Welt veraendern nach der Krise
Gerade jetzt sind strategische Entscheidungen gefragt, um den nötigen Wandel einzuleiten zu einer wissensbasierten, ökologisch und ökonomisch ausbalancierten und sozial verträglichen Zukunftsgesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird.

Die Welt nach Co­rona be­wusst ge­stalten

In welcher Welt wir künftig leben, hängt davon ab, wie die durch die Corona-Krise notwendig gewordene Neuordnung des globalen Systems gelingt. Richtungs­weisend könnte bereits die Verteilung der Mittel aus den staatlichen Rettungsschirmen sein, meint Wirtschaftshistoriker Andreas Exenberger. Er beleuchtet die Lage aus der Sicht eines Globalisierungs- und Armutsforschers.

Fragt man assoz. Prof. Andreas Exenberger vom Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte nach Lehren und Chancen, die man aus der aktuellen Corona-Krise ziehen könnte, so stößt man eher auf Zurückhaltung als auf Begeisterung. „Um uns weiter zu entwickeln, hätten wir diese Krise nicht brauchen dürfen“, sagt Exenberger, der sich in seinen Forschungen intensiv mit Armut auf der globalen und lokalen Ebene beschäftigt und schon seit Jahren in unterschiedlichen Kontexten auf globale Ungerechtigkeiten und Missstände hinweist.

Instabilität deutlicher denn je

Weil Corona für viele Menschen einen viel größeren konkreten Einschnitt in ihr Leben gebracht hat als beispielsweise die Terrorkrise 2001 oder die Finanzkrise 2008, werden Veränderungen im globalen System deutlich wahrscheinlicher: „Ansonsten droht alles früher oder später chaotisch zu werden“, erläutert Exenberger seinen an Immanuel Wallersteins Systemtheorie angelehnten Ansatz. „Aktuell zeigt sich in aller Deutlichkeit, wie instabil unser globales System geworden ist, das zentral auf Konkurrenz bei gleichzeitiger Verständigung über die Grundregeln besteht. Und jede Krise, die keinen Systemwandel bringt, übersteuert das alte System weiter.“ Es geht daher immer stärker darum, die anstehende Transformation als Prozess zu gestalten und nicht als unbewusstes und unkoordiniertes Handeln einfach geschehen zu lassen. Die weltpolitische Handlungsmaxime für die anstehenden Umbauarbeiten lautet, wenn es nach Andreas Exenberger geht: konstruktive Kooperation statt dominanzorientierte Isolation. „Das ist natürlich idealtypisch formuliert und eigentlich ein Yin-Yang-Bild. Aber die Herausforderungen der Zukunft, allen voran die Klimakrise, werden wir nicht meistern, wenn wir der alten Konkurrenz-Logik folgen oder gar uns weiter einigeln. Gerade darin liegt aber zugleich auch eine ganz reale Gefahr, vom islamischen Staat über America First bis hin zu Grenzschließungen in Europa sogar für anderswo dringend benötigte Hilfsgüter.“

Über die Hilfe nach der Soforthilfe

In diesem Sinne braucht es auch auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene zukunftsgerichtete Überlegungen, wer weiter gefördert wird, sobald die unbedingt nötigen Soforthilfemaßnahmen für Unternehmen und Einzelpersonen ausgelaufen sind. „Dass in Österreich im ersten Ansatz all jenen geholfen wird, deren Existenz unmittelbar bedroht ist, ist das einzig Richtige. Man darf dabei aber nie vergessen, dass diese Krise unterschiedliche Gruppen sehr unterschiedlich trifft. Die Verteilungswirkung der Maßnahmen war vom ersten Moment an da“, so Exenberger über die aktuellen Eingriffe im Land. Die finanziellen Mittel, die über die Soforthilfe hinaus zu Verfügung stehen, müsse man aber strategisch, effizient, vor allem aber auch nach transparenten und nachvollziehbaren Kriterien verteilen. Unbegrenzt sind sie – auch wenn das derzeit von vielen Regierungen, auch der österreichischen, vernünftigerweise suggeriert wird – nämlich nicht. „Perfekt wäre es natürlich, wenn man schon jetzt besonders jene unterstützt, die man für die Wirtschaft der Zukunft jedenfalls brauchen wird“, meint Exenberger und gibt zugleich zu bedenken: „Ein großes Problem ergibt sich hingegen, wenn diejenigen faktisch noch bestraft werden, die für die Krise vorgesorgt haben. Es dürfen keinesfalls die verlieren, die schon vorher vorausschauend gehandelt haben.“ Gefragt sind also strategische Entscheidungen, um den nötigen Wandel einzuleiten zu einer wissensbasierten, ökologisch und ökonomisch ausbalancierten und sozial verträglichen Zukunftsgesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird. „Dafür ist nicht später noch Zeit, denn jede Maßnahme ist bereits heute eine solche Entscheidung, die Möglichkeiten für die Zukunft schafft oder zerstört.“

Solidarität ist ein Muss

Die Betroffenheit durch die Krise ist sehr unterschiedlich: Zwischen der der alleinerziehenden Supermarkt-Angestellten in der Zweizimmer-Wohnung im 7. Stock bis hin zum Gutverdiener-Paar mit Voll-Vernetzung und 2000-Quadratmeter-Garten liegen Welten, so Exenberger. Aus diesem Grund sind derzeit alle zur Solidarität aufgerufen. „Viele verantwortungsbewusste Unternehmen versuchen selbstverständlich alles, um Menschen mit Kurzarbeit und anderen Maßnahmen zu unterstützen, und sie helfen sich damit auch selbst. Wer sich hier jetzt aber ausklinkt, muss sich bei Förderungen dann natürlich hinten anstellen.“ Denn insbesondere viele armutsgefährdete Menschen stehen momentan vor dem Nichts. „Wenn wir in der Welt nach der akuten Krise weitermachen wie bisher, wird nichts wieder so, wie es war, sondern es wird schlechter. Das gilt es zu verhindern“, verdeutlicht er seine Position aus der Sicht des Armutsforschers.

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