Eingangsbereich des früheren, noch im Landhaus untergebrachten ORF Tirol

Eingangsbereich des ORF-Studios Tirol, als es noch im Landhaus untergebracht war (bis 1972).

Eine Geschichte des Rund­funks in Tirol

Der ORF Tirol feiert dieses Jahr 50 Jahre Funkhaus, die Anfänge des Rundfunks in Tirol reichen allerdings nochmals fast fünfzig weitere Jahre zurück. Die Geschichte des Rundfunks in Tirol hat der Historiker Benedikt Kapferer erstmals ausführlich wissenschaftlich aufgearbeitet.

Im Rahmen eines vom ORF geförderten Forschungsprojektes hat sich Benedikt Kapferer am Institut für Zeitgeschichte die Geschichte des Rundfunks in Tirol näher angesehen. Anlass war das fünfzigjährige Jubiläum des ORF-Landesstudios Tirol im Oktober 2022. Wir haben mit Benedikt Kapferer, der nach Abschluss des Projektes als Redakteur beim ORF Tirol angefangen hat, über seine Studie gesprochen. Das Projekt lief  von September 2021 bis August 2022. Der gesamte Projektbericht ist über diesen Link zu finden (PDF).

 

Das ORF-Landesstudio Tirol feiert dieses Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen. Die Rundfunkgeschichte im Bundesland reicht aber deutlich weiter zurück: Können Sie die Anfänge und damaligen Umstände kurz beschreiben?

Benedikt Kapferer: Die Anfänge des Radiowesens in Tirol reichen zum Beginn der 1920er Jahre zurück. Zunächst handelte es sich um eine Zeit des Experimentierens und Wartens. Die sogenannte „Radioamateurbewegung“ bildete sich langsam heraus und bestand vorwiegend aus Technikern und Funkern, die mit einfachen Apparaten weit entfernte Radiostationen zu empfangen versuchten. Der Großteil der Bevölkerung musste geduldig sein, denn in entlegene Gebiete drang das neue Medium nur in kleinen Schritten vor – zumindest, was das private Hörvergnügen angeht. Öffentliche Orte wie die Radioabteilung der Buchhandlung Tyrolia in Innsbruck ermöglichten die ersten Berührungen mit der neuen Sensation. Das „Wunder der Wellen“ löste eine besondere Faszination aus und versprach, Grenzen zu überwinden. Nach einer kurzen Phase der relativ freien Ausübung von Radiotätigkeiten konsolidierte sich der Markt in einem monopolistischen Unternehmen. Im Herbst 1924 nahm die Radio-Verkehrs-A.G. (Ravag) in Wien ihre Tätigkeit auf. Allmählich verbreitete sich das Medium dann auch in den Bundesländern. Mit der Eröffnung des Senders Aldrans im Juni 1927 wurde die Infrastruktur für Tirol etabliert und eine Hörerschaft konnte sich herausbilden – „Radio Innsbruck“ war entstanden. Die Produktionsmöglichkeiten und die Sendezeit waren noch sehr gering. Wegen der Anbindung an die Wiener Ravag („Radio Wien“) gab es sehr früh ein Aushandeln von regionalem Gestaltungsspielraum und ein Ringen um Unabhängigkeit.

Wie sah der Funkbetrieb zu Beginn aus und wie eng war die Verbindung zur Politik?

Im Laufe der ersten Jahre von „Radio Innsbruck“ entstand langsam ein kleiner Stab an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zuerst war das provisorische Studio in einer Privatwohnung eines pensionierten Obersts untergebracht. 1929 wurde im sogenannten „Hochhaus“, dem heutigen IKB-Gebäude in der Salurner Straße, ein erstes professionelles Studio eröffnet. Die Kultur spielte in dieser Zeit eine zentrale Rolle. Daher gab es häufig Vorträge, literarische Lesungen oder Schallplattenkonzerte. Für die Vorträge wurden Künstler, Forscher, Zeitungsjournalisten oder Intellektuelle sozusagen als „freie Mitarbeiter“ herangezogen. Für größere Produktionen und aufwändige Reportagen kamen auch Reporter von Wien in den Westen, etwa als Kommentatoren beim zweiten Hahnenkammrennen 1932.

Die Verbindung zur Politik war allgemein sehr eng. Die Bundesregierung hatte über das Unterrichtsministerium und die Post- und Telegraphenverwaltung im Handelsministerium die politische Hoheit über das Rundfunkwesen. Von einem Journalismus mit einem aktuellen Nachrichtendienst sowie einer kritischen Haltung zur Politik kann für diese Zeit nicht die Rede sein. Die tagesaktuelle Berichterstattung war allerdings weitgehend den Zeitungen überlassen. Das änderte sich erst langsam mit der Demokratisierung des Rundfunks nach 1945.

Porträtfoto eines Mannes

Mit der Eröffnung des Senders Aldrans im Juni 1927 wurde die Infrastruktur für Tirol etabliert und eine Hörerschaft konnte sich herausbilden – „Radio Innsbruck“ war entstanden.

– Benedikt Kapferer

Welche Rolle spielte Rundfunk während des Austrofaschismus und in der NS-Zeit?

Nach der Ausschaltung der Demokratie und der Etablierung des Austrofaschismus in Österreich 1933/34 wurden sämtliche Medien von der Politik instrumentalisiert – insofern auch der Rundfunk. Das Radio wurde in den Dienst der Diktatur gestellt. Für verbotene Parteien war es nicht mehr möglich, den Rundfunk zu nutzen oder das Medium für die eigene Propagandaarbeit zu nutzen. Illegale Sendungen aus dem Untergrund wurden überwacht, verfolgt und bestraft. Im März 1933 sei etwa ein geheimer Rundfunksender der Sozialdemokraten auf der Innsbrucker Hungerburg gefunden worden, wie eine Zeitung berichtete. Nachdem Diktator Engelbert Dollfuß beim „Juli-Putsch“ 1934 in Wien von Nationalsozialisten ermordet worden war, kündigte sein Nachfolger Kurt Schuschnigg eine noch stärkere Propagandatätigkeit über den Äther an.

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 gliederte das „Dritte Reich“ die Ravag in die deutsche Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) ein. Damit wurde die bereits seit 1933 bestehende nationalsozialistische Kulturpolitik auf Österreich übertragen. Das bedeutete eine noch stärkere Instrumentalisierung des Mediums. Diese war geprägt von Ausgrenzung und Verfolgung. Wer zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ gehörte, sollte im privaten und öffentlichen Raum mit dem Radio indoktriniert werden. Das Radiowesen unterstand Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und wurde stark zentralistisch geführt. Die Errungenschaften in der eigenständigen regionalen Produktion der Anfangsphase wurden im Nationalsozialismus wieder zurückgedrängt. Der Innsbrucker Sender verlor in dieser Zeit an Bedeutung, weil er lediglich als Nebensender des tonangebenden Reichssenders München fungierte. Franz Hofer, Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, wollte zwar mehr Unabhängigkeit in der Produktion. Das wurde aber von Berlin unterbunden, was zu Konflikten führte.

Für Unterhaltung und Propaganda hatte der Rundfunk im NS-Staat eine unermesslich große Bedeutung. In der Realität gab es jedoch häufig technische Probleme beim Empfang, speziell im gebirgigen Tirol. Politische Reden und Kundgebungen hatten einen hohen Stellenwert. Gauleiter Franz Hofer konnte zum Beispiel für Ansprachen oder Feiern auf eine Sendeanlage zurückgreifen. Zusätzlich wirkten Personen aus dem Bereich Kunst und Kultur, wie etwa der bereits genannte Karl Paulin, Karl Goritschan (u.a. Intendant des Tiroler Landestheaters in der Nachkriegszeit), Hermann Brix, Sepp Tanzer (beide später auch wieder bei Radio Tirol) oder Schauspielerinnen und Schauspieler der Exl-Bühne (ebenfalls durchgehend tätig) auf. Wie schon in der Zeit vor 1938 hatte der Rundfunk der nationalsozialistischen Ideologie entsprechend eine stark nationalistische Ausrichtung. Ein verklärtes, völkisch ausgerichtetes „Tirolertum“ stand bei Lesungen, Konzerten und Co. im Vordergrund.

Wie hat sich der ORF in Tirol seit 1945 entwickelt?

Der Tiroler Rundfunk musste nach 1945 wieder neu aufgebaut werden. Bis zur Eröffnung des Funkhauses am Rennweg am 13. Oktober 1972 war er notdürftig im Landhaus untergebracht. Zuerst in einem provisorischen „Kellerstudio“ beheimatet, professionalisierte sich das Radio ab 1946 in neuen Räumlichkeiten im dritten Stock des Verwaltungsgebäudes. Erster Sendeleiter war Artur Schuschnigg, früherer Ravag-Mitarbeiter und Bruder des austrofaschistischen Diktators Kurt Schuschnigg. Die französische Besatzung gab den Rundfunkleuten bzw. der Landesregierung schnell viel Gestaltungsmöglichkeit und künstlerischen Freiraum. Unter Schuschnigg setzte „Radio Innsbruck“ auf eine Mischung aus Volks- und Hochkultur, wobei er letztere bevorzugte. So wurden klassische Konzerte, Übertragungen aus dem Landestheater oder Hörspiele produziert. Da sich die regierende ÖVP an dieser stark bürgerlichen und hochkulturellen Ausrichtung störte, wollte sie mehr bäuerliche Volkskultur einbringen. Dafür wurde Josef Scheidle, ehemaliger Dollfuß-Anhänger, NSDAP-Mitglied und Zeitungsredakteur sowie Chefredakteur, als neuer Intendant installiert. Er kam ursprünglich aus dem bäuerlichen Milieu und galt als Vertrauter der Tiroler Volkspartei. 1950/51 erfolgte daher eine Umbenennung zu „Radio Tirol“, was von Beobachtern der Presse als rückständige, lokalpatriotische „Tirolisierung“ des Rundfunks gedeutet wurde.

Die Umgestaltung der Führungsebene des Tiroler Rundfunks repräsentiert die enge Anbindung an die Politik. Die vorherrschende ÖVP wollte im Radio ihre Interessen wahren und eine spezifische regionale Identität fördern. Das Radio galt überwiegend als Kulturmedium. Ein moderner Journalismus, der eine kritische Distanz zur Politik pflegt und eine demokratische Kontrollfunktion ausübt, war nicht vorhanden.

In personeller Hinsicht ist in der Frühphase nach 1945 vor allem auf die Kontinuitäten zum Austrofaschismus und zum Nationalsozialismus hinzuweisen. Zahlreiche Personen, die schon im NS-System oder davor publizistisch tätig waren, teilweise NSDAP-Mitglieder waren oder sich als Mitläufer angepasst hatten, kamen auch im Rundfunk der Nachkriegszeit zum Einsatz. Ihre Vergangenheit in den autoritären Regimen und ihre Mitverantwortung in den diktatorischen Systemen, vor allem im Nationalsozialismus, wurden in der Öffentlichkeit nicht thematisiert. Andererseits kamen ab etwa 1950 auch viele neue, junge Talente in den Tiroler Rundfunk. Von hier aus legten sie oft längere Karrieren im Medien- und Kulturbereich in Österreich und im Ausland hin. Beispiele dafür sind Ernst Grissemann, Dietmar Schönherr, Axel Corti oder Bert Breit.

Die Zeit ab 1955 war von Konflikten zwischen Zentralisierung und Föderalisierung sowie vom Aufkommen des Fernsehens geprägt. Nach der Besatzungszeit und der verhältnismäßig starken Selbstbestimmung konnte Wien als rundfunkpolitisches Zentrum wieder vermehrt den Ton angeben. Diese Zeit war einmal mehr von politischer Einflussnahme und vom Parteiproporz gekennzeichnet. Erst das Rundfunk-Volksbegehren 1964 versuchte, eine stärkere Trennung von Politik und Rundfunk herbeizuführen. Die Fernsehproduktion ging praktisch bis 1988 hauptsächlich von Wien aus. Zwar wurden auch TV-Beiträge in den Bundesländern gedreht. Das Material musste aber immer nach Wien gehen. Ein eigenständiges Lokalfernsehen kam erst 1988 mit der Sendung „Tirol heute“ auf. Mit der Bestellung von Gerd Bacher zum Generalintendanten des ORF im Frühjahr 1967 begann dann eine neue Ära im Rundfunk. Er vollzog zahlreiche Reformen und Strukturmaßnahmen, wie die Funkhausprojekte in Salzburg, Linz, Innsbruck und Dornbirn. Erstmals begann der Parteiproporz zu bröckeln und ein neues Bewusstsein für kritischen Journalismus entstand. Die Eröffnung des Funkhauses am Innsbrucker Rennweg 1972 bedeutete schließlich eine erstmalige Emanzipation von den räumlichen Strukturen und der engen Anbindung an die Landesregierung im Landhaus.

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