Bild von einem Eisberg im Polarmeer

Durch erhöhte Jodemissonen nehmen Aerosole und Wolkenbildung zu, was in den Polarregionen zu einem positiven Rückkopplungseffekt führt, der den Verlust von Meereis beschleunigt.

Jod­säure ersetzt Ammo­niak bei Aero­sol­bil­dung

Jod aus den Weltmeeren bildet Sauerstoffsäuren. Diese können in der Atmosphäre die Bildung von Schwefelsäurepartikeln um das 10 000-fache beschleunigen. Das haben Wissenschaftler:innen des CLOUD-Experiments unter Beteiligung der Universität Innsbruck herausgefunden. Die steigenden Jodemissionen haben dabei Auswirkungen auf das Klima, die in gängigen Modellen noch zu wenig Beachtung finden.

Wissenschaftler:innen des CLOUD-Experiments haben in einer neuen Studie untersucht, wie Jodsäure (HIO3) und Jodige Säure (HIO2) – die beiden Sauerstoffsäuren des Jod – mit Schwefelsäure reagieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Jodsäuren die Geschwindigkeit der Bildung von Schwefelsäurepartikeln stark erhöhen. In früheren Experimenten wurde festgestellt, dass die Bildung von Schwefelsäurepartikeln in weiten Teilen der Atmosphäre durch das Fehlen von Ammoniak eingeschränkt wird, da dieser stabilisierend wirkt und Partikelkeime am Verdampfen hindert.

Messungen an den Polkappen und über den Weltmeeren zeigen nun, dass die Jodsäuren, die aus dem dort abgegebenen Jod in der Atmosphäre gebildet werden, bei einer Konzentration zwischen 0,1 und 5 relativ zur Schwefelsäure die Bildungsrate von Schwefelsäurepartikeln um das 10- bis 10 000-fache beschleunigen. Dafür sind zwei Mechanismen verantwortlich: Zum einen stabilisiert Jodige Säure die Schwefelsäurepartikel und ersetzt somit Ammoniak. Zum anderen erleichtert Jodsäure die Bildung von negativ geladenen Schwefelsäureclustern. Quantenchemische Berechnungen bestätigen diese Synergie zwischen den beiden Jodsäuren und Schwefelsäure und sagen Keimbildungsraten voraus, die mit den Messungen des CLOUD-Experiments gut übereinstimmen. Diese Keimbildung beschleunigt die Bildung von Aerosolen und Wolken.

CLOUD ist ein Zusammenschluss aus Wissenschaftler:innen von 17 Instituten in neun Ländern, die mit einer Kombination aus Feldversuchen, Aerosol- und Klimamodellen, chemischen Berechnungen und Labormessungen verschiedene Prozesse in der Atmosphäre untersuchen. Auch das Team um Armin Hansel vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck ist am Experiment beteiligt und entwickelt hochpräzise Messverfahren. Die PhD-Student:innen Wiebke Scholz und Bernhard Mentler in Armin Hansels Arbeitsgruppe waren als Co-Autor:innen an der neuen Publikation im renommierten Journal Science beteiligt.

Die Bedeutung von Aerosolpartikeln für das Klima

Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse, um das Klima besser zu verstehen. Aerosolpartikel wirken einerseits kühlend, indem sie das Sonnenlicht direkt zurückreflektieren und die Bildung von Wolken ermöglichen, die ebenfalls Sonnenlicht zurückreflektieren. In den Polarregionen hingegen hat eine Zunahme von Aerosolen und niedrig liegender Wolken eine erwärmende Wirkung, da sie die von der Eisoberfläche abgegebene langwellige Strahlung zurück zur Oberfläche reflektieren und so das Abschmelzen des Eises beschleunigen. Mehr als die Hälfte der Aerosol-Partikel, die als Wolkenkondensationskeime die Wolkenbedeckung steuern, entstehen durch die Partikelneubildung aus kondensierbaren Spurendämpfen – die so genannte Nukleation. Vor allem Schwefelsäure spielt hier eine wichtige Rolle, die in der Atmosphäre durch Oxidation von Schwefeldioxid entsteht.

Seit der industriellen Revolution haben die Emissionen aus schwefelhaltigen fossilen Brennstoffen die Aerosole und in weiterer Folge die Wolkenbedeckung vermehrt.

Die neue Studie zeigt nun, dass die Jodsäuren über den Weltmeeren und Polen eine wichtige Rolle spielen, da sie sowohl synergetisch mit Schwefelsäure wirken als auch Partikel in Abwesenheit von Ammoniak bilden können.

Diese Erkenntnis ist auch insofern kritisch, weil sich die weltweiten Jodemissionen in den letzten 70 Jahren durch menschliche Aktivitäten verdreifacht haben. Das ist auf dünner werdendes Meereis und steigende Ozonkonzentrationen zurückzuführen. Dadurch nehmen Aerosole und die Wolkenbildung weltweit zu, was in den Polarregionen zu einem positiven Rückkopplungseffekt führt, der den Verlust von Meereis beschleunigt. Gleichzeitig entsteht ein Kühlungseffekt durch negativen Strahlungsantrieb in gemäßigten Breiten.

Diese Faktoren finden derzeit in der Klimaforschung aber noch zu wenig Beachtung. Die Resultate des neuen CLOUD-Papers zeigen, das aktuelle Klimamodelle die Bildungsraten von Schwefelsäurepartikeln in Meeres- und Polarregionen erheblich unterschätzen und diese in Zukunft integriert werden

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