Der Österreichische Biodiversitätsrat, dem mehr als 20 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Biodiversität, Landschaftsgestaltung und Naturschutz angehören, mahnt die österreichische Bundesregierung bei der Bewältigung der Corona-Krise andere wichtige gesellschaftliche Herausforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr sei es Gebot der Stunde und zugleich große Chance, diese in ein nachhaltiges Krisenmanagement einzubeziehen.
Der Österreichische Biodiversitätsrat anerkennt die COVID-19 Pandemie als eine der größten Herausforderungen der letzten Dekaden. Sie erfordere von allen Bürgerinnen und Bürgern Einschränkungen in großem Ausmaß, gefährdet Existenzen und fördert Leid. Zurecht stehe und stand das Wohl der Menschen in diesem Land im Vordergrund.
Doch die Pandemie könne nicht als isoliertes Problem gesehen werden: „Die vom Menschen verursachte Biodiversitätskrise und der Klimawandel gehen nicht einfach weg, nur weil wir es aktuell mit einer Pandemie zu tun haben die unser aller Leben beeinflusst.“ betont Rüdisser. Die sich weiterhin zuspitzende Umweltkrise aus Biodiversitätsverlust und Klimawandel werde sich auf längere Sicht zur größten Bedrohung unserer Lebensgrundlagen auswachsen und langfristige Verschlechterungen für die Menschen und den Standort Österreich bringen. Es sei daher notwendig, entschlossen eine gesellschaftliche Weiterentwicklung einzuleiten, die beiden Herausforderungen gerecht wird, so die Mitglieder des Biodiversitätsrats.
Die Natur und die von ihr erbrachten Leistungen sind die Grundlage für eine dauerhaft gute Lebensqualität aller Menschen. Die Fähigkeit unserer Ökosysteme, diese Leistungen zukünftig zu erbringen, reduziere sich jedoch stetig. Ökosysteme seien als Fließgleichgewicht nur dann stabil, sofern sich relevante Parameter innerhalb bestimmter Grenzen halten, den sogenannten „tipping points“. Werden diese überschritten, bestehe die Gefahr einer raschen katastrophalen Veränderung, die Systeme und Artengemeinschaften als Ganzes betrifft. „Viele Arten, und ein genetischer Reichtum, bieten einem Ökosystem die Chance, auf Veränderungen reagieren zu können. Die Vielfalt biete hier eine Art Rückversicherung.“ So Rüdisser.Ein Alarmzeichen für die österreichische Umweltkrise ist der sich ungebremst verschlechternde Zustand der biologischen Vielfalt. Auf kurz oder lang führt der Artenrückgang zu massiven Risiken für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit.
Umsetzung des Regierungsprogramms gefordert
Die aktuelle österreichische Bundesregierung übernimmt, so die Mitglieder des Biodiversitätsrats, in ihrem Regierungsprogramm explizit Verantwortung für die Biodiversität und plant erste wichtige Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität in Österreich. Diese Maßnahmen müssten nun jedoch zum Wohle der Zukunft Österreichs auch unter der Corona-bedingten Budgetsituation ambitioniert umgesetzt werden.
Deshalb fordert der Österreichische Biodiversitätsrat die Politik auf, die Bekämpfung der Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, eine ökologische und gesellschaftliche Transformation einzuleiten. Dafür müssen neue Maßstäbe gesetzt werden und neue politische Perspektiven insbesondere in folgenden Bereichen entwickelt werden:
- Eine neue Perspektive auf Landverbrauch und -nutzung: Die Landnutzung in Österreich muss Biodiversität nachweislich sichern und fördern, anstatt sie zu vernichten. Eine flächendeckende ökologische Infrastruktur mit mindestens 10 % Vorrangflächen für die Natur muss strategisch geplant und zügig ausgebaut werden.
- Eine neue Perspektive auf unser Wirtschafts- und Steuersystem: Rasche und umfassende Umsetzung einer sozial-ökologischen Steuerreform mit dem Ziel, Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam und gleichrangig zu fördern. Die Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität müssen kontinuierlich abgebildet und überprüft werden. Dotierung des nationalen Biodiversitätsfonds mit 1 Milliarde Euro.
- Eine neue Perspektive auf Bildung: Das Lehrangebot an österreichischen Schulen und Universitäten für ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Ökologie und Wirtschaft steigern. Die Biodiversitätsforschung und diesbezügliche Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen ausbauen und fördern.
- Eine neue Perspektive auf den Wert der Natur an sich und für uns Menschen: Der ökologische Wert der Natur muss auch ökonomisch bewertet und in gesellschaftlichen Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden, damit die Folgen aus der Förderung der Biodiversität und von nachhaltigem Handeln besser sichtbar werden. Darüber hinaus hat die Biodiversität einen intrinsischen Wert, der die Umsetzung von Umweltpolitik anleiten sollte.
Die aktuelle Krise zeige, dass die Bevölkerung bereit ist, ihr Verhalten in Anbetracht von Bedrohungen zu ändern. Zugleich zeige die aktuelle Situation, dass Staaten und Organisationen, die proaktiv und frühzeitig auf die Pandemie reagieren, am besten durch die Krise gehen. Eine wichtige Lehre daraus muss sein, in der Umweltkrise nicht zuzuwarten, sondern zu handeln.
Insgesamt zeigen sich die Mitglieder des Biodiversitätsrats überzeugt, dass Österreich jetzt auch zur Einleitung des Transformationsprozesses hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bereit sei. Nur ein rasches zukunftstaugliches Handeln könne die gravierenden Auswirkungen der Umweltkrise verhindern und einen sozialen Ausgleich gewährleisten. Der Wissenschaft komme hierbei eine besondere Bedeutung zu und sie solle im Sinne evidenz-basierter Politik in die entsprechende Ausarbeitung von Maßnahmen sowie in die Prozessbegleitung eingebunden werden.
Biodiversitätsrat Österreich
Der 22-köpfige unabhängige Biodiversitätsrat wurde 2019 aus dem Netzwerk Biodiversität Österreich heraus gegründet. Das Netzwerk Biodiversität Österreich versteht sich als Open Community, interdisziplinär für die unterschiedlichsten Fachdisziplinen und transdisziplinär für Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Zivilgesellschaft. Gemeinsames Ziel ist die Stärkung der Biodiversität und deren Ökosystemleistungen in Österreich.