Screenshot des Online-Meetings
Eine Tagung an der Universität Oxford beschäftigte sich mit der Situation in Afghanistan aus rechtlicher Perspektive.

Afghani­stan, die Wieder­auf­bauver­pflich­tung und Tran­sitio­nal Justice

Am 15. November fand an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Oxford eine Tagung zum Thema „Responsibility to Rebuild and Transitional Justice in Afghanistan“ statt. Organisiert und geleitet wurde die Tagung von den Wissenschaftlerinnen Gayathree Kalliyat Thazhathuveetil und Tsvetelina Van Benthem von der Universität Oxford.

Prof. Peter Hilpold von der Universität Innsbruck und Dr. Huma Saeed von der Universität Leuven (Belgien) referierten zur Thematik im Rahmen der online abgehaltenen Tagung. Peter Hilpold hob in seinem Referat hervor, dass die Wiederaufbauverpflichtung („Responsibility to Rebuild“) als Teil der Schutzverpflichtung „(Responsibility to Protect, R2P“) in Afghanistan in den letzten 20 Jahren vernachlässigt worden sei und damit auch im Wesentlichen der rasche Zusammenbruch des afghanischen Regimes parallel zum US-amerikanischen Truppenabzug erklärt werden könne.
In ihrer ursprünglichen, von der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) ausgearbeiteten Version der Schutzverpflichtung enthielt diese auch eine explizite Wiederaufbauverpflichtung. Auf Druck zahlreicher, souveränitätsorientierter Staaten hat der Weltgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2005 aber nicht eine „schlanke“ Version der Schutzverpflichtung („R2P – lite“) angenommen. Die Wiederbauverpflichtung wurde in den Hintergrund gedrängt, die Staatengemeinschaft hat sich diesbezüglich weitgehend zurückgezogen.
In Afghanistan wurde kein wirksamer Staatsaufbau betrieben. Selbst der Aufbau von autonom operationsfähigen Streitkräften könnte als Teil der Wiederaufbauverpflichtung interpretiert werden. Besonders gravierend war der Umstand, dass auch kein effizientes Justizsystem eingerichtet werden konnte, auch dies kann als Teil der „Responsibility to Rebuild“ angesehen werden. Der von der Regierung Karzai ausgegebene Grundsatz „peace before justice“ hat sich als Irrweg erwiesen.

Chancen und Fehler

An diesem Punkt setzte das Referat von Dr. Huma Saeed ein. Dr. Saeed zeigte im Detail auf, welche Fehler in der Justiz gemacht wurden und dass insbesondere auch das Unterbleiben jeglicher Aufarbeitung von Verantwortungstatbeständen der Vergangenheit zu großem Unmut in der Bevölkerung geführt habe. Die Integration der „warlords“ in die Regierung habe einen Zustand der Rechtlosigkeit geschaffen. Die rechtsuchende Bevölkerung sei damit in die Arme der Taliban getrieben worden. Dabei sei es gar nicht darum gegangen, Afghanistan ein wesentliches Justizsystem aufzuoktroyieren (ein solcher Versuch wäre angesichts der gegebenen Strukturen ohnehin ohne Aussicht auf Erfolg gewesen), sondern die afghanische, islamische Gesellschaft hätte genügend Ansätze für die Schaffung von Mechanismen geboten, die von der afghanischen Bevölkerung als Ausdruck einer rechtsstaatlichen, gerechten Ordnung angesehen worden wären. Diese Chancen seien aber nicht genutzt worden.
Prof. Hilpold betonte, dass der Ansatz der „Transitional Justice“ gegenwärtig im internationale Recht großen Zuspruch finde, dass dieser aber noch weitgehend deutungsoffen sei. Es gebe engere und weitere Ansätze. Ein engerer Ansatz, der allein auf die Aufarbeitung von vergangenem Unrecht abstelle und die Schaffung von Justizmechanismen für Gesellschaften im Übergang im Auge habe, sei zu wenig, um eine Gesellschaftsordnung nach jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen wieder zu stabilisieren. Die weite Interpretation des Konzepts der „Transitional Justice“ böte hingegen Möglichkeiten, weitergehende Friedensziele zu verfolgen, die bereits die Ursprungsfassung der „Wiederaufbauverpflichtung“ im Auge gehabt habe, die aber von den Staaten seit 2005 – und im Besonderen seit der Libyen-Intervention 2011 – nur unzureichend verwirklicht worden seien.

(Peter Hilpold, red)

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