Gruppenfoto: Flach, Scheichl, Kostenzer, Lavric (
Die Kultur-Hopper in der Diskussion: Flach, Scheichl, Kostenzer, Lavric (von links).

„Kul­tur-Hop­per“ zwi­schen Frankreich und Ös­ter­reich

Wenn eine/r in beiden Ländern gelebt, geliebt, gearbeitet, Steuer gezahlt und Kinder großgezogen hat, dann kann er/sie mühelos eine Podiumsdiskussion über Kulturunterschiede zwischen Frankreich und Österreich bestreiten. So geschehen am 8. Mai 2019.

Auf Initiative des Frankreich-Schwerpunkts der Universität Innsbruck fand am 8. Mai eine Podiumsdiskussion statt. Zu einem Erfahrungsaustausch eingeladen waren drei „passeurs culturels“ (im Französischen nennt man sie tatsächlich „Fährleute zwischen den Kulturen“!). Es versteht sich von selbst, dass auch auf Seiten des Publikums eine Reihe von Personen anwesend waren, die diese Bezeichnung ebenfalls verdienten – und die eifrig mitdiskutierten.

Moderiert von der Leiterin des Frankreich-Schwerpunkts, Prof. Eva Lavric, erzählten und reflektierten Mag. Karin Scheichl, französische LehrerInnenbildnerin mit Tiroler Wurzeln und derzeit Praktikantin am „Pôle d’études françaises“, weiters Prof. Michael Flach vom Arbeitsbereich für Holzbau, und schließlich Mag. Johannes Kostenzer, der Umweltanwalt des Landes Tirol.

Apropos Steuern: In Frankreich war es immer schon üblich, dass unselbständig Beschäftigte ganz wie Selbständige ihr Gehalt brutto ausbezahlt bekamen und erst am Ende des Jahres für 12 Monate Steuer zahlen mussten – mit allen Schwierigkeiten, die so eine nachträgliche Vorschreibung mit sich bringen konnte. Erst vor Kurzem wurde das System auf automatische und sofortige Abbuchung, wie bei uns, umgestellt, und diese neue und ungewohnte Vorgangsweise ist derzeit alles andere als beliebt.

Ein umfangreiches Gesprächsthema war Essen und Einkaufen, das ja in Frankreich noch um einiges wichtiger genommen wird als in Österreich – geben doch die Franzosen/Französinnen im Schnitt 30% ihres Einkommens fürs Essen aus (!). Der Trend zu Bio oder Vegan war lange Zeit nicht so stark ausgeprägt wie z.B. in Tirol, aber Qualität und Regionalität bestimmen in Frankreich schon immer sehr stark den Einkauf. Einerseits geht man zwar in riesige Supermärkte mit einer schier unvorstellbaren Auswahl (beschrieben wurden die nicht enden wollenden Joghurtregale), aber andererseits gibt es überall kleine Produzenten-Märkte, die nicht nur wöchentlich sondern oft sogar täglich stattfinden und in denen man sich mit frischen regionalen Produkten eindecken und gleichzeitig Freunden und Bekannten begegnen kann, so dass der Einkauf bei einem gemeinsamen Kaffee und Plausch endet. Einhellig war man der Meinung, dass Tirol in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte in Richtung Qualität und Angebot gemacht hat; während in Tirol verheiratete Französinnen erzählten, was sie sich zu Anfang ihrer Ehe alles an Käse und sonstigen Produkten aus Frankreich schicken lassen mussten bzw. womit ihr Kofferraum bei der Heimfahrt vom „Heimaturlaub“ alles gefüllt war, lobten die frankreich-erfahrenen Tiroler die heutige „M-Preis-Kultur“, bei der das Einkaufen wieder einen Touch von Regionalität und von Geselligkeit erhält.

Essen dauert in Frankreich grundsätzlich länger, es wird mit mehreren Gängen zelebriert und gibt Anlass zu unterhaltsamen bis tiefsinnigen Gesprächen. Sei es nun bei der Familienfeier, die z.B. zu Sylvester nicht einmal um Mitternacht für einen kurzen Donauwalzer unterbrochen wird (und Champagner trinkt man ja ohnehin schon den ganzen Abend…), oder auch beim Geschäftsessen, das der eigentliche Ort ist, wo Geschäfte und Verträge in angenehmer Atmosphäre ausgehandelt und beschlossen werden. Ja, selbst die Arbeits-Mittagspause zieht sich hin und trägt nicht wenig zum guten Verhältnis zwischen den KollegInnen bei.

Weiters wurde das Thema Kindererziehung und Kinderbetreuung angesprochen, das in Frankreich ganz anders angegangen und gelöst wird als in der germanophonen Welt. Französische Mütter fangen unmittelbar nach der Mutterschutz-Zeit wieder zu arbeiten an und geben die Babys in die „Crèche“, die Kinderkrippe, oder zu einer Tagesmutter, die in Frankreich nämlich in ausreichendem Maße und nicht allzu teuer zur Verfügung stehen, und sie haben dabei kein schlechtes Gewissen und werden nicht von Verwandten, Nachbarn und Freunden als „Rabenmütter“ bezeichnet. Auch die Schule ist eine Ganztagsschule, in der die Kinder selbstverständlich zu Mittag verpflegt werden, und selbst in den Ferien gibt es unzählige „colonies de vacances“, in die man die Kinder mit der größten Selbstverständlichkeit verschicken kann. Die Kinder müssen lernen, zu „funktionieren“ und sich in Institutionen anzupassen, es gibt aber auch wieder Rituale wie das gemeinsame Abendessen, die die Familie regelmäßig (und nicht zufällig um einen Tisch) zusammenbringen.

Ein letztes Thema, das angeschnitten wurde, war die Rolle des Präsidenten, der in Frankreich „wie ein kleiner König“ ist, der sich auch groß inszeniert und über dessen Privatleben man ebenfalls genau Bescheid wissen will – während in Österreich mit Politikern viel diskreter umgegangen wird. Die Beteiligung der FPÖ an Österreichs Regierung wird (und wurde, v.a. im Jahr 2000) auch deswegen in Frankreich mit Besorgnis gesehen, weil so etwas wie eine Koalition im französischen System nicht vorgesehen ist und die Erfahrungen mit einer „cohabitation“ (Präsident und Nationalversammlung sind nicht von derselben Partei) 1986-1988, 1993-1995 und zuletzt 1997-2002 als traumatisch erlebt wurden.

Abschließend betonten die „Kultur-Hopper“, wie wertvoll sie es empfinden, in zwei Kulturen zu Hause zu sein und die eigene Ursprungskultur auch mit einer gewissen Distanz betrachten zu können. „Das macht uns sensibler und toleranter“, betonte als Schlusswort einer der Teilnehmer

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