Das Fakultativprotokoll zum Anti-Folter-Abkommen der Vereinten Nationen (OPCAT) wurde in Österreich vor 10 Jahren umgesetzt. Das verfassungsgesetzliche Mandat zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte haben damals die österreichische Volksanwaltschaft und die Menschenrechtskommissionen erhalten. Für die präventive Menschenrechtskontrolle wurden 6 Regionalkommissionen eingerichtet, 2021 eine zusätzlich Bundeskommission. Univ.-Prof. Verena Murschetz leitet seit 2015 die Kommission 1 für Tirol und Vorarlberg. In dieser Funktion stellte sie am 7. Juni im Nationalrat die Arbeit aller sieben Expert*innengruppen vor: „Österreich ist im Bereich der präventiven Menschenrechtskontrolle international ein role model“, sagte die auf Menschrechte spezialisierte Universitätsprofessorin in ihrer Rede. Kein anderes Land verfüge über einen so breit aufgestellten Nationalen Präventionsmechanismus, so Murschetz. – Die Anzahl der Kommissionen und ihrer Mitglieder erlaubt in Österreich nicht nur die Kontrolle der klassischen Orte der Freiheitsentziehung, also Justizanstalten, Polizeianhaltung und Psychiatrien, sondern auch von Einrichtungen im Sozialbereich wie etwa Alters- und Pflegeheime oder Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und Menschen mit besonderen Bedürfnissen sowie den militärischen Bereich.
Präventive Kontrollen offenbaren hohe Defizite
„Wir haben seit 2012 jährlich durchschnittlich 450 Einrichtungen besucht beziehungsweise Akte der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt beobachtet. Im Jahr 2021 sogar 570“, informierte Murschetz in ihrer Rede. In ca. 80 Prozent der Überprüfungen werden laut Kommissionsberichten Defizite bei der Einhaltung der Menschenrechte offensichtlich. In vielen Fällen habe man Verbesserungen erzielen und kleine und große Erfolge erreichen können, erzählte Murschetz und verdeutlichte die Notwendigkeit der präventiven Maßnahmen nicht nur anhand von Zahlen, sondern auch in Form von Schilderungen aus dem Arbeitsalltag der Kommissionen.
Mehr Hartnäckigkeit
Neben Erfolgsgeschichten ließ Verena Murschetz jedoch auch nicht unerwähnt, dass noch Verbesserungspotenzial besteht. Und anderem äußerte sie den Wunsch nach mehr Hartnäckigkeit, vor allem in der Kommunikation mit den Verantwortlichen der besuchten Einrichtungen und den Behörden. „Fragwürdige Begründungen für kritisiertes Verhalten beziehungsweise Rechtfertigungen von Menschenrechtsverletzungen, das Leugnen von Tatsachen, die die Kommissionen mit eigenen Augen wahrgenommen haben, dürfen nicht akzeptiert werden, sondern es muss ihnen beharrlich und nachhaltig entgegengetreten werden, um Verbesserungen zu erreichen“, verdeutlich sie.
Zur Person
Verena Murschetz ist seit 2011 Universitätsprofessorin für Strafrecht und Strafprozessrecht einschließlich des Europäischen und Internationalen Strafrechts an der Universität Innsbruck, wo sie sich 2006 habilitierte. Murschetz studierte Rechtswissenschaften in Innsbruck und an der University of California at Los Angeles. Sie ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Vereinigungen und setzt sich u.a. als Leiterin der Kommission 1 der österreichischen Volksanwaltschaft für den Schutz der Menschenrechte ein, die auch einen wissenschaftlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit bilden.