Forschungsschiff Kaimei
Das Forschungsschiff Kaimei sticht am 13. April 2021 vom Hafen der Stadt Yokusuka in See. Sedimentablagerungen in bis zu acht Kilometer tiefen Becken am Grund des Japan-Grabens werden mit einer speziellen Tiefseebohreinrichtung entnommen.

Auf den Spuren von Stark­beben im Feuer­ring

Viele Prozesse hinter Starkbeben sind bis heute nicht geklärt. 10 Jahre nach dem schweren Tohoku-oki-Erdbeben in Japan werden nun im Rahmen des Internationalen Ozeanbohrprogramms IODP Sedimente aus bis zu acht Kilometern Tiefe aus dem Japan-Graben entnommen. Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie, ist wissenschaftlicher Co-Leiter der Tiefsee-Expedition.

Heute vor genau zehn Jahren, am 11. März 2011, wurde Japan unerwartet von einem der schwersten Erdbeben erschüttert, das jemals gemessen wurde und das eine Dreifachkatastrophe zur Folge hatte. Das Tohoku-oki-Erdbeben hatte auf der Momenten-Magnituden-Skala (Mw) – einer wissenschaftlich präziseren Angabe für die Stärke von Erdbeben – einen Wert von 9,0: Es löste einen Tsunami mit enormer Zerstörungskraft aus, der Tausenden Menschen das Leben kostete und eine Nuklearkatastrophe im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi zur Folge hatte. Kleinere Erdbeben sind nicht prinzipiell unüblich für Japan, liegt das Land doch am so genannten Pazifischen Feuerring, einem tektonisch hochaktiven Gebiet. „Das gesamte Spektrum von möglichen Erdbebenprozessen kann dort untersucht werden. Von besonderem Interesse sind für uns Starkbeben, also Erdbeben mit einer Momentenmagnitude von neun oder mehr. Welche Prozesse zu so starken Erdbeben führen und wie häufig sie auftreten, ist bis heute nicht ganz verstanden“, erklärt Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie und der Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen an der Universität Innsbruck. „Um die Ursachen und die Frequenz von Starkbeben besser verstehen zu können, werden wir Bohrkerne aus der Tiefsee als eine Art prähistorischen Seismographen nutzen. In den Sedimentabfolgen aus der Tiefsee können wir Deformationsstrukturen finden, die durch vergangene Starkerdbeben ausgelöst wurden und ihre Intensität und Häufigkeit bis weit in die Vergangenheit rekonstruieren“, verdeutlicht der Geologe. Ein genauer Blick in diese geologische Vergangenheit ist nun das Ziel der Expedition 386 „Japan Trench Paleoseismology“ des Ozeanbohrprogramms IODP (International Ocean Discovery Program). Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird dazu am 13. April 2021 an Bord des Forschungsschiffs Kaimei den Hafen der Stadt Yokusuka in Richtung Japan-Graben verlassen. Michael Strasser wird die Expedition – aufgrund der Pandemie in den ersten Wochen zunächst aus dem „Homeoffice“ – an der Uni Innsbruck wissenschaftlich leiten. Dr. Ken Ikehara vom National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST) in Japan ist an Bord des Schiffs.


8 Kilometer unter der Meeresoberfläche


Der Pazifische Feuerring ist ein 40.000 Kilometer langer Gürtel, der den Pazifischen Ozean von drei Seiten umgibt. Der Großteil aller Erd- und Seebeben der Erde ereignet sich entlang dieses Rings: Ursache dafür sind so genannte Subduktionszonen, wo sich ozeanische Erdkrustenteile verbiegen und unter überschiebende Erdplatten hineinbewegen. Dabei wird über einen längeren Zeitraum die aufgebaute Spannung der globalen Plattentektonik-Bewegung angesammelt, die dann während so genannter Subduktionszonen- oder Megathrust-Erdbeben plötzlich freigesetzt wird. Solche Seebeben und damit verbundene Tsunamis – wie zum Beispiel das Sumatra-Erdbeben (2004) und das bereits genannte Tohoku-oki-Erdbeben (2011) – sind große Naturgefahren mit potenziell katastrophalen Auswirkungen für Menschen und Infrastruktur. „Da die tektonischen Erdplatten ständig in Bewegung sind, werden sich solche riesigen Erdbeben erneut ereignen. Die instrumentellen und historischen Aufzeichnungen reichen jedoch nicht aus, um Unsicherheiten bei der Erdbebengefahrenbewertung entlang von Subduktionsplatten-Grenzen zu verringern“, verdeutlicht Michael Strasser. Im Rahmen der IODP-Expedition werden nun Sedimentablagerungen in bis zu acht Kilometer tiefen Becken am Grund des Japan-Grabens untersucht. Diese Becken wurden durch die Abwärtsbiegung der ozeanischen Pazifik-Erdplatte entlang der Subduktionszone des Japan-Grabens gebildet und gelten als ideale Orte zur Erforschung vergangener Erdbeben. „Diese Ozeansedimentbecken zählen zu den tiefsten und am wenigsten erforschten Orten der Erde. Sie stellen Auffangbecken für die durch Erdbeben umgelagerten Sedimentmassen dar und bieten so hervorragende und kontinuierliche Archive vergangener Erdbebenereignisse. Wir sehen dieses Sedimentarchiv sozusagen als einen Unterwasserseismographen, der vergangene Erdbeben seit mehreren zehntausend Jahren kontinuierlich aufgezeichnet hat. Das jüngste gigantische Tohoku-oki-Erdbeben 2011, sowie ältere Megathrust-Erdbeben, die in der japanischen Geschichte dokumentiert sind, ermöglichen es uns, diesen ‚natürlichen Seismographen‘ für die Entschlüsselung der tieferen Erdbebengeschichte im Sedimentarchiv zu kalibrieren“, so Michael Strasser.

100.000 Jahre in die Vergangenheit

Um die Informationen aus dem Sediment zu entschlüsseln, kommt auf dieser Expedition erstmalig ein so genanntes Riesenkolbenlot-Sedimentkerngerät zum Einsatz, das vom Forschungsschiff Kaimei eingesetzt wird. Ziel ist es, Sedimentproben zu gewinnen, die die letzten 50.000 bis 100.000 Jahre abdecken. An mehreren Stellen entlang des gesamten Japan-Grabens (36 bis 41 Grad nördlicher Breite) werden Bohrkerne entnommen. „Dadurch können wir die zeitliche und räumliche Verteilung vergangener Erdbeben entlang der gesamten Japan-Graben-Subduktionszone dokumentieren und die Erdbebenaktivität der verschiedenen Plattensegmente erforschen, die entlang der Japan-Graben-Plattengrenze in unterschiedlich großen Erdbeben einzeln beziehungsweise gleichzeitig brechen können. Diese Vorgehensweise wird eine bisher beispiellose Langzeitbeobachtung zu Tage fördern, um Erdbeben-Wiederholungsmuster – zyklisch vs. Cluster vs. zufällig – für eine zuverlässige Gefährdungsbeurteilung zu charakterisieren und um neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, weshalb sich einige Megathrust-Erdbeben zu gigantischen Erdbeben ausbreiten, während andere dies nicht tun", sagt Dr. Ken Ikehara vom AIST (National Institute of Advanced Industrial Science and Technology) in Japan.

Forschungsschiffe Kaimei und Chikyu

35 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener geowissenschaftlicher Disziplinen aus Österreich, Deutschland, Australien, China, England, Finnland, Frankreich, Indien, Japan, Korea, Schweden und den Vereinigten Staaten nehmen an IODP-Expedition 386 „Japan Trench Paleoseismology“ teil. Vier dieser Wissenschaftler werden nun am 13. April gemeinsam mit der Schiffsbesatzung und dem technischen Team aus Japan mit dem Forschungsschiffes Kaimei in See stechen. Nach der Offshore-Phase in diesem Frühjahr wird sich das gesamte wissenschaftliche Team zum ersten Mal im Herbst an Bord des wissenschaftlichen Tiefsee-Bohrschiffs Chikyu treffen. Die Laborinfrastruktur dieses am Hafen liegenden Schiffs wird dann für die Untersuchung der gewonnen Sedimentbohrkerne genutzt werden. Die kuratierten Bohrkerne werden der internationalen Forschungscommunity für weitere Untersuchungen zur Verfügung gestellt.
Die Expedition wird vom European Consortium for Ocean Research Drilling (ECORD) in Zusammenarbeit mit dem Institute for Marine-Earth Exploration and Engineering (MarE3) / Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology (JAMSTEC) im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt. Das IODP ist ein internationales Meeresforschungsprogramm, das derzeit 23 Länder umfasst. Die Trägerorganisation der österreichischen Mitgliedschaft bei ECORD bzw. IODP ist die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

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