Taschachferner
Auch der Taschachferner in den Ötztaler Alpen hat sich in den vergangenen Jahren stark verkleinert.

Globale Gletscher­inventare un­voll­ständig

Kleine Gletscher, die in den Inventaren nicht registriert sind, haben im 20. Jahrhundert signifikant zum globalen Meeresspiegelanstieg beigetragen. Das ist Ergebnis einer gemeinsamen Studie der Universität Bremen und der Universität Innsbruck. Ben Marzeion und David Parkes haben die Ergebnisse ihrer Forschungen jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Der Anstieg des Meeresspiegels hat mehrere Ursachen: die Ausdehnung des sich erwärmenden Wassers, die abschmelzenden Gletscher und Eisschilde und schließlich die Entnahme von Grundwasser, das – nach Nutzung in der Landwirtschaft oder Industrie – zu einem Großteil ebenfalls im Ozean endet. Zählen die Wissenschaftler diese unterschiedlichen Beiträge zusammen und vergleichen sie mit dem tatsächlich beobachteten Anstieg des Meeresspiegels, stellen sie fest, dass seit dem Jahr 1900 etwa fünf Zentimeter Anstieg unerklärt bleiben. „Wir sehen, dass im vergangenen Jahrhundert das Meer 20 Zentimeter angestiegen ist, können aber nur 15 davon erklären“, unterstreicht Ben Marzeion, bis 2015 an der Universität Innsbruck tätig und heute Professor am Institut für Geographie der Universität Bremen.

Unvollständige Inventare

„In der Publikation in der Fachzeitschrift Nature schlagen wir nun eine Erklärung für diese Lücke vor“, sagt Marzeion. „Es gibt starke Hinweise darauf, dass die globalen Gletscherinventare unvollständig sind.“ Das so genannte Randolph Gletscher Inventar liefert Daten zu so gut wie allen Gletschern auf der Erde in computerlesbarer Form und ist eine wichtige Grundlage für die Forschung. Es ist allerdings schon länger bekannt, dass es in Fernerkundungsdaten sehr schwierig ist, kleine Gletscher zu finden und als solche zu identifizieren. Marzeion: „Man könnte im übertragenen Sinne von der dunklen Materie der Glaziologie sprechen. Es gibt starke statistische Hinweise darauf, dass es diese Gletscher gibt, man weiß aber nicht, wo sie sind.“ David Parkes, der als Doktorand an der Universität Innsbruck tätig war, erläutert: „Zusätzlich dazu sind im Laufe des 20. Jahrhunderts auch etliche Gletscher verschwunden. Das heißt, es gab sie früher, heute sind sie aber richtigerweise nicht in den Inventaren vorhanden“.

Lücken vollständig erklären

Parkes hat nun eine statistische Methode entwickelt, um die vergangene Entwicklung dieser unbekannten Gletscher abzuschätzen. Das Ergebnis ist, dass sie die Lücke im Budget des Meeresspiegels – die bislang unerklärten fünf Zentimeter Anstieg – vollständig erklären könnten. „Das ist deswegen überraschend, weil diese unbekannten Gletscher heutzutage so klein sind, dass sie insgesamt in der Zukunft nicht mehr als 0,2 bis 0,3 Zentimeter zum Meeresspiegelanstieg beitragen werden“, sagt er. Sie sind also tatsächlich heute unbedeutend gegenüber den bekannten Gletschern, die im Falle eines vollständigen Abschmelzens 40 bis 50 Zentimetern Anstieg des Meerwassers verursachen würden. „Die Gletscher, die heutzutage so winzig sind, dass man Probleme hat, sie zu finden, waren in den vergangenen 100 Jahren sehr wichtig für den Anstieg des Meeresspiegels, was wiederum der Grund dafür ist, dass sie heute so winzig sind.“, zieht Professor Marzeion ein Resümee der jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse.

Zu den Personen

Ben Marzeion hat nach seiner Tätigkeit an der Universität Innsbruck 2015 eine Professur für physische Geographie der Uni Bremen übernommen. Er vertritt dort den Schwerpunkt Klimageographie. Im Zentrum seiner Arbeit steht die globale Modellierung der Dynamik von Gebirgsgletschern. Der Wissenschaftler beschäftigt sich insbesondere mit der Bedeutung der Gletscherschmelze für regionale Meeresspiegeländerungen. Darüber hinaus untersucht er den Einfluss von Gletschern auf die Wasserverfügbarkeit, der – je nach lokalem Klima, aber auch nach den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung – regional sehr große Unterschiede haben kann.

David Parkes hat in der Arbeitsgruppe Klimageographie in Innsbruck und Bremen promoviert und ist nun an der Katholischen Universität Leuven in Belgien beschäftigt. Er ist Mathematiker und entwickelt statistische Methoden, die die komplexe räumliche Verteilung der Gletscher in Gebirgsräumen zu den dort herrschenden klimatischen Bedingungen in Beziehung setzen. Mithilfe dieser Methoden werden Vorhersagen und auch Rekonstruktionen der Veränderung von Gletschern möglich, über die nur sehr wenige Informationen zur Verfügung stehen.

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