Der Ukraine-Konflikt hat zu zahlreichen Auslegungskonflikten im neutralitätsrechtlichen Bereich geführt und wieder einmal vor Augen geführt, wie schwer das Neutralitätsrecht mit dem geltenden Völkerrecht – und für Österreich mit dem EU-Recht – in Einklang zu bringen ist.
Zum finnischen Neutralitätsstatut – das nunmehr mit dem vor kurzem eingereichten NATO-Beitritt auch formell aufgegeben worden ist – hat Prof. Johanna Raiio-Niemi gesprochen, die Schweizer Situation haben Prof. Matthieu Gillabert von der Universität Fribourg und Prof. Marco Sassòli von der Universität Genf dargestellt.
Die Referate sind auf intensives Interesse der Parlamentarier gestoßen, die zahlreiche Fragen zur aktuellen Situation in der Schweizer Rechtsordnung also auch zu den einschlägigen europäischen und internationalen Entwicklungen in diesem Bereich stellten.
Deutlich wurde, dass international für den Fall eines bewaffneten Angriffs immer mehr Solidarität eingefordert wird. Nach 1945 konnte das Bekenntnis zur Neutralität einen Beitrag zur Entschärfung von spezifischen Konfliktsituationen leisten, doch in rechtlicher Hinsicht wurde es immer schwieriger, den mit dem Neutralitätsrecht einhergehenden Sonderstatus, der vielfach in Anspruch geworden ist, zu verteidigen.
Im Rahmen des Hearings kam zum Vorschein, dass das, was häufig als Neutralitätsrecht dargestellt wird, in Wirklichkeit Neutralitätspolitik ist, die auch deshalb betrieben wird, weil in Ländern wie Österreich und der Schweiz die Neutralität einen so hohen Stellenwert in der Bevölkerung genießt. Eine Aufgabe der Neutralität, die vielfach von der Wissenschaft als konsequenter Schritt im aktuellen internationalen Gefüge einfordert wird, ist politisch weder in der Schweiz noch in Österreich durchsetzbar. Finnland befand sich aufgrund der aktuellen Bedrohungslage in einer anderen Situation – in Finnland ist der NATO-Beitritt von der Bevölkerung gewollt. Tatsächlich war aber Finnland – wie Prof. Rainio-Niemi ausführte – schon seit dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr neutral.
Großes Interesse hat auch das Instrument der 2021 geschaffenen EU-Friedensfazilität hervorgerufen. Bei diesen Ausgaben beteiligt sich auch Österreich, wenngleich nur soweit, als damit nicht die Anschaffung militärischer Ausrüstung für die Anwendung tödlicher Gewalt verbunden ist. In Summe ändert sich damit aber nichts an der Höhe der am Bruttonationaleinkommen bemessenen Ausgaben, wie Prof. Hilpold ausführte.
Insgesamt wurde der Wert eines solchen internationalen Austauschs allgemein bestätigt. Gerade in der neutralitätsrechtlichen Diskussion gibt es in Österreich und in der Schweiz zahlreiche Parallelen und die „Sicht über die Grenze“ könnte dazu beitragen, gemeinsame Lösungsansätze für Sicherheitsfragen zu finden, die sich für beide Staaten in immer ähnlicherer Form stellen.
Geleitet wurde das Hearing von den Präsidenten Franz Grüter und Primin Bischof sowie von Botschafter Claudio Fischer.
(Peter Hilpold)