Frick Interview
Marie-Luisa Frick hat Philosophie und Rechtswissenschaften studiert. Zu den Forschungsthemen der Philosophin zählt auch die Rechtsphilosophie.

„DIE Men­schen­rechte gibt es nicht“

Marie-Luisa Frick ist Professorin für Philosophie. Neben der Philosophie hat die gebürtige Lienzerin auch Rechtswissenschaften studiert. Da liegt es nahe, dass die Rechtsphilosophie zu ihren Forschungsfeldern zählt. Im Interview zum Internationalen Tag der Menschenrechte spricht Frick über Menschenrechte, ihre gesellschaftliche Bedeutung und warum es sie zu wahren gilt.

Frau Frick, was genau sind Menschenrechte eigentlich und wer bestimmt sie?

Marie-Luisa Frick: Menschenrechte sind Ansprüche, die jedem Menschen zustehen sollten, nur weil er Mensch ist. Wenn man auf die internationale Ebene blickt, gibt es eine Reihe von Menschenrechtsdokumenten: Einerseits sind das unverbindliche Erklärungen, andererseits aber auch verpflichtende Verträge. Es gibt also nicht die Menschenrechte. Es gibt sie immer nur in einer bestimmten Form, die von Kultur, Religion, Geschichte oder zeitlichem Kontext abhängt. Für viele sind das Verbot von Sklaverei und Folter zwingende“ Menschenrechte, alles andere ist mehr oder weniger Verhandlungssache. Bei der UN-Menschenrechtserklärung aus 1948 haben sich die damaligen Staaten durch Vertreter auf eine Liste geeinigt. Es gibt Protokolle, die diese knapp zweijährigen Verhandlungen nachzeichnen. So kann man auch heute nachvollziehen, welcher Vertreter welchen Landes worauf Einfluss genommen hat. Das Schöne bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist, dass sie ein gelungener Kompromiss zwischen verschiedenen politischen Ideologien ist: Es gab wirklich das Bestreben, eine Erklärung zu verfassen, die möglichst universal, also allgemein vertretbar ist.

Die UN-Menschenrechtserklärung ist aber nicht bindend, war das so geplant? 

Frick: Es gibt auf globaler Ebene das System der Vereinten Nationen, die mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte den ersten Schritt gesetzt haben. Von Anfang an aber war das Ziel, zuerst eine Erklärung und dann einen Vertrag zu machen. Um diesen Vertrag durchzusetzen, sollte es auch einen Gerichtshof für Menschenrechte geben. Zunächst ist es nur bei dieser Erklärung geblieben. Dann hat es Jahrzehnte später zwei Pakte gegeben, die die Menschenrechte noch einmal aufspalten in die bürgerlich-politischen und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Zu einem globalen Gerichtshof für Menschenrechte ist es aber bekanntlich nie gekommen.

Auf europäischer Ebene haben wir einen solchen Gerichtshof für Menschenrechte.

Frick: Ja. Das europäische System für Menschenrechte wird von der internationalen Organisation des Europarats und seinem Straßburger Gerichtshof getragen. Da sind nicht nur europäische Staaten dabei, sondern auch die Türkei, Russland oder Aserbaidschan. Hier haben wir eine Menschenrechtskonvention, die von einem Gericht geschützt wird. Das ist etwas Besonderes. Inzwischen folgen auch andere Regionen diesem Vorbild: So hat auch die Afrikanische Union eine Afrikanische Menschenrechts-Charta mit einem Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Natürlich funktioniert das noch nicht so gut wie in Europa, wo das schon seit den 50er Jahren Tradition hat. Die gemeinsame Idee aber ist, einen Vertrag zu haben, der wirklich überwacht wird.

Inwiefern sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und demokratischen Systemen?

Frick: Es gibt ganz klar einen ideengeschichtlichen Zusammenhang. Sowohl den Menschenrechten als auch der Demokratie liegt die gleiche Idee zugrunde: das Prinzip der Volkssouveränität. Das kommt aus der politischen Philosophie, ganz konkret von der Idee, dass Staaten von Menschen für einen bestimmten Zweck gebildet werden. Staaten haben einen Auftrag – den Schutz der „natürlichen“ Rechte des Menschen. So hat man im 17. Jahrhundert Menschenrechte begründet. Die Schwierigkeit ist, dass es auch Konflikte geben kann zwischen Volkssouveränität und Menschenrechten, weil natürlich theoretisch eine demokratische Mehrheit auch Rechte abschaffen kann. Es gibt also eine historische Verbindung, eine sehr enge sogar, aber keine einfache Harmonie.

Ist die islamische Erklärung der Menschenrechte, die sich auf die Scharia bezieht und durchaus Einschränkungen enthält, auch eine Einschränkung der allgemein gültigen Menschenrechte?

Frick: Es gibt zwei Sichtweisen. Die einen befürworten die Zuwendung anderer Kulturräume oder Religionen hin zu den Menschenrechten, egal um welchen Preis. Die anderen, zu denen auch ich mich zählen würde, sehen zumindest ein zweischneidiges Schwert. Bei der Erklärung der Menschenrechte im Islam wird eine Version von Menschenrechten proklamiert, die wesentliche Menschenrechte nicht enthält, wie beispielsweise das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht auf Gleichheit für Mann und Frau oder das Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung. Es fehlen also zentrale Grundfreiheiten, weil die religiöse „Wahrheit“ höher steht. Die Schwierigkeit ist zudem, dass durch einen solchen Akt, diese Erklärung zu setzen, eine gewisse Islamisierung der Menschenrechte vorgenommen wird. Es wird der Anspruch erhoben, dass der Islam die Menschenrechte viel früher und viel besser verwirklicht hätte als die UN oder westliche Staaten. Weder ist dieser Anspruch historisch einlösbar, noch trägt er zum Verständnis bei. 

Auch in Asien wird eine westliche Position der Menschenrechte kritisiert. Muss die Weltgemeinschaft die Menschenrechte überdenken?

Frick: Menschenrechte stehen nie fest, sie entwickeln sich immer weiter. Der Verband südostasiatischer Nationen (ASEAN) hat eine eigene Menschenrechtserklärung, die sehr umfassend und gut ausgearbeitet ist. Sie hat kleine Akzente anders gesetzt. Die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Völkerrechte hat schon im Namen eine Abweichung. Es geht auch um Kollektive, die Rechte haben, nämlich Völker. Aber nicht alles, was eine Abweichung ist, muss ein Problem sein.

Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Wie geht man mit den Teilen der Bevölkerung um, die das Gefühl haben, nicht mehr sagen zu dürfen, was sie denken?

Frick: Meinungsfreiheit hat zwei Dimensionen. Zunächst eine rechtliche, in der ein demokratisches Gemeinwesen, also wir alle, festlegen muss, welche Äußerungen von dieser Freiheit erfasst sind. Es wird jedem einleuchten, dass nicht alles, was man sagen kann, auch den Schutz der Meinungsfreiheit verdient. Viele Menschen heute glauben, sie werden sanktioniert, nicht vom Staat, sondern von anderen Menschen. Das wäre die zweite, die gesellschaftliche Dimension der Meinungsfreiheit. Menschen werden beschämt, sie werden mitunter lächerlich gemacht oder sie werden ausgegrenzt, wenn sie bestimmte Meinungen äußern. Das ist tatsächlich ein Problem, wenn auch weniger ein menschenrechtliches als vielmehr ein Problem von Streitkultur und wie wir Demokratie verstehen. Dort, wo Menschen ihre Meinungen präventiv nicht äußern, aus Angst vor Stigmatisierung, da verliert der politische Diskurs an Tiefe und Schärfe und ist oft nur mehr ein Scheindiskurs. In einer ernsthaften Debatte muss auch Schwieriges, Verletzendes und zum Teil Irritierendes ausgesprochen werden können und es muss mit Argumenten reagiert werden.

Dieser Artikel ist in der Dezember-2019-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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