Monte Iato
Seit 2011 leitet Birgit Öhlinger gemeinsam mit Erich Kistler die Grabungen am Monte Iato im Norden von Sizilien.

Aus dem Kochtopf lernen

Wo Menschen wohnen zeugen Spuren von ihrem Leben. Zu rekonstruieren wie tierisches Fett in ein antikes Weinmischgefäß kommt und wie die Bewohnerinnen und Bewohner des antiken Sizilien gekocht und ihre Speisen gelagert haben, ist eine Aufgabe von Birgit Öhlinger und ihrem Team vom Institut für Archäologien. So soll Licht in rätselhafte Vorgehensweisen gebracht werden.

Der Monte Iato in Sizilien ist der wissenschaftliche Schauplatz der Archäologin, die dort gemeinsam mit Erich Kistler, Professor am Institut für Archäologien, seit 2011 die Grabungen leitet. Im Rahmen des bereits dritten vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projektes beschäftigen sich Birgit Öhlinger mit Julia Haas und Ulrike Töchterle sowie dem Iato-Team mit den Inhalten der gefundenen Keramikgefäße. „Auf dem Monte Iato befand sich eine indigene archaische Siedlung. Zu jener Zeit kamen auch Griechen und Phönizier auf die Insel und haben sich an den Küsten angesiedelt. Mit ihnen kam auch der Anstoß für verdichtete kulturelle Austauschprozesse, die wir uns genauer ansehen möchten“, erläutert Öhlinger, die sich vor allem auch für das menschliche Verhalten und Handeln innerhalb dieser neu entstandenen Kontaktzonen interessiert. Die Griechen und Phönizier haben ihre Ansiedlungen an der Küste errichtet, doch wurden auch im Binnenland Zeugnisse ihrer materiellen Kultur gefunden. Ein besonderes Stück ist ein Weinmischgefäß, der sogenannte Krater: „Der Form entsprechend ist dieses Gefäß dem griechischen Stil zuzuordnen, wurde allerdings auch im Binnenland produziert und dem einheimischen Geschmack nach bemalt.“ Die Archäologin interessieren nicht nur die materiellen Artefakte, sondern auch, wie die damalige Bevölkerung auf die neuen kulturellen Einflüsse von außen reagiert hat. Wie heute auch, waren die Reaktionen sehr unterschiedlich. Öhlinger untersucht wie das Leben damals stattgefunden hat und was die gefunden Gefäße darüber erzählen. „Unterschiedliche taphonomische Prozesse führen dazu, dass immer nur ein Bruchteil der einstigen Lebenswelt der antiken Bewohnerinnen und Bewohner im Boden zurückbleibt. Organische Stoffe sind den Verfallsprozessen naturgemäß in besonderem Maß ausgesetzt. Mit einem speziellen Verfahren zur Analyse der Inhalte in Gefäßen können wir uns dieser Problematik annehmen und so das vermeintlich Unsichtbare sichtbar machen.“ So spricht die Wissenschaftlerin davon, an der Grabungsstätte eine Art „Tatortachräologie“ zu verfolgen. Die Forschungen dazu werden von der Nachwuchsförderung der Uni Innsbruck mitfinanziert.

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Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kochten in den selbstgefertigten Gefäßen. (Bild: Julia Haas)

Inhaltsanalyse

Über das damalige Leben der Menschen können selbst Expertinnen und Experten basierend auf den Fundstücken nur Interpretationen anstellen. Viele Utensilien können bestimmten Verwendungszwecken klar zugeordnet werden. Allerdings waren die Archäologinnen und Archäologen überrascht, in einem Weinmischgefäß auch Spuren tierischen Fetts zu entdecken. „Ein Puzzleteil im Verstehen der antiken Kulturen ist die Analyse der organischen Reste und Rückstände in der Keramik. Die Keramik ist ein sehr poröser Stoff, in den vor allem beim Kochen Fette, oder andere Inhaltsstoffe der Nahrung eindringen“, veranschaulicht Öhlinger. Besonders gut lassen sich bisher die wasserunlöslichen Lipide nachweisen. „Wenn die Keramik zerscherbt wird und in den Boden gelangt, dann bleiben die organischen Rückstände im Keramikkern gespeichert und können selbst nach Jahrhunderten nachgewiesen und extrahiert werden“, erläutert die Wissenschaftlerin. Unterstützt von Chemikerinnen und Chemikern führen Öhlinger und ihr Team Inhaltsanalysen der Fundstücke durch. Mittels Gaschromatographie und Massenspektrometrie wird der chemische Fingerabdruck der gefundenen Substanzen ermittelt. Um herauszufinden um welche Stoffe es sich tatsächlich handelt, arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit modernen Vergleichsbeispielen. „Aus sizilianischem Ton haben wir eigene kleine Versuchsgefäße getöpfert, die wir für unsere Versuchsreihe verwenden“, so Öhlinger. Nach der Analyse der Inhaltsstoffe in der modernen Keramik können die Expertinnen und Experten die entstehende Molekül-Signatur mit dem antiken Material vergleichen. „Dieses experimentelle Vorgehen bietet die Möglichkeit, antike Handwerkstechniken zu erproben und zu erforschen. Besonders die Oberflächenbearbeitung der Keramik mit organischen Substanzen wurde bislang noch nicht untersucht. Zudem können wir hier ein Datenset generieren, das es ermöglicht, unter kontrollierten Bedingungen Vergleichsdaten zu antiken Inhaltsanalysen zu schaffen“, verdeutlicht die Archäologin. 

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Für weitere Analysen werden Proben der Scherben an die University of York geschickt. (Bild: Julia Haas)

Wein und Bier

Tierische Fette lassen sich chemisch mittlerweile recht gut in Keramiken nachweisen. Schwieriger ist dies hingegen bei Getränken wie Wein oder Bier, deren analytische Nachweisbarkeit in den letzten Jahren teils kontrovers diskutiert wurde. Unterstützt von der Università del Salento haben die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher mit den Flüssigkeiten experimentiert. „In den von uns erstellten Versuchsgefäßen haben wir selbstgebrautes Bier und Wein aus der Region des Monte Iato eingelagert um langfristig zu untersuchen, welche Stoffe sich in welcher Form bei der Aufbewahrung der Getränke in der Keramik ablagern“, erläutert Öhlinger das Experiment. Auch die Oberflächenbearbeitung der Keramik bei der Herstellung sowie das Kochen in den Gefäßen beeinflusst die Rückstände in der Keramik: „In einem Gefäß bereitet man nicht immer dieselbe Suppe zu, sondern kocht unterschiedliche Speisen. So ein Gefäß hat eine lange Biographie, weswegen wir davon ausgehen, dass bestimmte Gefäße vor dem Brand mit organischen Substanzen behandelt wurden, um die Keramik entsprechend zu schützen. “ Solche Versiegelungen mit Harzen, Fetten oder Milch wurden in der archaischen Mittelmeerforschung bislang nicht untersucht, weshalb sich das Team für eine Testreihe als archäologisches Experiment entschied.  „Gemeinsam mit meiner Kollegin Ulrike Töchterle bin ich nach Sizilien gereist, um den Ton für die Versuchsreihe aus einer Tonlagerstätte am Monte Iato zu holen“, erläutert Öhlinger. Nach dem Formen und Brennen der Gefäße haben die experimentalarchäologisch arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst darin gekocht, um die damalige Situation nachzustellen. Auch Polituren und Versiegelungen wie Öl oder Rindernierenfett wurden erprobt. „Bei der Analyse können wir zwischen Fett von Wiederkäuern und Nicht-Wiederkäuern sowie zwischen adipösem und nicht-adipösem Fett unterscheiden. Die Möglichkeit das Fett von Fleisch und Milchfett auch chemisch auseinanderhalten zu können, ist besonders wichtig“, so die Archäologin. Ein Ziel der Untersuchungsreihe ist ein besseres Verständnis der Herstellungstechniken der Keramikgefäße, vor allem in Bezug auf die Versiegelung und die Politur. „Wenn wir die chemische Signatur der Inhalte in der modernen Keramik kennen, dann können wir diese mit jener in den antiken Artefakten vergleichen“, erläutert die Wissenschaftlerin. So können sich Öhlinger und ihr Team auch die tierischen Fette in einem Weinmischgefäß erklären: „Es wäre denkbar, dass die Gefäßinnenwand mit tierischem Fett eingerieben wurde, um sie zu versiegeln und für Flüssigkeiten undurchdringlich zu machen. Ähnliche Vorgehensweisen sind durch ethnologische Vergleiche aus Afrika bekannt. Somit liefern uns die Inhaltsanalysen nicht nur Informationen zum antiken Konsum von Lebensmitteln, sondern ebenso zu antiken Handwerkstechniken, die uns Einblicke in die damalige Lebens- und Wohnkultur gewähren“, schließt Birgit Öhlinger.

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Unter kontrollierten Bedingungen wurden die Gefäße im Ofen behandelt und die eingefüllte Flüssigkeit konnte verdunsten. So können später die Rückstände analysiert werden. (Bild: Julia Haas)

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