Die Marktgemeinde Mauthausen liegt am Nordufer der Donau westlich von Linz. Über der Ortschaft, auf einer kleinen Anhöhe, liegen die Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ) Mauthausen. Wir kommen auf dem Parkplatz vor der Gedenkstätte an, unser erster Eindruck sind die hohen Mauern und Wachtürme des Lagerkomplexes, die vor dem bedeckten Himmel aufragen.
Das Konzentrationslager Mauthausen wurde ab dem 8. August 1938 von den ersten dorthin verschleppten Gefangenen erbaut und erst am 5. Mai 1945, drei Tage vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, von der US-Armee befreit. In diesen fast sieben Jahren des Konzentrationslagers wurde in Mauthausen und seinen zahlreichen Nebenlagern von den insgesamt 190.000 Gefangenen etwa jede zweite Person umgebracht.
Unsere Führung beginnt in einem Hörsaal im Besucherzentrum der Gedenkstätte. Eine Einleitung, die den Rahmen für die restliche Führung vorgibt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wer hier in Mauthausen während der NS-Zeit lebte. Die enge Verwobenheit des Konzentrationslagers, seinen Gefangenen, den dort stationierten SS-Angehörigen und den Einwohner*innen der Gemeinde zeigt sich an einer Vielzahl von Beispielen: Die Erzählung eines Gefangenen über seine Ankunft und seinen Gang durch die Ortschaft hinauf zum Lager, die eingesetzten Zwangsarbeiter in umliegenden Betrieben, die unmittelbare Nachbarschaft von der Normalität der Mauthausener und dem Morden im Konzentrationslager. Wir widmen uns auch schon zu Beginn der Frage, welche Rolle Gedenkstätten heute noch spielen – das Ziel zu erinnern und zu verhindern, dass ein Grauen wie der Holocaust wieder stattfinden wird.
Vom Besucherzentrum machen wir uns auf zum Eingang des Lagers. Heute unbebaut zeugt nur wenig davon, dass auch die jetzt grüne Wiese neben dem Gehweg Bestandteil des Konzentrationslagers war. Ein Gedenkstein erinnert daran. „Ehemaliges Russenlager“ steht darauf. In diesem „Krankenlager“ wurden Gefangene nicht wegen Krankheit oder Verletzungen behandelt; sie wurden hierhergebracht, um zu sterben. Direkt daran angrenzend spielte eine Fußballmannschaft aus Angehörigen der Schutzstaffel (SS) regelmäßig ihre Meisterschaftsspiele vor den Toren des Konzentrationslagers, mitsamt Zuschauerschaft. Hier im Besonderen zeigt sich die enge Verflochtenheit der Gräueltaten des Lagers mit den umliegenden Orten und deren Bewohner*innen – es war alles andere als unsichtbar. Während der Führung wird uns immer wieder gesagt, dass es einen Unterschied zwischen sehen, wissen und verstehen gibt. Das Konzentrationslager konnte in und um Mauthausen ohne Zweifel jede*r sehen. Die meisten wussten auch, um was es sich handelte. Die Wenigsten verstanden es und noch weniger taten etwas dagegen.
Der Rundgang führt uns weiter zum Steinbruch. Durch einen Zaun blicken wir hinunter auf den Ort, an dem tausende Menschen durch die unmenschlichen Bedingungen des Granitabbaus starben. Der Granit, der in den Steinbrüchen in Mauthausen und im nahegelegenen Gusen von Zwangsarbeitern produziert wurde, fand Verwendung für den Bau von Gebäuden, etwa in Linz. Mauthausen war eines der nur zwei Konzentrationslager auf dem Gebiet des Dritten Reiches mit der Stufe drei, was Vernichtung durch Arbeit bedeutete. Es entstand an dieser Stelle, weil der Steinbruch der DEST (Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH) hier gegründet wurde. Wir erkennen die sogenannte „Todestreppe“, die zu uns heraufführt, und über die der Granit von den Gefangenen heraufgeschleppt wurde.
Bei plötzlichem Regeneinbruch durchqueren wir den Gedenkpark vor dem Westeingang des Lagers, in dem die zahlreichen Denkmäler verschiedener Staaten stehen, und betreten das eigentliche Lagergebiet. Nach ihrer Ankunft wurden die Gefangenen ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft beraubt: In unterirdischen Duschen wurden ihnen die Haare kurz geschoren und eine Nummer zugeteilt. Gleichzeitig wurde ihnen ein Wimpel an die Häftlingskleidung genäht, der den Grund für die Lagerhaft anzeigten. Ab hier konnten sich die Gefangenen, auf eine Nummer und einen Haftgrund reduziert, zu keinem Moment ihres Lebens sicher sein.
Von den Duschen folgen wir der Geschichte des Lageralltags in eine der drei noch stehenden Wohnbaracken des Lagers. Erneut behandeln wir die Täter*innen, Mittäter*innen und Opfer. In den Baracken herrschte eine klare Hierarchie: Sogenannte Funktionshäftlinge waren verantwortlich für den Alltag und das Verhalten der anderen. Trotzdem bedeutete das nicht, dass sie sicherer waren als andere, auch für sie konnte es in der nächsten Stunde oder am nächsten Tag plötzlich vorbei sein.
Wir versuchen uns zu erklären, wie die SS-Angehörigen die Gräueltaten vollbringen konnten. Wir erkennen im Gespräch, dass auch für die SS-Leute wie für die Anwohner*innen Ähnliches galt: der KZ-Alltag wurde zu einer grausamen Normalität. Wie es zu dieser Gewöhnung an die Unmenschlichkeit der Konzentrationslager kommen konnte, ist für unsere Gruppe schwer fassbar – sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, während wir am Ort der Verbrechen sitzen, hinterlässt einen tiefen Eindruck.
Unsere letzte Station der Führung ist der „Raum der Namen“. Mit leuchtend weißer Schrift sind die Namen all jener, die in Mauthausen ermordet wurden, auf schwarzen Platten vermerkt. In dicken Mappen mit tausenden Seiten sind alle Personen noch einmal alphabetisch geordnet. Die Zahl der Toten, mindestens 90.000, ist schwer greifbar. Auf dem Weg zum Ausgang, in einem Gang, der so niedrig ist, dass man den Kopf einziehen muss, können wir einen Blick in die Gaskammer des Konzentrationslagers werfen. Mindestens 3.500 Menschen wurden in der Gaskammer des KZ Mauthausen ermordet.
Im Anschluss an die bewegende Exkursion, ein paar Tage später, treffen wir uns an der Uni, um Raum zu schaffen für Reflexion und Diskussion der in uns immer noch ungeklärten Fragen. Besonders aufwühlend waren für uns Parallelen, die zwischen der damaligen und der gegenwärtigen Zeit aufgezeigt wurden. Die industrielle, systematische Massentötung des NS-Regimes hat es seitdem nicht mehr gegeben. Doch die Reduktion eines Menschen auf seine Arbeitskraft, menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse und die extreme Diskriminierung von religiösen oder ethnischen Minderheiten ist uns auf alarmierende Weise aus der Gegenwart bekannt.
Es wurden viele Fragen aufgeworfen, auf die es vielleicht gar keine Antworten gibt. Wir sind uns aber auf jeden Fall einig, dass die Führung mitsamt den aufgekommenen Diskussionen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen hat.
(Fritz Kranebitter und Hannah Kriwak)