Blick über die Alpen
Etwa die Hälfte der von der Alpinpolizei registrieretn Notrufe in Tirol werden aufgrund von Stürzen abgesetzt.

Über Stock und Stein

Nach dem Erklimmen eines Berg­gipfels die weite Sicht genießen oder in einer gemütlichen Almhütte zur wohlverdienten Rast einkehren – das Bergwandern erfreut sich immer größerer Beliebtheit, birgt aber auch Gefahren. Martin Faulhaber, Professor am Institut für Sportwissenschaft, will den Ursachen sowie den Risiko­faktoren auf den Grund gehen und mögliche Präventionsmaßnahmen erarbeiten.

Eigentlich ist das Wandern eine sehr ausgeglichene und gesunde Sportart. Unterschiedliche Muskelgruppen werden gleichzeitig beansprucht, die Koordination wird verbessert und das Herz-Kreislauf-System trainiert. Unterschätzt wird jedoch das Risiko von Unfällen im Gebirge. Wanderinnen und Wanderer auf einfachen Routen sind vom Sturzrisiko genauso betroffen wie jene auf langen Wegstrecken oder technisch herausfordernden Touren. Eine kurze Unachtsamkeit, ein schwerer Rucksack oder die Ermüdung bei einem langen Abstieg sind nur einige der möglichen Gründe für schwere Stürze im Gebirge. „Im Schnitt werden in Tirol jährlich 600 bis 700 Bergwanderunfälle und Notfälle durch die Alpinpolizei erfasst. Etwa 300 Notrufe davon werden aufgrund von Stürzen im Tiroler Gebirge abgesetzt. Zu den häufigsten Auslösern für Verletzungen am Berg zählen das Stolpern, Ausrutschen oder Umknicken“, erläutert Martin Faulhaber, dessen dreijährige Studie „Stürze beim Bergwandern“ vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gefördert wird. Für seine Analysen greift der Wissenschaftler auf die Daten der Alpinpolizei zurück, die zur Rettung der Verunfallten alarmiert wird. „So bekommen wir die Informationen über alle schwerer Gestürzten, die zusätzlich Hilfe benötigen und meist ein Rettungseinsatz notwendig ist. Dies ist natürlich auch nur ein Teil der Verletzten. Humpelt jemand mit der Hilfe von Freundinnen und Freunden noch weiter ins Tal oder ist der Schweregrad der Verletzung nicht so groß, werden diese Unfälle auch nicht von der Alpinpolizei registriert“, verdeutlicht der Sportwissenschaftler, dessen Ziel die Identifikation von Risikofaktoren für Stürze beim Bergwandern ist.

Risiko

Trotz der immer größeren Beliebtheit des Bergwanderns steigt die Zahl der Verunfallten nur leicht. „In unserer wissenschaftlichen Untersuchung beschränken wir uns auf die nicht-tödlichen Unfälle. Am Institut für Sportwissenschaft der Uni Innsbruck wird aber auch schon länger an den Ursachen der plötzlichen Herztodesfälle im Gebirge geforscht.. „Aufgrund unterschiedlicher Ursachen verunfallen in Tirol jährlich etwa 40 bis 50 Personen beim Bergwandern tödlich. Mit unseren Forschungen möchten wir dazu beitragen, auf die Gefahren des scheinbar harmlosen Bergwanderns aufmerksam zu machen, zu informieren und in weiterer Folge das Unfallrisiko zu minimieren“, so der Wissenschaftler. Die richtige Ausrüstung, die körperlichen Voraussetzungen oder das notwendige Wissen über das Verhalten in den Bergen schützen noch lange nicht vor schweren Stürzen. Besonders häufig werden Unfälle saisonbedingt auf den Weitwanderstrecken, wie beispielsweise am Europäischen Fernwanderweg E5, der auf seinem Weg von der Atlantikküste Frankreichs nach Verona durch Tirol führt, registriert. „Die langen Abstiege in den Lechtaler Alpen nach Landeck sind klassische Strecken, auf denen Wanderinnen und Wanderer stürzen, wahrscheinlich aufgrund von Ermüdungserscheinungen “, verdeutlicht Faulhaber. Im Lauf des Sommers verschieben sich die Orte der meisten Unfälle in die Ötztaler und Stubaitaler Alpen, die vor allem auch für höhere Touren bekannt sind. Die Ursachen für Stürze im Gelände seien laut Faulhaber nur schwer eindeutig zu identifizieren: „Meistens kommen mehrere mögliche Faktoren zusammen.“ Erste Ergebnisse zeigen auch, dass Trägerinnen und Träger von Brillen oder Sehhilfen häufiger von schweren Stürzen betroffen sind. „Für diese Personen könnte es schwieriger sein, die Bodenbegebenheiten genau zu sehen. Zudem besitzen auch nicht alle Betroffenen eine optische Sonnenbrille. Bedenklich ist auch das Tragen von zwei Brillen, einer optischen Brille und einer Sonnenbrille, übereinander“, so der Wissenschaftler. Die meisten Unfälle passieren allerdings relativ unspektakulär durch Ausrutschen oder Stolpern im Gelände.

Prävention

Bisher gibt es noch kaum wissenschaftliche Informationen zu Unfällen beim Bergwandern: „Der alpine Wintersport ist schon lange im wissenschaftlichen Fokus, Unfälle am Berg im Sommer waren bisher noch nicht Gegenstand von umfangreichen Forschungen.“ Nach der Erfassung des Unfalls durch die Alpinpolizei bekommen die Verunfallten nach deren Einwilligung einen Fragebogen zu Unfallhergang, Ausrüstung, allgemeine physische Voraussetzungen und Einschätzung des eigenen Risikoverhaltens. „Wir erfassen so jene Personen, die beim Bergwandern gestürzt sind und einen Notruf abgesetzt haben. In die Studie aufgenommen werden nur Personen mit Wohnsitz in Österreich oder Deutschland. Dabei werden über 90 Prozent der Stürze in Tirol erfasst“, erläutert der Sportwissenschaftler den Forschungsansatz. Gleichzeitig gehen Faulhaber und sein Team mit demselben Fragebogen in die Regionen der Unfälle, um dort Wanderinnen und Wanderer vor Ort zu befragen. Längerfristig wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die häufigsten Unfallursachen erforschen, damit gezielte Präventionsmaßnahmen getroffen werden können. Faulhaber empfiehlt, aufmerksam zu wandern, auf den eigenen Körper zu achten, gegebenenfalls auch umzukehren und Sicherheitshinweise zu beachten. Gemeinsam mit seinem Team arbeitet der Wissenschaftler daran, Grundlagen zu schaffen, um Stürzen beim Bergwandern zukünftig vorzubeugen.

Dieser Artikel ist in der neuen Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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