Hidden Histories
Unter der Leitung von Ingrid Böhler (li.) entstand die szenische Darstellung des Disziplinarverfahrens.

Der Hör­saal 6 verwan­del­te sich in einen Thea­ter­saal

„Der einzige Feind, den es wert ist zu hassen.“ Unter diesem Titel kam im Rahmen des Uni-Jubiläums eine szenische Darstellung eines Disziplinarverfahrens über studentischen Rechtsextremismus an der Universität Innsbruck zur Aufführung. Ein Disziplinarakt aus dem Universitätsarchiv bildete die Grundlage der gezeigten Inszenierung.

Am 22. Mai wurde die „Geiwi“ der Universität Innsbruck Schauplatz eines ungewöhnlichen Ereignisses: Der Hörsaal 6, in dem normalerweise Vorlesungen oder Vortragsveranstaltungen stattfinden, verwandelte sich in ein Theater. Ein geglücktes Experiment, wie die positive Resonanz der rund 150 Anwesenden unter Beweis stellte. Die Aufführung – einen Beitrag des Instituts für Zeitgeschichte zum 350-Jahr-Jubiläum der Universität – war so brisant wie durch jüngste innenpolitische Ereignisse aktuell, handelte sie doch von studentischem Rechtsextremismus im Burschenschaftermilieu der 1960er Jahre in Innsbruck. Zwei Medizinstudenten mussten sich vor Gericht verantworten, da sie den jüdischen Teil des Westfriedhofs geschändet hatten. Obwohl die Verteidigung versuchte, es als „bsoffene Gschicht“ abzutun und den in Mengen verzehrten „scharfen Grog“ in die Hauptverantwortung zu nehmen, wurden sie rechtskräftig verurteilt. Grund dafür war auch ein antisemitisches Gedicht, das Polizeibeamte in der Wohnung eines der beiden Studenten sicherstellen konnten. Der Fall erregte national wie international große Aufmerksamkeit und da die Universität dadurch ihr Ansehen gefährdet sah, leitete sie ein Disziplinarverfahren gegen die jungen Männer ein, eine Form uniinterner Gerichtsbarkeit, die bis Ende der 1960er Jahre praktiziert wurde.

Der Disziplinarakt aus dem Universitätsarchiv bildete die Grundlage der gezeigten Inszenierung. Die Idee, diesen Fall auszuwählen und am Schauplatz des universitären Gerichtsverfahrens wieder aufleben zu lassen, stammte von den Institutsmitgliedern Ina Friedmann und Simon Schöpf, die an der im Herbst erscheinenden dreibändigen Geschichte der Universität Innsbruck mitgeschrieben haben. Die beiden Schauspieler David Baldessari und Johannes Schmid aus der freien Theaterszene Innsbrucks erarbeiteten aus dem historischen Quellenmaterial das Stück. Keine leichte Aufgabe, so galt es stets den Spagat zwischen historischer Genauigkeit und dramaturgischer Zweckmäßigkeit, zwischen Wissensvermittlung und Unterhaltung, letztlich zwischen Wissenschaft und künstlerischer Kreativität zu meistern. Die Theatermacher lösten diese widersprüchlichen Anforderungen mit einem Kniff. Sie bauten sie kurzerhand als Parallelhandlung in ihr Spiel ein, für das sie vom Publikum mit anhaltendem Applaus belohnt wurden.

Die beiden Schauspieler David Baldessari und Johannes Schmid.

Dass das Stück die Neugier geweckt hatte, zeigte die anschließenden Diskussion, in der sich die Schauspieler und das Organisationsteam den Fragen der Anwesenden stellten. Welche Teile der Handlung waren aufgrund der Quellenüberlieferung erwiesenermaßen wahr, was Interpretation oder Spekulation? Wann kam es überhaupt zu Disziplinarverfahren? Wie häufig war Neonazismus damals? Die rege Diskussion setzte sich auch beim anschließenden Umtrunk, der durch die Österreichische Hochschüler_innenschaft finanziert wurde, fort. Zu sehen waren neben den zahlreich erschienenen Studierenden und Absolvent_innen auch Interessierte weit über die Universität hinaus. Die Veranstaltung verdeutlichte damit einmal mehr, dass die Universität längst kein Elfenbeinturm mehr ist.

Der gelungene Theaterabend ist Teil des Projekts „Hidden Histories“, das durch Mittel des Jubiläumsbudgets finanziert wird. Wie Vizerektor Wolfgang Meixner in seinen Grußworten meinte, ist es der Universität im Jubiläumsjahr ein besonderes Anliegen, die eigene Geschichte zu betonen und dabei gerade die negativen Kapitel nicht auszusparen. „Hidden Histories“ verfolgt das Ziel, bisher weniger beachtete, beinahe ins Vergessen geratene oder auch problematische und daher gerne verdrängte Facetten der Geschichte der Universität Innsbruck in den Blick zu nehmen und durch unkonventionelle Formate zu vermitteln. Der zweite Projektteil im Herbst 2019 setzt diesen Ansatz fort. In Form von Spaziergängen durch die Unigebäude werden an Originalschauplätzen solche Episoden aus der jüngeren Geschichte dieser Institution erzählt, die anschließend in einem Online-Blog nachgelesen werden können.

Vorher gibt es aber noch zweimal die Möglichkeit das Theaterstück zu sehen, dieses Mal allerdings nicht auf universitärem Boden, sondern im Theater praesent in der Jahnstraße. Am Freitag, 14. Juni 2019 und am Samstag, 15. Juni 2019, jeweils ab 20:00 Uhr, verwandelt sich damit das Theater in einen Ort der Geschichtsvermittlung. Das sollte man_frau sich nicht entgehen lassen.

(Institut für Zeitgeschichte)

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