Denkt man an die Kolonialbemühungen der Habsburger, kommt einem vielleicht das desaströse Abenteuer von Kaiser Maximilian von Mexiko in den Sinn. Man denkt womöglich an Leopoldine, die in die brasilianische Linie eingeheiratet hat, oder an „Klein-Venedig“ in Venezuela. Die wenigsten dürften jedoch ein geistiges Bild von Habsburgern in der Prärie vor Augen haben.
„Vielleicht neigen wir nicht dazu, an Nordamerika zu denken, weil es zu einer westlichen Erzählung geworden ist“, so Singerton. Denn das Bild des nordamerikanischen „Indianers“ sei bei uns vor allem durch die Romane von Karl May geprägt worden. „Wir denken an amerikanische Ureinwohner mit Federkopf-Schmuck und Reitpferden im Wilden Westen“, sagte der walisische Historiker. „Aber das ist ein Bild, das nicht so genau ist, und es ist der Versuch, etwas zu bewahren, das nie wirklich existiert hat. Die Vorstellung eines amerikanischen Ureinwohners auf einem Pferd ist überhaupt nicht ‚einheimisch‘“, betonte Singerton: „Pferde wurden ihnen von den Spaniern gebracht.“
Gegen kulturelle Vereinfachung
Dieser Art von kultureller Vereinfachung möchte der heute an der Freien Universität Amsterdam tätige Forscher entgegensteuern. Er hat gemeinsam mit dem Botstiber-Institut für Österreichisch-Amerikanische Studien die Konferenz mit dem Titel „Habsburg Encounters with Native America“ organisiert, die sich Mitte Juni der Beziehung zwischen den Habsburgern und den amerikanischen Ureinwohnern auseinandersetzen wird, und zwar von den ersten kolumbianischen Reisen bis ins 20. Jahrhundert.
„In Österreich glauben wir fälschlicherweise, dass wir keine globale Geschichte haben“, meint Singerton. Aber das Gegenteil sei der Fall. Am Wiener Karlsplatz thront mit der Karlskirche bis heute ein Symbol für die Eroberungsfantasien der Habsburger. „Mit ihren Doppelsäulen, die die Säulen des Herkules an der zum Atlantik hin offenen Straße von Gibraltar darstellen, wurde die Kirche von der spanischen Habsburger-Architektur inspiriert“, erzählt Singerton. Kaiser Karl VI., der die barocke Kirche erbauen ließ, sehnte sich danach, ein spanisch-österreichisches Weltreich neu zu errichten, dessen Kern die kolonialen Eroberungen in der Neuen Welt waren – auch wenn er auf diese Welt keinen wirklichen Anspruch hatte.
Es sei unmöglich zu sagen, wann der erste Kontakt zwischen dem Habsburgerreich und den Ureinwohnern Nordamerikas stattfand, aber es gebe viele Beispiele, die schon auf Kontakte im 16. Jahrhundert hinweisen. „Die Habsburger waren von Anfang an in diese Matrix eingebunden, was das Wissen über die Entdeckung und damit über die Menschen, die dort lebten, angeht.“ Die Österreicher spielten eine entscheidende Rolle bei der Bekehrung der indigen Völker zum Katholizismus. Die Beziehungen waren kompliziert. Ein Priester aus Slowenien soll 1862 als Friedensstifter zwischen einer indigenen Nation und den Amerikanern gedient und einen Krieg vereitelt haben. Ein anderer wurde vergiftet, weil er die Ureinwohner konvertieren wollte.
Der katholische Glaube war es auch, der die Weichen für politische Missionen stellten sollte. Denn auch wenn sie – so die landläufige Meinung – neben Big Playern wie England, Frankreich, Spanien, Portugal und den Niederlanden, das grausame Spiel des Kolonialismus verloren, so hatten die Habsburger definitiv einen Platz am Spieltisch. „Ich würde sie gar nicht als Verlierer betrachten“, sagte Singerton. „Sie waren ziemlich genial darin, indirekte Wege zum Kolonialismus zu finden.“
Einer dieser Wege war die Religion. „Viele Menschen in Amerika protestierten dagegen, weil sie die Verbreitung des Katholizismus als einen politischen Akt Metternichs und Franz Josephs sahen, einen Akt gegen die amerikanische Demokratie“, betonte Singerton: „Die Beziehungen war sehr viel komplexer, als wir oft glauben.“