Porträtfoto von Anne Hecksteden

Anne Hecksteden trat im September 2022 die gemeinsame Professur für Sportmedizin von Medizinischen Universität Innsbruck und Universität Innsbruck an.

Men­sch­li­che und maschi­nelle Intel­li­genz im Sport

Die frühere Leistungssportlerin Anne Hecksteden hat mit ihrem Team einen Algorithmus entwickelt, der das tägliche Verletzungsrisiko von professionellen Fußballspielern einschätzt. Demnächst steht eine Studie mit den ÖFB- Juniorinnen an. Ein Interview über die Eistonne zur Regeneration, zyklusbasiertes Training und Künstliche Intelligenz im Spitzensport.

Ihr Tipp für das Champions League Finale am kommenden Samstag?

Meine Beziehung zum Fußball ist hauptsächlich wissenschaftlich, mit einem Tipp tue ich mir deswegen schwer.

Wie kann man sich diese wissenschaftliche Beziehung zu Fußball vorstellen?

Ein großer Schwerpunkt der vergangenen zehn Jahre war das Regenerationsmanagement im Spitzensport. Gerade im Fußball ist Monitoring ein großes Thema, aber auch Regenerationsmaßnahmen, wie die Eistonne. Eine der ersten Arbeiten thematisierte die Erholtheitsindikatoren in der deutschen Fußballnationalmannschaft bei internationalen Turnieren. Da werden die Spieler engmaschig gemonitort, um sicherzustellen, dass sie ihre Leistung abrufen können, ohne durch sich anhäufende Regenerationsdefizite ein erhöhtes Verletzungsrisiko zu haben. Wir haben uns angeschaut, wie wir mit einer Individualisierung eine noch präzisere Interpretation hinbekommen können.

Sie haben dazu eine App für Trainer und Spieler entwickelt.

Am Anfang war das Erholtheitsmonitoring. Da haben wir gesehen, dass man unbedingt eine Individualisierung braucht. Das haben wir dann in eine App gegossen, um die Datenaufnahme so gestalten zu können, dass das für die Spieler akzeptabel ist, also so unmerklich wie möglich, und dann eine Rückmeldung in Echtzeit an die Trainer geben zu können. Mit der dahinterliegenden individualisierten Interpretation und aufbauend auf diesem Monitoring-System kam dann die auf Künstlicher Intelligenz basierte Einschätzung des Verletzungsrisikos dazu. Das jetzt laufende Projekt geht noch einen Schritt weiter und setzt auf hybride intelligence. Also, dass man quasi das Expertenauge des Trainers noch dazu hineinbringt. Die Verknüpfung von menschlicher und maschineller Intelligenz, das finde ich spannend. Wichtig: Das Ergebnis ist immer nur eine Entscheidungsunterstützung. Die Entscheidung trifft der Trainer. Wir geben bewusst nur eine Risikoeinschätzung und schlagen keine Konsequenzen vor.

Wird es die App zum Verletzungsrisiko irgendwann für alle geben?

Die App wurde rein für den Spitzensport entwickelt. Eine Annahme darin ist, dass der Großteil der Ermüdung vom intensiven Sport kommt. Der große Schritt für ambitionierte HobbysportlerInnen ist, sich einzugestehen, dass sie keine Profis sind, ihr Leben nicht nach dem Sport ausrichten können und noch Reserven für andere Dinge freihalten müssen. Dieser Schritt fällt manchen enorm schwer.

Welche Rolle spielt das Geschlecht für sportliche Leistung und Verletzungsgefahr?

Gemeinsam mit Friedemann Schneider von der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie planen wir ein Projekt für die ÖFB Juniorinnen. Im Frauenfußball ist das große Problem, dass Frauen viel häufiger Kreuzbandrisse erleiden als Männer. Es ist noch nicht klar, was diesen Unterschied ausmacht. Da muss etwas passieren. Im Frauenfußball haben wir allerdings nur einen Bruchteil der Daten von den Männern. Wir schauen uns retrospektiv die Verletzungsdokumentation im österreichischen Frauenfußball an. Dann kommt eine Studie nach Vorbild der Männer mit dem hybriden Ansatz.

Bleiben wir bei den Frauen: Was halten Sie von zyklusbasiertem Training?

Das Augenmerk auf Geschlechtsunterschiede zu legen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, ist überfällig. Weibliche Sexualhormone beeinflussen physische Prozesse, die wichtig sind für die Trainingsanpassung einerseits und die Belastungsverträglichkeit und Leistungsfähigkeit andererseits, theoretisch auch für die Verletzungsanfälligkeit. Die Zeitabläufe muss man aber in Frage stellen. Es gibt Arbeiten, die besagen, dass Frauen in der Follikelphase (Gebärmutterschleimhaut baut sich nach der Menstruation neu auf, Anm.) leistungsfähiger sind, andere sagen in der Gelbkörperphase (Zeit zwischen Eisprung und erstem Periodentag, Anm.) – und genauso ist es mit der Trainingsanpassung. Das heißt, wir wissen momentan einfach noch nicht genug, um generelle zyklusbasierte Trainingsempfehlungen zu geben. Das heißt aber nicht, dass wir in der Praxis vorerst weitermachen sollten wie bisher! Wenn eine Sportlerin individuell in bestimmten Zyklusphasen Beschwerden hat oder sich besonders leistungsfähig fühlt, sollte das natürlich in der Trainingsplanung berücksichtigt werden.

Wie gesund ist Leistungssport?

Selbst wenn das Kriterium die Leistung ist, ist die Gesundheit ein Mittel, um da hinzukommen. Eine langfristig positive Leistungsentwicklung bekommt man nur hin, wenn dieser Prozess nicht dauernd durch Erkrankung oder Verletzung unterbrochen wird. Aber: Im Spitzensport muss ich an die Grenzen meiner Belastbarkeit heran. Das ist immer mit Risiken verbunden. Wenn ich mich moderat beanspruche, dann habe ich das geringste gesundheitliche Risiko. Was moderat ist, hängt wiederum vom individuellen Trainingszustand ab, davon, was man gewohnt ist. Es kommt auch auf das jeweilige Bedürfnis an, wie die sportliche Aktivität in der Woche aufgeteilt werden sollte. Wenn es darum geht, den Blutdruck unter Kontrolle zu halten, muss man mindestens jeden zweiten Tag etwas machen. Wenn es eher um die Fitness geht, dann ist es auch okay, die 2,5 Stunden auf das Wochenende zu legen. Das gefällt mir in der Beratung, herauszuhören, was das Ziel des Einzelnen ist und darauf einzugehen.

Sie beschäftigen sich mit Leistungssteigerung. Muss man auch den Ausstieg planen?

Inzwischen misst man einem unbegleiteten Ausstieg ein deutlich geringeres Risiko bei als früher. Abtrainieren ist empfehlenswert. Wenn man das aber nicht tun kann, z.B. wegen einer Verletzung, dann ist es auch nicht mit längerfristigen gesundheitlichen Risiken verbunden, selbst mit einer Sportherzvergrößerung. Da kann man die AthletInnen beruhigen. Man sollte aber natürlich auch nach dem Ende der sportlichen Karriere aktiv bleiben.

Zur Person

Mit 1. September 2022 wurde Anne Hecksteden auf den neu gegründeten, gemeinsame Professur für Sportmedizin von Universität Innsbruck und Medizinischer Universität Innsbruck berufen. Hecksteden verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Sport- und Notfallmedizin, insbesondere auch im Bereich der Präventivmedizin. In der Forschung fokussiert sie sich vorrangig auf die individualisierte Trainingsgestaltung vom Präventiv- bis zum Spitzensport. In ihrer Disziplin, dem Inline Speedskating, wurde sie mehrfach deutsche Meisterin, bevor sie Familie und Wissenschaft zuliebe den Leistungssport 2004 aufgab.

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