Schneebedeckte Berggipfel an einer Küste

Im Frühjahr 2022 brachte eine enorme „Hitzewelle“ neue Temperaturrekorde in der Antarktis.

Rät­sel um „Hitzewelle“ in der Ant­ark­tis gelöst

Ein internationales Team von Wissenschaftler:innen, darunter Elisabeth Schlosser vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, hat die letztjährige „Hitzewelle“ in der Antarktis ausführlich dokumentiert. Eine Analyse dieser rekordverdächtigen Wettererscheinung, die in der Ost-Antarktis zu Temperaturanstiegen von 30 bis 40 °C führte, wurde nun im Journal of Climate veröffentlicht.

Das rekordverdächtige Wärmeereignis vom 15. bis 19. März 2022 brach zahlreiche monatliche Temperaturrekorde in der Ost-Antarktis, ein neuer Rekord von -9,4 °C wurde am 18. März in der Nähe der Concordia-Forschungsstation gemessen. Und dies, obwohl der März normalerweise ein Übergangsmonat zum antarktischen Winter ist, der durch eine schnelle Abkühlung gekennzeichnet ist. Auslöser für diese Temperaturextreme war ein intensiver „atmosphärischer Fluss“, ein konzentriertes Band atmosphärischen Wasserdampfs, das Wärme und Feuchtigkeit aus den Subtropen tief in das Innere der Antarktis transportierte.

Die Geowissenschaftler:innen wurden auf die „Hitzewelle“ in der Antarktis aufmerksam und starteten ein großes Gemeinschaftsprojekt, um die meteorologischen Ursachen, die Auswirkungen und den historischen klimatischen Kontext der „Hitzewelle“ zu untersuchen. In den daraus resultierenden Veröffentlichungen beschreiben die Autor:innen die Temperaturaufzeichnungen zusammen mit den komplizierten meteorologischen Faktoren, die zu dem intensivsten atmosphärischen Fluss führten, der über der Ostantarktis je beobachtet wurde. Tropische Wirbelstürme im Indischen Ozean waren eine wichtige Quelle für Feuchtigkeit, die dann dank einer erhöhten Welligkeit des Jetstreams, der die niedrigen und hohen Breiten miteinander verbindet, schnell in die Antarktis transportiert wurde. Dies führte dazu, dass sich ein atmosphärischer Fluss in Küstennähe verstärkte, der ein blockierendes Hochdruckgebiet bis tief in die Ostantarktis hinein intensivierte und die tropische Luftmasse über den antarktischen Kontinent trieb. Dies führte zu einem hohen Wassergehalt in den Wolken und förderte weit verbreitete Anomalien der abwärts gerichteten langwelligen Strahlung, die sich mit der gestreuten Sonnenstrahlung vermischte und letztlich zu einer starken Erwärmung der Oberfläche beitrug. Auf dem Höhepunkt der Hitzewelle wurden in der Ostantarktis auf einer Fläche von 3,3 Millionen km2 (so groß wie Indien) die bisherigen monatlichen Temperaturrekorde für März überschritten. Obwohl so eine Temperaturanomalie nur etwa alle 100 Jahre vorkommt, ist ein Wiederauftreten eines solchen Ereignisses in naher Zukunft laut zukünftigen Klimaszenarien zu befürchten. „Für so ein Extremereignis müssen allerdings mehrere Faktoren begünstigend zusammenkommen,“ erklärt die Polarmeteorologin Elisabeth Schlosser. „Zu einer anderen Jahreszeit, mit anderen Meereisbedingungen und anderen Temperaturbedingungen über dem Kontinent, wäre die Temperaturanomalie geringer ausgefallen.“

Diese „Hitzewelle“ hat gezeigt, wie tropische Aktivitäten unmittelbar zu komplexen Auswirkungen auf den antarktischen Eisschild führen können. Dazu gehören Regen und Oberflächenschmelze entlang der Küstengebiete. In Verbindung mit der großen Menge an Feuchtigkeit, die von den Luftmassen transportiert wurde, führte das Ereignis jedoch auch zu starken Schneefällen, die die Verluste durch die Eisschmelze ausglichen. Dieses Ereignis betraf viele verschiedene Bereiche der Antarktisforschung, von einer Abschwächung der kosmischen Strahlung, die zuvor noch nie beobachtet worden war, bis hin zu den Auswirkungen auf die Datierung von in der Paläoklimatologie verwendeten Eisbohrkernen. Schließlich löste ein außertropischer Wirbelsturm westlich des atmosphärischen Flusses wahrscheinlich den endgültigen Zusammenbruch eines Schelfeises (des Conger-Schelfeises) aus, das bereits sehr instabil war, während die Wärmeadvektion weiter dazu beitrug, die bereits rekordverdächtig niedrige Meereisausdehnung zu verringern. Insgesamt trug das Ereignis dazu bei, dass 2022 ein seltenes Jahr mit positiver Massenbilanz für den gesamten antarktischen Eisschild war, wodurch der Beitrag des antarktischen Eisschilds zum Anstieg des Meeresspiegels etwas abgemildert wurde. Die Temperaturextreme geben jedoch auch Anlass zu Besorgnis. Denn ein Ereignis ähnlicher Größenordnung während der sommerlichen Eisschmelze über einem empfindlichen Schelfeis in der Westantarktis könnte potenziell schwerwiegenden Folgen für die Stabilität des Eisschilds und den Anstieg des Meeresspiegels haben.

Die Veröffentlichung dieser Studie, die so viele verschiedene Aspekte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen abdeckt, war nur dank der intensiven internationalen Zusammenarbeit möglich, die einen schnellen Zugang zu verschiedenen Datensätzen ermöglichte. Diese länderübergreifende Zusammenarbeit wird durch die laufende Erforschung der extremen Wetterverhältnisse in der Antarktis und deren Auswirkungen auf den Meeresspiegelanstieg fortgesetzt und zeigt den Wert der friedlichen internationalen Zusammenarbeit, die in der Antarktis die Regel ist.

Publikationen:
The Extraordinary March 2022 East Antarctica “Heat” Wave. Part I: Observations and Meteorological Drivers, Jonathan D. Wille et.al., J. Climate, 37, 757–778. DOI: 10.1175/JCLI-D-23-0175.1
The Extraordinary March 2022 East Antarctica “Heat” Wave. Part II: Impacts on the Antarctic Ice Sheet. Jonathan D. Wille et.al., J. Climate, 37, 779–799. DOI: 10.1175/JCLI-D-23-0176.1

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