Alte Zeitungsillustration einer rauchenden Biene

Eine Illustration aus der Bienenzeitung

Das Tex­t­er­be des All­tags

Im Rahmen des Projekts „Zeit.Shift“ widmet sich die Universitäts- und Landesbibliothek Tirol der Digitalisierung von historischen Zeitungen aus Nord-, Ost- und Südtirol.

Wissen Sie, wo es einen Lüftenegger Stock zu kaufen gibt? Oder in welcher Situation Sie vielleicht einen Diabolo-Separator benötigen könnten? Falls diese Begriffe Ihnen nichts sagen, müssten Sie bei Gelegenheit einen Blick in den Tiroler Grenzboten werfen. Oder in die Tiroler-Vorarlberger Bienen-Zeitung.

Diese Zeitungen werden nicht mehr gedruckt, auch wenn der Tiroler Grenzbote noch bis in die 2000er Jahre hinein erschien. Dass sie trotzdem nicht aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden, ist Ziel des interregionalen Projektes „Zeit.Shift.“ Die Universitäts- und Landesbibliothek Tirol (ULB) an der Universität Innsbruck, die Dr. Friedrich Teßmann - Landesbibliothek in Südtirol und das private Forschungszentrum EURAC Research in Bozen arbeiten gemeinsam an der Digitalisierung von historischen Zeitungsbeständen aus Nord-, Ost- und Südtirol. Die digitalisierten Zeitungsartikel stammen hauptsächlich aus den ersten Jahrzehnten des 20sten Jahrhunderts und stehen in den digitalen Bibliotheken der ULB und der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine gemeinsame Online-Plattform befindet sich in Arbeit.

Bewahren, erschließen, vermitteln

An der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol wird abteilungsübergreifend an vielfältigen Aufgaben zusammengearbeitet. Intensiv in das Projekt eingebunden sind dabei vor allem Silvia Gstrein als Projektleiterin von Zeit.Shift an der ULB Tirol sowie Barbara Laner, Johanna Walcher und Maritta Horwath aus der Abteilung für Digitale Services.

„Historische Zeitungen als zeitgenössische Quellen sind in der öffentlichen Wahrnehmung nicht sehr präsent und akut vom Zerfall bedroht. Auch sind die Zeitungsbestände regional stark verteilt, was die länderübergreifende Kooperation in diesem Projekt umso wichtiger macht“, erklärt Johanna Walcher.

Das Projekt ist in drei Bestandteile gegliedert: Bewahren, erschließen und vermitteln. Zu Ersterem gehört die Digitalisierung der historischen Zeitungen an sich. Bei der Erschließung kommen computerlinguistische Methoden zum Einsatz. Für diese ist vor allem EURAC Research zuständig. In maschinellen und automatisierten Verfahren sollen wichtige Begriffe wie Personen, Namen und Orte erkannt und auf digitalen Karten geographisch lokalisiert werden. Diese Informationen werden aber auch händisch erschlossen. Dafür werden Bibliotheken, Archive und Museen in mehreren Workshops geschult. „Da kommt dann auch der große Aspekt der Vermittlung ins Spiel“, erklärt Horwath.

Neue Inhalte entdecken

Die Frage, die bei der Vermittlung des Projekts im Vordergrund steht, lautet: Was ist mit diesen Quellen anzufangen, wenn sie einmal digitalisiert sind? Das Projekt will ein Bewusstsein dafür schaffen, was in historischen Zeitungen alles entdeckt werden kann - nicht nur für die Forschung, sondern auch für die breite Öffentlichkeit. Deswegen arbeitet das Zeit.Shift-Team neben der Organisation von Workshops vor allem an einer Citizen-Science-Initiative, die einen wesentlichen Bestandteil des Projektes darstellt und eine aktive Teilnahme der Öffentlichkeit ermöglicht. „Mit der Citizen-Science-Initiative wollen wir mit unseren Inhalten rausgehen und die Leute dazu einladen, mit uns neue Inhalte zu entdecken und an ihnen zu arbeiten“, sagt Walcher.

Dafür werden Werbeanzeigen aus den digitalisierten Zeitungsbeständen auf die Plattform „Historypin“ geladen. Jede*r mit einem Internetzugang kann auf diese zugreifen und sie auf eigene Faust durchsuchen. Nutzer*innen können durch zwei einfache Aufgaben dabei helfen, das kulturelle Erbe Tirols zu bewahren und aufzuarbeiten: lokalisieren und taggen. Dazu muss nur eine Zeitungskollektion ausgewählt werden, wie zum Beispiel die Tiroler-Vorarlberger Bienen-Zeitung oder der Tiroler Grenzbote. Wenn die Werbeanzeige auf einen bestimmten Ort verweist, kann dieser auf einer Karte lokalisiert und markiert werden. Weiters können Tags hinzugefügt werden, also kurze Beschreibungen, die dabei helfen, Anzeigen in bestimmte Kategorien einzuordnen - dazu gehören Eigennamen, bestimmte Produkte oder eine Veranstaltung, um die es in der Anzeige geht.  

Wer an einer Anzeige besonders interessiert ist, kann auch online weiter dazu recherchieren und weitere Entdeckungen als Link hinzufügen - zum Beispiel über den „Lüftenegger Stock“, zur Zeit der Bienen-Zeitung ein sehr beliebtes Bienenstock-Modell. Oder über den Diabolo- Separator, einer Milchzentrifuge zur Verarbeitung von Frischmilch, die im Grenzboten über zahlreiche und geografisch weit verbreitete Anzeigen beworben wurde.

Einblick in den Alltag

„Über eine Auswertung dieser Werbeanzeigen gewinnt man einen sehr guten Einblick in das Alltagsleben bestimmter Regionen, weil es eine schriftliche Quelle ist, die direkt aus der Bevölkerung kommt“, erklärt Horwath.  

Bei den Anzeigen handelt es sich schließlich nicht nur um Werbung für Produkte. Neben Inseraten für Haarfärbemittel und weiße Zähne finden sich medizinische Empfehlungen, Stellenausschreibungen, Traueranzeigen und Veranstaltungen.

„Es tauchen auch immer wieder außergewöhnliche Fundstücke auf“, fügt Walcher hinzu. „Erst vor kurzem bin ich auf eine Klarstellung zu Feigenkaffee gestoßen. Das war damals ein beliebtes Getränk, das auch Kaffee beigemischt wurde - nur haben die Leute ihn wohl oft viel zu hoch dosiert, sodass die Hersteller die richtige Verwendung in einem Kommentar klarstellen mussten.“

Eine Wissensquelle für alle

Ein weiterer Ansatz, mit dem das Projekt unter dem Aspekt „Vermittlung“ experimentiert, ist die Nutzung der digitalen Zeitungsarchive durch Schüler*innen. Dazu wird gerade ein MOOC erarbeitet, ein groß angelegter Onlinekurs. Die Schüler*innen sollen darin lernen, die Zeitungsartikel für eigene wissenschaftliche Hausarbeiten auszuwerten.

„Der große Grundgedanke dieses MOOCs ist, mithilfe von historischen Zeitungen zu einem bestimmten Thema zu recherchieren - also wie die Portale genutzt werden oder was bei der Erarbeitung einer Forschungsfrage beachtet werden muss“, sagt Walcher. Wie auch bei der Citizen-Science-Initiative dreht sich hier alles darum, ein vollständigeres Bild des Tiroler Alltagslebens vor 100 Jahren zu erarbeiten.

Wer selbst in den Zeitungsartikeln stöbern und bei der Lokalisierung helfen möchte, kann diesem Link folgen.

Nach oben scrollen