Die Festschrift für Prof. Heinrich Neisser trägt den Titel „Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Solidarität in Österreich und in Europa“ und wurde ihm zum 85. Geburtstag gewidmet. Erschienen ist das Werk im facultas-Verlag (Wien). Herausgeber der Festschrift sind Prof. Peter Hilpold, Mag. Andreas Raffeiner und Prof. Walter Steinmair.
Die Tagung, die von Prof. Ulrike Haider-Quercia und Prof. Peter Hilpold, geleitet wurde, stellte zentral auf die brisantesten EU-rechtlichen und EU-politischen Fragestellungen ab: Grundrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Diskussion dieser Tage um die Rechtsstaatlichkeitsberichte der Europäischen Kommission und um die Genehmigung und Verteilung der Hilfsgelder aus dem Wiederaufbaufonds verdeutlicht den Rang dieser Themen. Die Grundrechtethematik wurde am kürzlich erschienenen Band von Ferdinand von Schirach aufgehängt, der gezeigt hat, dass die Europäische Grundrechte-Charta dringend einer Ergänzung bedarf. Die „Konferenz zur Zukunft Europas“ bietet eine hervorragende aktuelle Plattform, um dieses Reformanliegen weiter voranzubringen. Sie stellt zudem ein wichtiges neues demokratiepolitisches Experimentierfeld darf. Einleitend hob Prof. Bernd Karner, Soziologe und Präsident des Südtiroler Bildungszentrums, die enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Trägerorganisationen dieser Veranstaltung hervor. Das Südtiroler Bildungszentrum habe immer wieder neue Aufgabenfelder im bildungspolitischen Bereich erschlossen und die Initialzündung für Projekte gegeben, die sich nachfolgend sehr erfolgreich verselbstständigt haben.
Zu den Kurzreferaten selbst
Prof. Roland Benedikter, ein an der EURAC Bozen lehrender und weit über die Landesgrenzen bekannter Politikwissenschaftler und Soziologe referierte über die transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Europa und umriss die Lage nach dem Abgang der Trump-Administration und wagte eine Prognose über die weitere Entwicklung.
Prof. Andreas Maurer von der Universität Innsbruck und Spezialist in der EU-Integrationsforschung, unterstrich die Bedeutung des Europäischen Parlaments als Hüterin der europäischen Werteordnung.
Prof. Dr. Peter-Christian Müller-Graff lieferte einen spannenden Abriss zur Wirtschaftsordnung nach Corona und vor den großen Herausforderungen einer internationalen Neupositionierung der EU. Sein Referat wurde von den nachfolgenden Referenten immer wieder aufgegriffen.
Prof. Walter Steinmair als auch Prof. Dr. Fritz Breuss behandelten im Detail den Wiederaufbauplan der EU – in einer globalen Betrachtungsweise und bezogen auf Italien bzw. Österreich.
Einigkeit bestand darin, dass dieses Maßnahmenpaket eine einmalige Chance für Europa darstellt, gleichzeitig aber sehr viel Disziplin und Weitsicht bei der Umsetzung verlangt. Diese Gelegenheit für einen Neuanfang dürfe nicht verspielt werden. Vor der Mittagspause berichtete Dr. Günther Rautz – auch er ist wie Benedikter an der EURAC in Bozen tätig – über den sich immer weiter fortentwickelnden Minderheitenschutz in Europa. Dies sei ein mühsamer Prozess, der auf viele Widerstände stoße, aber dennoch zielorientiert voranschreite. Nach der Mittagspause umriss der Vizerektor für Lehre und Studierende der Universität Innsbruck, Prof. Bernhard Fügenschuh die Lage der Universität Innsbruck nach dem Überstehen der COVID-19-Pandemie und betonte digitale wie gleichermaßen internationale Elemente. Die Universität Innsbruck bleibe eine Präsenzuniversität, aber sie werde die Erfahrungen der Corona-Zeit gewinnbringend nutzen und habe in dieser Zeit auch große Kooperationsprojekte auf den Weg gebracht. Das digitale Element werde in Zukunft einen bedeutenden Stellenwert in der Lehre einnehmen.
Im Anschluss begann ein Mini-Symposium zum Thema „Jeder Mensch“. Der bekannte Rechtsanwalt und Europarechtsexperte Prof. Ulrich Karpenstein verdeutlichte in seinem Referat zur „Grundrechtsklage laut Artikelentwurf ‚Jeder Mensch‘“ die Notwendigkeit eines wirksameren Individualrechtsschutzes. Frau Prof. Maria Berger untermauerte dieses Anliegen in einem Grundsatzreferat, das auf großen Anklang stieß und eine intensive Diskussion zur Folge hatte. Frau Prof. Berger kann aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen, war sie doch selbst bis 2019 Richterin am EuGH. Nun ist sie eine wichtige Promotorin der Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsinitiative in Österreich. Paul Lendvai, ein aus Ungarn stammender österreichischer Publizist und nach wie vor ein unermüdlich tätiger Vortragender und Experte, insbesondere zu Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Mittel- und Osteuropa, trug zum Thema „Wahrheit und Grundrechtsschutz“ ein geradezu literarisches Meisterwerk vor. Er verdeutlichte dabei, dass die „Wahrheit“ nicht nur in der Politik Mittel- und Osteuropas gerade in diesen Tagen besonders gefährdet sei. Wichtige Kommentarbeiträge lieferte der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Dr. Othmar Karas, der sehr deutlich den Beitrag der Europäischen Union zur Stärkung des europäischen Wirtschaftssystems, aber auch zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit hervorstrich.
Abgerundet wurde die Europatagung durch ein Zeitzeugeninterview von Mag. Andreas Raffeiner mit Prof. Dr. Heinrich Neisser, in dem kurze Etappen der europäischen Geschichte, der Ist-Zustand Europas und die politische Zukunft des Kontinents post Corona angeschnitten wurden. Persönliche Glückwünsche an den Jubilar, überbracht von aktuellen und früheren Weggefährten des Jubilars beendeten eine äußerst informative, menschlich aber auch sehr berührende Tagung. Und es schien dabei durchgehend ein besonderer Charakterzug des Jubilars durch, wenn das Leitmotiv – trotz aller aufgezeigten Herausforderungen und Probleme – Optimismus und der Glaube an die Zukunft Europas waren.
Das einwandfreie technische Gelingen der Tagung wurde durch die professionelle Unterstützung von Markus Lobis, lobis.it und Klaus Tumler, SBZ, ermöglicht.
(Andreas Raiffeiner)