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Pharmazeutinnen und Pharmazeuten an der Uni Innsbruck sind ständig auf der Suche nach neuen Wirk- und Inhaltsstoffen in Pflanzen, um neue Arzneien zu entwickeln.

Uner­schöpf­liche Apo­theke

Arnika, Kurkuma oder Johanniskraut sind als heilsame Pflanzen bekannt. Aber was ist mit dem Weißen Käseholz oder dem Drachenbaum? Pharmazeutinnen und Pharmazeuten suchen in Pflanzen nach neuen Wirk- und Inhaltsstoffen.

Natürliche Quellen, wie Pflanzen oder Stoffwechselprodukte im menschlichen Körper, liefern wertvolle Inhaltsstoffe, die gegen unterschiedliche Krankheiten wirken. Bekannt sind von den heilsamen Substanzen aber längst noch nicht alle, und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen eine Vielzahl an Pflanzen und ihre Wirkungen. Veronika Temml vom Institut für Pharmazie an der Uni Innsbruck und Andreas Koeberle, Professor am neu gegründeten Michael-Popp-Forschungsinstitut, sind fasziniert von den noch unentdeckten Möglichkeiten, die Pflanzen und andere natürliche Quellen bieten.

„Die Natur gewährt uns Zugang zu einer enormen Vielfalt, die wir auch auf der Suche nach neuen Wirk- und Inhaltsstoffen nutzen können. Bislang haben wir nur einen Bruchteil der Kapazität entdeckt, die in der Natur steckt.“
– Andreas Koeberle

Gemeinsam mit seinem Team und in Kooperation mit mehreren Forschungsgruppen untersucht der Pharmazeut vor allem Wirkmechanismen von Inhaltsstoffen. „Mit pflanzlichen Wirkstoffen bekommen wir einen Zugang zu vielen unterschiedlichen Strukturen, die wir dann auch dazu verwenden, um ganz neue Mechanismen aufzudecken, die bestimmte Enzyme hemmen oder aktivieren. So werden neue Ansätze entwickelt, die in weiterer Folge zu neuen Therapien oder neuen Naturstoff-Arzneimitteln führen können“, verdeutlicht der Wissenschaftler.

Neue Wirkstoffe

Eine Krankheit zu hemmen und den gesunden Zustand des Körpers wiederherzustellen, das sollten Arzneien möglich machen. „Auf der Suche nach neuen Mechanismen und Wirkstoffen ist es wichtig, zu untersuchen, dass diese nur jene Effekte erzielen, die gewünscht sind und keine anderen wichtigen physiologischen Aufgaben im Körper beeinträchtigt werden“, erläutert Koeberle die komplexe Aufgabe. „Es gibt einen Grund für die Existenz von jedem einzelnen Enzym. Man muss sich bewusst sein, dass man mit der spezifischen Hemmung auch in natürliche Prozesse im Körper eingreift", so Veronika Temml. Um dabei erfolgreich zu sein, werden nach ausführlichen Recherchen aus unterschiedlichen Heilpflanzen, in Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen aus dem Fachbereich der Pharmakognosie, Pflanzenextrakte hergestellt, in denen dann eine Vielzahl von Inhaltsstoffe enthalten ist. „Haben wir eine passende Pflanze gefunden, zerlegen die jeweiligen Expertinnen und Experten den Extrakt soweit in winzige Teilstücke, bis wir dann die einzelnen Inhaltsstoffe isolieren und anschließend mit unserem biologischen Testsystem untersuchen konnten“, beschreibt Koeberle den Weg hin zu einem einzelnen Wirkstoff.

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Veronika Temml erstellt Computermodelle, um die Oberfläche von Molekülen genau zu untersuchen. (Bild: Veronika Temml)

„In der Volksmedizin gibt es schon sehr viel Wissen über die Wirkung von Pflanzen, ihre Blätter und Wurzeln. Wird beispielsweise aus einer speziellen Wurzel ein Tee hergestellt, dann untersuchen auch wir den wässrigen Extrakt der daraus entsteht. Als Pharmakognosten interessieren wir uns dafür, welches Molekül warum in einem Pflanzenextrakt medizinisch wirkt. In einem Extrakt finden sich meistens mehrere verwandte Strukturen, die aktiv sein können. Hier wird untersucht, ob die gewünschte Wirkung durch das Zusammenspiel mehrerer aktiver Stoffe erzielt wird, oder ob auch einzelne Strukturen wirksam sind“, erläutert Veronika Temml. Umgekehrt lernen die Forscherinnen und Forscher auch direkt von der Natur. „Ausgehend von einem Naturstoff mit einem molekularen Mechanismus können wir untersuchen, welche Bedeutung ein bestimmtes Protein für die Behandlung einer Erkrankung hat. So bekommen wir ein Werkzeug, eine spezifische Struktur, mit dessen Hilfe wir neuen therapeutischen Strategien auf die Spur kommen können“, so Koeberle, der mit diesem Ansatz auch in Kooperation mit Veronika Temml und anderen Forscherteams bereits mehrfach erfolgreich war. Die Pharmazeutin untersucht die Moleküle aber nicht nur im Labor, sondern am Computer. Sie interessiert sich vor allem für die Bindetaschen von verschiedenen Enzymen, die bei Entzündungen eine Rolle spielen.

Entzündungen bekämpfen

Dringt ein fremdes Bakterium in den Körper ein, reagiert der Körper mit einer Entzündung auf den ihm fremden Reiz. „Dieses Verhalten ist eigentlich nichts Negatives, denn unser Körper schützt uns so vor unerwünschten Eindringlingen“, erläutert Koeberle. Die bekannten Symptome wie Rötungen, Schwellungen, Fieber oder Schmerzen sind die Folge. Diese akute Entzündungsreaktion muss aber nach einer bestimmten Zeit unterbunden werden, um eine folgende chronische Entzündung, wie sie beispielsweise bei Stoffwechselerkrankungen, Atherosklerose oder Krebs auftritt, zu vermeiden. „Die Entzündung soll aber nicht nur unterdrückt, sondern besser noch, auch aufgelöst werden“, so der Wissenschaftler weiter. Eine komplexe Aufgabe, vor der die Forscherinnen und Forscher damit stehen, die sich speziell für Lipide, also wasserunlösliche, fettähnliche Substanzen, interessieren. „Von einigen Lipiden, wie beispielsweise den Prostaglandinen, wissen wir schon sehr genau, dass sie mit Entzündungen in Verbindung stehen. Es steckt aber viel mehr dahinter, als wir bisher angenommen haben und das weite Feld, wo noch so viel unbekannt ist, bietet enormes Potential für Neues“, verdeutlicht der Pharmazeut, der erst kürzlich gemeinsam mit Veronika Temml neuartige Hemmstoffe der 5-Lipoxygenase entdeckt hat. Die Wissenschaftlerin hat eine Computersimulation der Oberfläche des Enzyms erstellt.

„Wie ein Einbrecher, der einen Abdruck von dem zu knackenden Schloss macht, um herauszufinden, welcher Schlüssel passt, so mache auch ich simulierte Abdrücke von den Bindetaschen."
– Veronika Temml

"Am Computermodell konnten wir die Kristallstruktur genau analysieren und simulieren, welche Moleküle in die Bindetaschen, beispielsweise der 5-Lipoxygenase, passen könnten und welche Verbindungen die größte Wirksamkeit erzielen. Mit Hilfe dieser Simulationen bekommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Idee, für welche Naturstoffen sich eine Testung im Labor lohnen würde“, erläutert Veronika Temml, die mit ihrem Team auch im Weißen Käseholz einen neuen Wirkstoff gefunden hat, der nicht nur entzündungshemmend ist, sondern auch auf Prostatakrebs wirken soll. „Die Wissenschaft geht oft verworrene Wege. Im Labor haben wir eine spezielle Stoffklasse, die Dihydrochalkone, aus Apfelbäumen analysiert. Weil ein verwandter Stoff auch im Extrakt des Weißen Käseholzes vorkam, wurde er mituntersucht und wir wurden von dem erfolgreichen Ergebnis überrascht“, freut sich Temml, die mit ihrem Team und Kollaborationspartnern auf der Suche nach einem Entzündungshemmer, einen starken antiandrogenen Effekt, der gut auf Prostatakrebs wirkt, feststellen konnte. Veronika Temml und Andreas Koeberle möchten mit ihren Forschungen die weitere Entwicklung der von ihnen identifizierten Naturstoffe hin zu einem Arzneistoff begleiten.

Dieser Artikel ist in der Oktober-2020-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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