Rennrad Team
Wie wird man Top-Profiradfahrer? Diese Frage ist Teil eines einzigartigen Projektes im Rennrad-Nachwuchsbereich, bei dem junge Rennradfahrer des Tirol KTM Cycling Teams von Wissenschaftlern begleitet werden.

Auf dem Weg an die Spitze

Aktuell findet das bekannteste Radrennen der Welt, die Tour de France, statt. Einmal daran teilzunehmen, davon träumen auch die jungen Nachwuchs-Rennradfahrer des Tirol KTM Cycling Teams. Um sie ihrem Traum ein Stück näher zu bringen, werden sie seit einigen Monaten von einem Team an Wissenschaftlern begleitet, das vom Innsbrucker Sportwissenschaftler Justin Lawley geleitet wird.

Was unterscheidet einen jungen Rennradfahrer von einem Top-Profiradfahrer wie jenen, die am kommenden Samstag bei der Tour de France an den Start gehen? Diese Frage ist Teil eines einzigartigen Projektes im Rennrad-Nachwuchsbereich, bei dem Justin Lawley, Professor am Institut für Sportwissenschaft in den kommenden drei Jahren Rennradfahrer aus dem U23 Tirol KTM Cycling Team von Thomas Pupp wissenschaftlich begleitet. Dafür hat sich Lawley zahlreiche Experten in sein Team geholt: den japanischen Kardiologen Kyohei Matume, Teamarzt Dr. Werner Tiefenthaler sowie die drei jungen Sportwissenschaftler Matthias Hovorka von der Uni Wien, Dean Perkins, der bereits mit dem britischen Tour-de-France- und Tour-of-the-Alps-Sieger Geraint Thomas gearbeitet hat, und den PhD-Studenten und Leistungsdiagnostiker des jungen Tirol KTM Cycling Teams, Peter Leo. Letzterer hat erst im Frühjahr dieses Jahres einen Artikel im International Journal of Sports Physiology and Performance veröffentlicht, in dem er einen entscheidenden Erfolgsfaktor von Rennradprofis identifizieren konnte: Die Toleranz gegenüber Ermüdung. „Sowohl die Profis als auch die U-23-Athleten sind extrem leistungsstark. Der größte Unterschied ist also nicht die reine Leistungsfähigkeit, sondern die Toleranz gegenüber Ermüdungserscheinungen. Profis sind in der Lage, ihre Leistung im Rennen auch nach sehr langer Zeit noch zu steigern, beispielsweise dann, wenn es um den Sieg geht“, erklärt Peter Leo. Das Ziel der jungen Athleten ist es also, diese letzten Prozent ebenfalls abrufen zu können, wenn es darauf ankommt. Dabei soll sie das Projekt um das Team von Justin Lawley unterstützen.

Leistung

Als Indikator für die körperliche Verfassung von Leistungssportlern dient das sogenannte „power profile“. Dieses Leistungsprofil zeigt, wie lange ein Sportler eine gewisse Leistung über eine bestimmte Zeitdauer, im Falle der Radsportler gemessen in Watt, erbringen kann. „Da wir die Athleten in unserem Projekt über mehrere Monate hinweg begleiten, interessiert uns vor allem, wie sich das Leistungsprofil im Laufe einer Saison verändert und ob und wie sich der Körper an die verschiedenen Trainingsphasen anpasst“, erklärt Justin Lawley. Das Jahr der jungen Radsportler setzt sich, wie auch bei den Profis, aus drei Phasen zusammen: Nach intensivem Training über die Wintermonate folgen ab März die Rennen, bevor die Athleten in der Nebensaison im Hochsommer für eine gewisse Zeit weniger intensiv trainieren. Insgesamt drei Mal werden die Sportler während des gesamten Jahres den Leistungstests unterzogen. Der Fokus liegt dabei neben der Leistungsentwicklung auch auf der Herzgesundheit, die eine entscheidende Rolle beim Sauerstofftransport in die Muskeln spielt.

Herzgesundheit

„Im Körper gibt es verschiedene Organsysteme und -abläufe, die die Aufnahme, den Transport und die Verteilung von Sauerstoff im Körper beeinflussen. Denn nicht alles vom eingeatmeten Sauerstoff, landet letztendlich in den Mitochondrien, die für die Energiebereitstellung in der Muskulatur maßgeblich verantwortlich sind“, erklärt Sportwissenschaftler Lawley. Den Weg des Sauerstoffs von der Einatmung, über das Blut bis hin zur Muskulatur beschreibt die Sauerstoffkinetik: Nach dem Einatmen werden die Sauerstoffmoleküle in der Lunge an das Blut, genauer genommen an das Hämoglobin gebunden, bevor sie durch das Pumpen des Herzens über das Arteriensystem zu den Muskeln gelangen. Doch gerade bei Top-Athleten kann es bei diesem Prozess in Phasen höchster Belastung zu Problemen kommen, weiß Lawley: „Viele Leistungssportler haben ein größeres Herz als normal trainierte oder untrainierte Menschen. Bei sehr hohen Belastungen kann es deshalb dazu kommen, dass die Diffusionszeit in der Lunge von Sauerstoffmolekülen an die Hämoglobinmoleküle absinkt und somit die Sauerstoffversorgung in die Muskulatur leicht einbricht. Das Herz pumpt dann nämlich so schnell, dass für die Sauerstoffmoleküle in der Lunge keine Zeit mehr bleibt, ins Blut überzugehen.“ Wie viel Sauerstoff der Körper bei höchster Belastung maximal pro Minute verwerten kann, das untersuchen die Wissenschaftler mit der sogenannten VO2max-Messung. Dabei sitzen die Nachwuchssportler auf einem Ergometer und tragen eine Maske, die misst, wie viel Liter Sauerstoff in einer Minute aus der Umgebungsluft aufgenommen werden kann und für die Energiebereitstellung in der Muskulatur genutzt wird. Dabei wird die Belastungsintensität ständig erhöht, der Körper braucht mehr und mehr Sauerstoff – bis zu einem Punkt, an dem die Sauerstoffaufnahme nicht weiter ansteigt und ein Plateau bildet. Sobald dieses Plateau erreicht ist, dauert es nicht mehr lange bis zur totalen Erschöpfung und der Test wird beendet. „Unsere Athleten, männlich und zwischen 18 und 22 Jahre alt, erreichen im Schnitt einen VO2max-Wert von etwa 5.3 l/min oder 75.7 ml/kg/min. Zur Orientierung: Bei gleichaltrigen, durchschnittlich trainierten liegt der Wert etwa bei 50-60 ml/kg/min. Studien zeigen, dass die maximale Sauerstoffaufnahme mit der Lebenserwartung korreliert. Der Wert ist also nicht nur für Leistungssportler interessant, sondern insgesamt ein Prädikator für die Lebenserwartung“, sagt Justin Lawley. Neben der Sauerstoffversorgung ins Blut untersuchen die Wissenschaftler auch das Herz der Nachwuchs-Radsportler. Über einen Herzultraschall können sie feststellen, ob sich der Muskel über die verschiedenen Phasen beispielsweise in Größe oder Funktion verändert.

Auch andere Faktoren entscheidend

Am Ende jeder der drei Testreihen setzen die Wissenschaftler die Werte in Beziehung zum Leistungsprofil der Athleten, um zu sehen, ob eine Veränderung auch Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der jungen Sportler hat. „Auch wenn das sehr schwer vorherzusagen ist, wollen wir die Parameter herausfinden, die zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit führen. Uns ist dabei sehr wohl bewusst, dass wir in unserem Projekt lediglich körperliche Merkmale untersuchen und sich auch weitere Faktoren, wie beispielsweise die Renntaktik, Stress oder andere psychische Faktoren auf die Leistungsfähigkeit auswirken können“, sagt Lawley. Projektstart war coronabedingt mit einigen Monaten Verzögerung im März dieses Jahres, das Projekt läuft insgesamt drei Jahre.

 

Dieser Beitrag ist in der Juni-2021-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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