Eva Maria Gintsberg, Kaouther Adimi, Birgit Mertz-Baumgartner und Doris Eibl (v.l.n.r.) vor einem interessierten Publikum.

Eva Maria Gintsberg, Kaouther Adimi, Birgit Mertz-Baumgartner und Doris Eibl (v.l.n.r.) vor einem interessierten Publikum.

Was pas­siert, wenn die Kin­der sich vor den Generä­len nicht mehr fürch­ten?

Das könnte vielleicht ein Wendepunkt für die verknöcherte patriarchalische Gesellschaft Algiers sein.  So geschieht es jedenfalls in dem Roman „Les petits de Décembre“ / „Die Dezemberkids“ der französisch-algerischen Autorin Kaouther Adimi, die auf Einladung des Frankreich-Schwerpunkts und des Instituts für Romanistik in der Wagner’schen Buchhandlung Rede und Antwort stand.

Es war dies die erste Lesung mit Diskussion im Rahmen einer zweiteiligen Veranstaltungsreihe „Printemps littéraire français“ (französischer literarischer Frühling), die der Interdisziplinäre Frankreich-Schwerpunkt sich selbst und den frankophonen und frankophilen Innsbrucker*innen zu seinem 20. Jubiläum schenkte. Organisiert, moderiert und übersetzt von den Romanistinnen Doris Eibl und Birgit Mertz-Baumgartner sowie dem Frankreich-Schwerpunkt-Team, gestaltete sich der Abend als ein lockeres Gespräch mit der jungen erfolgreichen Autorin, zu dem Impulse über die Lesung mehrerer Passagen aus der deutschen Übersetzung ihres Buches (Stimme: Eva Maria Gintsberg) geliefert wurden.

Erzählt wird von einem verwahrlosten Grundstück inmitten einer Siedlung, das den Kindern der ganzen Gegend schon seit Jahrzehnten als Fußballplatz dient. Bis, ja bis, eines Tages in einer Limousine mit Chauffeur zwei Generäle mit Bauplänen und Pistolen auftauchen und behaupten, das Land gehöre ihnen und sie würden dort jetzt ihre Villen hinstellen. Während die Erwachsenen sich ängstlich im Hintergrund halten, organisieren die Kinder ihren Widerstand und besetzen kurzerhand das Terrain. Wie sie den Generälen selbstbewusst entgegentreten und diese tatsächlich mit Beschimpfungen und Wurfgeschoßen – Ziegeln, Steinen – aus ihrem Revier vertreiben, ist eine tiefernste und gleichzeitig urkomische Szene. Im Zentrum der Erzählung steht ein Haus, in dem drei Generationen von Frauen wohnen: die Großmutter Adila, eine Heldin des Unabhängigkeitskriegs, die Tochter Yasmine, die unter Ängsten leidet und in der Arbeit von allen Seiten unter Druck gerät, und die rebellische Enkelin Inès, eine der Anführerinnen des Kinderaufstands.

„Die Details der Handlung sind natürlich Fiktion, aber der Ausgangspunkt ist meine eigene Geschichte“, erklärte die Autorin. „Ich selbst habe mit meinen Freunden auf diesem Gelände Fußball gespielt, auf das später die Generäle Anspruch erhoben. Aber noch meine Generation hätte es nie gewagt, der korrupten Staatsgewalt Widerstand entgegenzustellen. Nicht einmal den Namen ‚Generäle‘ durfte man laut aussprechen, sie waren für uns wie Gott. In diesen Kindern aber wächst eine neue Generation heran, die sich nicht von der Resignation ihrer Eltern anstecken lässt, und die damit an die Großelterngeneration der Freiheitskämpfer*innen des Unabhängigkeitskrieges anknüpfen. Das gibt mir Hoffnung.“

Nicht zufällig sind kurz nach Erscheinen von Kaouther Adimis Roman in Algerien die Demonstrationen der pro-demokratischen Hirak-Bewegung von 2019-20 ausgebrochen, bei denen unter anderem auch die Frauen ihren Platz in der Rebellion und auf der Straße als öffentlichem Raum wieder deutlich beansprucht haben.

Als zweite Veranstaltung des „Printemps littéraire français“ wird am 23.6.2022 um 19:00h in der Stadtbibliothek die algerischstämmige, in Frankreich geborene Autorin Fatima Daas ihr Buch „La petite dernière“ / „Die jüngste Tochter“ vorstellen.

(Eva Lavric)

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