Tiroler Trachten
Titelblatt des Heftes "Neue Tiroler Trachten" aus dem Jahr 1936 mit Richtlinien für Talschaftstrachten von Josef Ringler.

Auf Tuchfühlung

Die Tiroler Tracht in allen Farben und Formen sowie die Trachtenpraxis im 20. und 21. Jahrhundert untersuchen Timo Heimerdinger und Reinhard Bodner vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie gemeinsam mit dem Tiroler Volkskunstmuseum. In einem fünfjährigen Forschungsprojekt wird die Geschichte der Tracht seit etwa 1900 aufgearbeitet.

Unzählige Schnittmuster, unterschiedliche Stoffe und Farben sowie aufwändige Stickereien – Tiroler Trachten haben eine lange Tradition, die sich aber im Lauf der Zeit verändert hat. „Das Tragen von Trachten hat im 19. Jahrhundert in Tirol seine alltägliche Selbstverständlichkeit verloren. Die historischen Trachten wurde abgelegt und kamen ins Museum, noch heute können sie zum Beispiel im Tiroler Volkskunstmuseum besichtigt werden“, erklärt Projektleiter Timo Heimerdinger, Professor für Europäische Ethnologie. Trotzdem wird Tirol bis heute als österreichisches Trachtenland vermarktet, was besonders an den immer noch in Tracht uniformierten Vereinen, Musikkapellen und Schützenkompanien liegt. „Abseits der Alltagskultur wird die Tracht häufig als Ausdruck von politischen oder kirchlichen Interessen als Aufputz bei festlichen Anlässen getragen“, so Reinhard Bodner, der betont, dass Tracht wenig geeignet sei, um Unordnung herzustellen. Vielmehr gilt dieses Kleidungsstück als starkes Zeichen für die Zusammengehörigkeit einer Gruppe, der Verbundenheit zur Heimat und Tradition. Damit kann der Ausschluss von etwas verbunden sein, das als nicht-dazugehörig verstanden wird. Nicht außer Acht gelassen werden darf aber auch die Bedeutung der Tracht im Tourismus. „Im ausgehenden 19. Jahrhundert brachten Touristinnen und Touristen auf Sommerfrische oder Alpinistinnen und Alpinisten das Trachtige in die ländlichen Regionen zurück, in denen die Tracht im Alltag schon lange nicht mehr getragen wurde“, so Bodner. Auf deren Sehnsucht nach echter Volkskultur reagierten auch die Einheimischen, indem sie in einer Art Selbstfolklorisierung die Tracht in der Gastronomie oder auf den aufkommenden Tirolerabenden vermehrt trugen – und das mit ökonomischem Erfolg.

Trachtenerneuerung

Die weitgehend verschwundene Tracht wieder vermehrt in den Alltag zu bringen, war auch Ziel einer von Heimerdinger und Bodner untersuchten Bewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Weg von den alten historischen Trachten, hin zu leichteren, schlichteren und besseren Gewändern – das waren die Bestrebungen der Trachtenerneuerung. „Die Vertreterinnen und Vertreter der damaligen Heimatschutzbewegung begnügten sich nicht damit, historische Trachten zu sammeln. Obwohl sich die neuen Trachten von den historischen Vorgängern und dem Dirndl-Look abgrenzen sollten, waren doch historischen Recherchen und die latente Orientierung an der Mode wichtig“, präzisiert Heimerdinger. In Tirol wurde das heutige Volkskunstmuseum in Innsbruck unter der Leitung von Josef Ringler zu einem Zentrum der Trachtenerneuerung. „Angesichts des Verschwindens der Tracht wollte der Kunsthistoriker Ringler nur das ‚Echte und Unverfälschte’, wie er sagte, pflegen“, so Bodner. In seinem Vorhaben wurde Ringler von der textilaffinen Gertrud Pesendorfer unterstützt, die ab dem Jahr 1927 am Museum angestellt war. Gemeinsam wollten Ringler und Pesendorfer möglichst einheitliche, homogene Trachten für einzelne Täler durchsetzen. Teilweise führten der Museumsleiter und seine Assistentin dazu aktuelle Bestandsaufnahmen durch, sie griffen aber auch auf Belegstücke und Bildmaterial aus den Beständen des Museums zurück. Ein feines System von oft sehr kleinräumigen Kleidungsdifferenzen, auch zwischen Tälern, hatte sich bereits im 18. Jh. herausgebildet. Die Wipptaler, die Stubaitaler, die Alpbachtaler – das Aussehen der Tracht verrät, wo die man zu Hause ist. Während Trachten in früheren Jahrhunderten häufig soziale Unterschiede anzeigten, setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein „ethnischer Blick“ auf Trachten als Ausdruck regional-„stammlicher“ Zugehörigkeiten durch. „Nach dem Ende der Monarchie war dies auch in der Ersten Republik und im austrofaschistischen Ständestaat der Fall“, so Bodner.

 

Gertrud Pesendorfer im Kreis von Mitarbeiterinnen im Tiroler Volkskunstmuseum. Aufnahme von Liselotte Purper. Abzug im Archiv des Tiroler Volkskunstmuseums Innsbruck. (Reinhard Bodner)
Gertrud Pesendorfer im Kreis von Mitarbeiterinnen im Tiroler Volkskunstmuseum. Aufnahme von Liselotte Purper. Abzug im Archiv des Tiroler Volkskunstmuseums Innsbruck. (Reinhard Bodner)

Tracht in der NS-Zeit

„Ein Trachtenjanker ist ein Stück Stoff. Kombiniert mit dem mittransportierten Ordnungssystem war dieser Stoff sehr anschlussfähig an bestimmte ideologische Bedürfnisse zu dieser Zeit“, so Heimerdinger der betont, dass Pesendorfer auch ein Beispiel für die nationalsozialistische Instrumentalisierung der Trachtenerneuerung ist. „Bereits vor dem Anschluss war die gebürtige Wiltenerin als ‚illegale’ Nationalsozialistin tätig. Ende 1938 ernannte Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink Pesendorfer zur Reichstrachtenbeauftragen und im März 1939 zur Leiterin der ‚Mittelstelle Deutsche Tracht’ am Volkskunstmuseum, dessen geschäftsführende Leitung Pesendorfer bald darauf übernahm“, erklärt Bodner. Als Dienststelle der NS-Frauenschaft sollte die Mittelstelle in diversen Gauen des Deutschen Reichs Trachten dokumentieren und erneuern. In Näh-, Stick- und Strickkursen wurden Mädchen und Frauen Fertigkeiten zur Herstellung erneuerter Trachten vermittelt. Von diesen Aktivitäten zeugt ein am Volkskunstmuseum erhaltener Bestand von etwa 150 Mappen, den Bodner derzeit untersucht. Den Anlass für eine detaillierte Untersuchung der Bestände gab eine seit 2011 geführte Debatte um „Volkskultur“ und Nationalsozialismus in Tirol, Vorarlberg und Südtirol. Dabei kamen auch Pesendorfers Rolle in der NS-Zeit und ihre Wirkungsgeschichte nach 1945 in den Blick. Vielen in Tirol ist Pesendorfer bis heute durch ihr Buch „Lebendige Tracht in Tirol“ aus dem Jahr 1965 bekannt. Auf die Debatte reagierte das Land Tirol mit der Errichtung eines „Förderschwerpunkts Erinnerungskultur“, aus dem derzeit zwei Projekte der Uni Innsbruck finanziert werden – neben dem europäisch-ethnologischen läuft auch ein zeithistorisches Projekt zur Kultur- und Identitätspolitik im Gau Tirol-Vorarlberg.

Tracht heute

„Wir treten keineswegs als Autoritäten auf, die zu wissen glauben, wie eine echte Tracht aussieht und wie sie richtig zu tragen ist. Solche Ursprünglichkeitsvorstellungen hinterfragen wir, analysieren aber auch das Bedürfnis danach“, so Heimerdinger. Das Projekt bettet Pesendorfers Aktivitäten in seine sozialen, politischen und ökonomischen Kontexte ein. Die beiden Europäischen Ethnologen gehen aber auch auf „Tuchfühlung“ mit Tracht heute. Wie sie abschließend betonen, dürften etwa die aktuelle Dirndlmode oder das Engagement in Trachtenvereinen nicht auf traditionelle Werthaltungen reduziert werden. Oft lasse sich ein relativ spielerischer Umgang mit dem Trachtigen und eine Freude am Auffallen und Sich-Absetzen beobachten. Die Motivationen seien vielfältig – und ein Anspruch des Projekts sei es, diese Vielfalt ernst zu nehmen.

 

Bitte um Mithilfe

Das Projektteam freut sich über alle Hinweise und ist auch am Kontakt zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Trachtenerneuerung beziehungsweise deren Nachfahrinnen und Nachfahren sowie Interviewpartnerinnen und Interviewpartner mit Bezügen zu Tracht interessiert. Kontakt: r.bodner@tiroler-landemuseen.at

Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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