des Abends festhält. Es geht um die „substructures of the ideal worker“, Stereotypen und Normvorstellungen, strukturelle Aspekte und dahinterliegende Annahmen und deren Hinterfragung, um neue, inklusivere Wege für die Organisation des Wissenschaftsbetriebes daraus abzuleiten.
Dirk Rupnow, Dekan der Philosophisch-historischen Fakultät, betont, dass sich Universitäten derzeit in einem gesellschaftlichen Klima bewegen, das Gleichstellungs- und Diversitätspolitiken nicht unbedingt begünstigen. In einigen Ländern wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung um diese Themen sogar massiv zurückgefahren bzw. unterbunden. Und natürlich gibt es auch innerhalb der Universitäten Akteur:innen, die diesen Agenden kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Das macht es für diejenigen, die sich auf diesem Feld für Fortschritte, Offenheit und auch unterstützende Maßnahmen engagieren, nicht immer leicht. Dennoch kann zu recht erwartet werden, dass Universitäten hier eine Vorbildfunktion einnehmen.
Dazu gehört auch ein Überdenken des Exzellenzbegriffs und -verständnisses, wie Barbara Weitgruber betont. Soll nicht über die Hintertür der bürgerliche, weiße, männliche und von Care-Arbeit unbehelligte „ideal knowledge worker“ re-etabliert werden, gilt es auch hier ein enges und meist rein quantitatives Verständnis von Exzellenz aufzubrechen. Denn ohne die Berücksichtigung von Geschlechterverhältnissen und der Diversität der Gesellschaft kann Forschung nicht exzellent sein.

Link zur Publikation: Von der Geschlechterpolitik zur diversitätsorientierten Gleichstellungspolitik im österreichischen Hochschul- und Forschungsraum

(Alexandra Weiss, Büro für Gleichstellung und Gender Studies)

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