Schädel
Im Ländervergleich schneidet Österreich in punkto Datentransparenz und Qualitätsmessung im Gesundheitswesen nicht gut ab, wie nun auch die Coronakrise verdeutlicht hat.

Medizin im Qua­li­täts­check

Eine Krise wie die Corona-Pandemie verdeutlicht, wie wichtig verlässliche Information und transparente Kommunikation sind, gerade wenn es so sensible Bereiche wie die Gesundheit betrifft. Aktuelle Untersuchungen zur Qualitätsmessung im Gesundheitswesen zeigen, warum Österreich in Sachen Transparenz Aufholbedarf hat.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie blickt die Welt gebannt auf Statistiken und Daten, um die Entwicklung dieser neuen Virus-Erkrankung zu verfolgen. Ihr Verlauf wird wie eine Fieberkurve in Echtzeit dokumentiert und verbreitet. Insbesondere im Gesundheitswesen ist ein solches Ausmaß an Informationstransparenz neu und ungewöhnlich. Doch Covid-19 ruft geradezu nach Transparenz, da das Virus viele Fragen aufwirft und die Verantwortlichen vor enorme Herausforderungen stellt. Für die Wissenschaft ist Corona zum Reallabor geworden, in dem unter anderem der Zugang zu medizinischen Daten zentral ist, um Vorhersagen tätigen zu können, wie und in welchem Zeitverlauf sich die Pandemie entwickeln wird.

Medizinische Daten nicht ausreichend

Dass in Österreich diesbezüglich eine unbefriedigende Situation herrscht, zeigte zuletzt eine Reihe von Personen aus der Wissenschaft auf, die sich in einem Offenen Brief an den Gesundheitsminister wandten, um auf die fehlenden Zugänge zu Daten rund um die Coronakrise aufmerksam zu machen. Aus historischer Perspektive betrachtet, zeigt das nun zutage getretene Problem, dass Transparenz und Qualitätsmessung im österreichischen Gesundheitswesen, besonders im Vergleich zu Ländern wie etwa Großbritannien, bis jetzt einen weniger prominenten Stellenwert hatten. Dass die Wissenschaft keinen Zugang zu Daten hat, ist ein Resultat davon, zu grobe Datenerhebung ein anderes, wie Albrecht Becker von der Universität Innsbruck erklärt: „Die medizinischen Daten, mit denen in Österreich im Augenblick operiert wird, sind nicht ausreichend“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Innsbruck. Gemeinsam mit Silvia Jordan leitet Becker seit 2018 ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt zur Qualitätsmessung im österreichischen Gesundheitswesen.

Kontextrelevante Informationen fehlen

In ihren laufenden Analysen stellen Becker und Jordan unter anderem fest, dass es häufig an kontextrelevanten Informationen fehlt, die Zahlen nachvollziehbar machen. „Da steht man schnell schon bei ganz einfachen Fragen an, wie etwa zur Zahl der Intensivpatienten, die nicht erklärt, warum sie sinkt oder steigt“, erklärt Silvia Jordan. Wurden die Patientinnen und Patienten verlegt oder sind sie verstorben? Solche Fragen bleiben aktuell in der Qualitätsmessung offen. Auch bei den Sterbedaten zu Corona gibt es keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, welche Vorerkrankungen es gab. Doch nur so könnte man das Virus besser verstehen und Risikogruppen schützen. Ebenso werde zu den Modellen wenig Information zu ihren Basisannahmen geliefert, so Becker und Jordan. Gerade bei Prognosen für die Zukunft wäre es aber wesentlich zu wissen, welche Annahmen dahinterstehen.

Nutzung von Routinedaten für das Qualitätsmanagement

Einblicke in die Datenlage und -transparenz des österreichischen Gesundheitswesens liefert dem vierköpfigen Forscherteam in Innsbruck ihre Forschung über das System zur Qualitätsmessung von stationären Krankenhausaufenthalten, das 2013 im Zuge der Gesundheitsreform österreichweit eingeführt wurde. Qualitätsindikatoren, die sogenannten A-IQIs (Austrian Inpatient Quality Indicators), werden laufend anhand von Krankheitsbildern und Behandlungsformen erfasst. Dabei werden unter anderem Sterbefälle, Komplikationsraten oder Versorgungsverläufe gemessen. Basis für die Berechnung der Kennzahlen sind Daten, die von den Krankenhäusern ohnedies zur Abrechnung ihrer Behandlungsleistungen erhoben werden, sogenannte Routinedaten. Das erfolgt unter anderem vor dem Hintergrund, dass die Dokumentationslast in den Krankenhäusern schon jetzt sehr hoch ist und das Personal nicht noch mehr belastet werden soll.

Unklare und isolierte Datenerhebung

Gleichzeitig bringt es Nachteile mit sich, wie Silvia Jordan und Albrecht Becker erläutern. „Bei den A-IQIs geht es um Ergebnisqualitätsmessung, wobei es keine Einigkeit darüber gibt, was Ergebnis bedeutet und welche Standardwerte dafür gelten sollen“, sagt Jordan. Zudem würden die Krankenhaus-Fälle in relativ groben Kategorien erfasst. „Das ist beispielsweise in Deutschland anders, wo es im Prinzip das gleiche System gibt, aber dieses detaillierter ist.“ Das habe zur Folge, dass man etwa österreichische Daten zu Mortalität nicht mit denen aus Deutschland vergleichen könne. Auch das Erzielen von Lerneffekten ist damit laut den Forschenden schwieriger, weil die Messergebnisse zu wenig trennscharf sind.

Ein häufiger Kritikpunkt, der von außenstehenden Expertinnen und Experten am aktuellen System geäußert wird, ist zudem die fehlende Dokumentation der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Dienstleistern im Gesundheitssystem. Wie Krankheitsgeschichten nach einem stationären Aufenthalt verlaufen, wird bis heute im österreichischen Gesundheitssystem nicht systematisch analysiert. „Es gibt allerdings Diskussionen dazu, diese Dokumentation über die verschiedenen Dienstleistungsbereiche auszuweiten und die Daten zusammenzuführen“, so Becker. Derzeit werden die Ergebnisse der A-IQI Erhebungen in einem jährlichen Bericht des Gesundheitsministeriums veröffentlicht und in stark reduzierter Form auf kliniksuche.at an die Öffentlichkeit kommuniziert, lassen aber keine Rückschlüsse auf einzelne Krankenhäuser zu, und liefern auch wenig Kontextinformation, die für die Interpretation der Daten wichtig wäre.

Diskurse fördern und Interessen erheben

In ihrem noch bis 2021 laufenden Grundlagenprojekt führt das Innsbrucker Forscherteam auch Fallstudien in ausgewählten Krankenhäusern durch. Um einen detaillierten Blick in die internen Abläufe der Krankenhäuser zu erhalten, werden Interviews mit verschiedenen Interessensgruppen wie Verantwortungsträgern, Medizinerinnen und Medizinern oder dem Pflegepersonal geführt. Das Ziel der Forschenden ist, die verschieden Perspektiven und Interessen zusammenzuführen und die Ursachen der derzeit mangelnden Transparenz sowie die Anwendung der Qualitätsdaten zur Diskussion zu stellen.

Das derzeitige Qualitätssystem sei weder ein Instrument des internen Qualitätsmanagements noch das eines der Patienteninformation, ziehen die Forschenden eine erste Bilanz. Auch mit Blick auf den internationalen Ländervergleich wäre mehr Transparenz und Diskurs zu den Kennzahlen wünschenswert. „Es gibt Lernmöglichkeiten, die jetzt nicht genützt werden, um etwa zu verstehen, warum sich etwas nicht vergleichen lässt“, erklärt Jordan. Vielleicht lassen die Erfahrungen aus der Corona-Krise die Lernkurve künftig steigen, sodass ein Lerneffekt lautet:  Daten werden erst dann für wissenschaftliche und gesellschaftliche Lernprozesse sinnvoll nutzbar, wenn sie nicht nur öffentlich zugänglich, sondern vor allem auch hinsichtlich der Bedingungen ihrer Erstellung transparent diskutiert werden.

Zu den Personen

Silvia Jordan ist Professorin für Management Accounting am Institut für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsinteressen liegen in der interdisziplinären Forschung in den Bereichen Accounting, Risiko und Regulierung sowie Organisationslernen. Jordan ist Leiterin des FWF-Projekts „Qualitätsmessung im Gesundheitswesen: Diskurse und Praktiken“ (2018-2021).

Albrecht Becker ist Professor für Management Accounting am gleichen Institut der Universität Innsbruck. Sein Forschungsfokus liegt auf sozialwissenschaftlichen Analysen von  Controlling in Nonprofit-Organisationen wie dem Gesundheitswesen, Universitäten sowie im Bereich internationale Entwicklung und Philanthropie.

(FWF/scilog)

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