Präsentation der Armutsstudie

LRin Gabriele Fischer (2.v.li.) präsentierte gemeinsam mit v.li. Studienleiter Andreas Exenberger (Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte der Universität Innsbruck), Ursula Costa (fh gesundheit Tirol) und Lukas Kerschbaumer (Management Center Innsbruck) die Ergebnisse der Studie „Armutsbetroffenheit in der Krise – Eine Studie des Tiroler Armutsforschungsforums 2020/21“.

Ar­mut in Ti­rol auf der Spur

Eine Studie von Forschenden der Universität Innsbruck, des MCI und der fh gesundheit Tirol in Kooperation mit dem gemeinnützigen Verein unicum:mensch beleuchtet „Armutsbetroffenheit in der Krise“. Dabei wurden die Auswirkungen der Covid-Pandemie in Tirol für Armutsbetroffene wissenschaftlich untersucht und Lebensrealitäten, Ausgrenzungserfahrungen und Teilhabechancen dargestellt und analysiert.

Welche Personengruppen sind in Tirol vermehrt von Armut betroffen? Wie stellt sich die Situation von armutsbetroffenen Menschen in Tirol dar? Welche Auswirkungen hat die aktuelle Corona-Pandemie auf armutsbetroffene Menschen? Diesen Fragen wurde im Rahmen der Studie „Armutsbetroffenheit in der Krise – Eine Studie des Tiroler Armutsforschungsforums 2020/21“ unter der Leitung von Andreas Exenberger vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte der Universität Innsbruck nachgegangen. Mit der Studie, die vom Land Tirol mit 60.000 Euro gefördert wurde, wird der Kenntnisstand über die Auswirkungen der Covid-Pandemie in Tirol für Armutsbetroffene beträchtlich erweitert. Dieser war bislang wissenschaftlich praktisch nicht erforscht. Gleichzeitig beinhaltet die Studie eine umfassende Beschreibung der Lebensumstände der von Armut betroffenen Menschen. Speziell für sie wirkt die Covid-Pandemie als „Brennglas“: „‚Corona‘ verstärkt problematische und prekäre Lebenssituationen. Es wirkt sich nicht nur negativ auf die psychische und körperliche Gesundheit aus, sondern insbesondere auch auf soziale Verhältnisse. Kurz gesagt: Personen mit Ressourcen hatten Wahlmöglichkeiten, die andere nicht hatten“, resümiert Andreas Exenberger.

„Das Thema Armut muss in den öffentlichen Fokus gerückt werden, denn es wird oft übersehen, es wird weggesehen und es ist mit Scham verbunden – für mich als Soziallandesrätin ist das keine Option. Die umfassende wissenschaftliche Betrachtung des Themas war mir ein ganz besonderes Anliegen.“, stellt Landesrätin Gabriele Fischer klar. Man dürfe, so die Landesrätin weiter, nie das Ziel aus den Augen verlieren: „Soziale Politik bedeutet, das Leben der betroffenen Personen zu verbessern und zu sichern. Allen Menschen, die Hilfe brauchen, muss geholfen werden.“

In Tirol gibt es ein Netz aus vielfältigen Hilfeleistungen, um Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und Menschen in finanzieller Not bei der Bewältigung ihrer Kosten für Lebensunterhalt, Wohnen und Krankenversorgung zu unterstützen. „Jeder Mensch soll die Hilfe bekommen, die er oder sie braucht – egal, ob das beispielsweise Betreuung, Schutz oder Beratung ist. Die vorliegende Studie zeichnet ein umfassendes Bild der Lebensrealitäten von armutsbetroffenen Menschen in Tirol. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf betroffene Personengruppen und leistet einen Beitrag, die Hilfsleistungen noch treffsicherer zu gestalten. Wichtig ist auch eine entsprechende Bewusstseinsbildung, damit die Menschen diese Hilfeleistungen auch annehmen“, betont Fischer.

Unterschiedliche Aspekte der Armutsbetroffenheit

Die Studie basiert auf acht Teilprojekten, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Armutsbetroffenheit beleuchten. So wurde vor allem das Armutsrisiko und die Armutsbetroffenheit von Menschen mit Bildungsdefiziten, Working Poor, Menschen mit Fluchterfahrung, ältere Menschen, Frauen sowie Menschen mit psychischen und mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen wissenschaftlich untersucht.

Erstmals wurden einschlägige Daten aus dem Austria Corona Panel Projekt (ACPP) mit Tirol-Bezug ausgewertet, insbesondere mit Blick auf die Einkommenssituation in Tirol. In Form von Interviews mit armutsbetroffenen Familien – ergänzt durch das Praxiswissen der Beratungsstelle Dowas für Frauen – wurden die Problemstellungen Gewalt, Armut, Bildungsungleichheit und Wohnungslosigkeit als Formen sozialer Diskriminierung von Frauen und Kindern (in der Corona-Krise) herausgearbeitet. „Durch diese Feldstudie konnten insbesondere konkrete Ausgrenzungserfahrungen verdeutlicht werden, speziell an der Schnittstelle zwischen dem Erwerbsleben der Mütter und den Bildungsbiografien der Kinder“, erläutert Studienleiter Exenberger.

Kinder und Jugendliche in der Krise

Den Teilhabechancen von armutsbetroffenen und armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen in Tirol widmete sich eine Gruppe von Studierenden des Management Center Innsbruck (MCI), Studiengang Soziale Arbeit, die ebenfalls Interviews mit Personen armutsgefährdeter Haushalte führten und auswerteten. „Die Ergebnisse dokumentieren eine klare Verringerung der Teilhabechancen, insbesondere im Bereich Schule“, berichtet Exenberger und ergänzt: „Kinder und Jugendliche sehnen sich in erster Linie nach Normalität und ihren gewohnten Strukturen.“

Im umfangreichsten Teil-Projekt zum Thema „Armutsdynamiken unter Covid-19 in Tirol“, das am Center for Social & Health Innovation des MCI unter Leitung von Lukas Kerschbaumer durchgeführt wurde, konnten bislang 52 biographische Interviews und 55 qualitative Online-Befragungen mit armutsbetroffenen Personen sowie 26 Expert*innen-Interviews mit Mitarbeiter*innen von Sozialeinrichtungen bzw. Vereinen in Tirol gewonnen werden. Dabei wurde deutlich, dass die Häufung von Problemlagen mitunter die größte Herausforderung ist, wobei die Digitalisierung mancher Abläufe zwar eine Entlastung für manche Institutionen bedeutet kann, aber nicht unbedingt für Betroffene, die sich dadurch zusätzlichen Anforderungen gegenübersehen.

Zudem konnten im Zuge der Studie fünf Falltypen identifiziert werden. „Diese Falltypen unterteilen sich in jene Personen, deren Problemlagen bzw. Armutserfahrungen sich aufgrund der Pandemie entwickelt haben und jene Personen, deren bereits fordernde Lebenslage sich durch die Corona-Krise deutlich verschlechtert hat. Des Weiteren identifizierten wir eine Personengruppe, die kontinuierlich – vor und während der Pandemie – von Armut betroffen ist und die sogenannten ‚Ausreißer‘, die sich entweder aufgrund der Pandemie umorientiert haben, indem sie beispielsweise eine Ausbildung begonnen haben, oder einen reduzierten Lebensstil aufgrund alternativer Lebensentwürfe verfolgen. Schließlich gab es auch Personen, die die Krise als Chance genutzt haben und durchgestartet sind, beispielsweise sind aufgrund der hohen Nachfrage nach Pflegekräften nun auch bisher schwer vermittelbare Personen in Ausbildungsplätze und Pflegeberufe gekommen“, informiert Lukas Kerschbaumer, Hochschullektor am MCI.

Marginalisierte Gruppen

Ein Forschungsteam des Studiengangs Ergotherapie und Handlungswissenschaft der fh gesundheit Tirol unter der Leitung von Ursula Costa ging den Lebensrealitäten unterschiedlicher marginalisierter Gruppen nach, darunter jenen von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen. „Hier zeigt sich, dass diese von der Teilhabe und Mitsprache an Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind und von notwendigen oder sinnvollen Betätigungen ausgegrenzt werden. Dies resultiert oft in einer Verfestigung der Armutsbetroffenheit“, analysiert Studiengangleiterin Ursula Costa von der fh gesundheit Tirol. Um Teilhabe und soziale Gesundheitsdeterminanten ging es auch beim Blick auf Menschen mit positivem Asylbescheid, die sich hier vor allem durch Selbstständigkeit und Selbstbestimmung im Alltag widerspiegelt. Angehaltene oder inhaftierte Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen wiederum benötigen ebenfalls Handlungskompetenzen zur Stärkung ihrer Gesundheits- und Lebenskompetenzen, u.a. durch kontinuierliche ergotherapeutische und sozialarbeiterische Begleitung auch in Zeiten von Lockdowns.

Im Zuge einer Masterarbeit, deren Ergebnisse in die vorliegende Studie miteinflossen, wurde den Alltagserfahrungen erschöpfter Familien während der COVID-19-Pandemie nachgegangen. In diesem Zusammenhang wurde ein Fokus auf die Bedeutung der jeweiligen Ressourcen-Ausstattung der Familien gelegt und deren ökonomisches, kulturelles, symbolisches und soziales Kapital beleuchtet. „Alle Familien berichteten von Überforderung, aber je mehr Ressourcen in einer Familie vorhanden sind, desto besser gelingt es ihr, einer Erschöpfung vorzubeugen oder sie zu bewältigen. Besonders prekär war die Situation von Alleinerzieherinnen und insbesondere ‚wohnungsloser‘ Frauen und ihren Kindern“, erläutert Exenberger.

Workshop-Reihe ergänzt Studie

„Die Ergebnisse des gesamten Projekts wurden und werden in Form der sechsteiligen Workshop-Reihe ‚Armut aktuell‘ zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 kommuniziert und diskutiert. Sowohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozialeinrichtungen, die mit Armutsbetroffenen arbeiten, aber auch die interessierte Öffentlichkeit kann an diesen Workshops teilnehmen“, sagt Exenberger. Die Ergebnisse der Workshops fließen gemeinsam mit den Erkenntnissen der Studie in eine finale Publikation ein. Die Workshop-Reihe soll zudem in den kommenden Jahren fortgesetzt werden.

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