FSP-Tag: Gewalt- und Konfliktforschung

14. Oktober 2025, 09:00-13:00 Uhr

Fakultätssitzungssaal (SOWI, 3. Stock/Ost), Universitätsstraße 15, 6020 Innsbruck

Kulturelle Dynamiken, wie sie im Fokus unseres Forschungsschwerpunkts stehen, können Räume der Kreativität bilden und der Entstehung von Neuem dienen, sich aber auch konflikthaft zuspitzen bis hin zu Krieg und Gewalt. Gewalt erscheint jedoch nicht nur in Kriegsgebieten, sondern durchdringt alltägliche kulturelle Diskurse und Praktiken und erscheint dabei als vielschichtiges, ambivalentes Phänomen mit unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Bedeutungen. Sie kann etwa individuell oder kollektiv, physisch, psychisch, strukturell, epistemisch, symbolisch oder politisch in Erscheinung treten. Sie kann soziale Ungleichheiten verstärken oder abbauen, Machtverhältnisse stabilisieren oder ins Wanken bringen. In diesem Spannungsfeld besitzt Gewalt das Potenzial, gesellschaftliche Ordnungen sowohl zu untergraben als auch neu zu formen.

Mit Blick auf gegenwärtige und multiple Krisen sowie die zunehmende Präsenz gewaltförmiger Praktiken in politischen und gesellschaftlichen Kontexten erscheint eine intensive Auseinandersetzung mit Gewalt und Konflikt unabdingbar. Wie jedoch können wir Gewalt überhaupt erforschen und welche forschungsethischen Fragen stellen sich in konfliktiven Umgebungen?

Der FSP-Tag „Gewalt- und Konfliktforschung“ bringt Forscher*innen der Universität Innsbruck zusammen, die sich mit dem Thema Gewalt beschäftigen und bietet die Möglichkeit des interdisziplinären Austauschs über Forschung in politisch sensiblen Kontexten. Im Fokus stehen dabei insbesondere Fragen nach dem Umgang mit Gewalt in der Vergangenheit, neuen Formen der Gewalt, gewaltförmigen Alltagspraktiken sowie die Reflexion methodischer und ethischer Aspekte der Gewalt- und Konfliktforschung. Der FSP-Tag richtet sich an alle Mitglieder unseres Forschungsschwerpunkts sowie darüber hinaus interessierte Wissenschaftler*innen aller Karrierestufen.

 

Um Anmeldung bis 13. Oktober 2025 wird gebeten: fsp-kultur@uibk.ac.at

Programm

09:00-09:15 Uhr: Begrüßung

Univ.-Prof. Dr. Silke Meyer, Leiterin des Forschungsschwerpunkts Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte

09:15-10:00 Uhr: KI als Schwert zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit? Zu Imaginationen des "besseren" Tötens im Kontext autonomer Waffensysteme (Stephanie Schmidt, Universität Hamburg)

„Wenn Sie an die Demokratie glauben, braucht die Demokratie ein Schwert", äußerte 2023 ein zentraler Investor in Militär-Startups in einem Interview und meint damit Künstliche Intelligenz. Damit ist er nicht allein: Auch Firmen wie Helsing oder Palantir stellen in der Vermarktung ihrer militärischen Systeme Künstliche Intelligenz vor allem als ein Instrument zur Verteidigung demokratischer Werte und Freiheiten zentral. Das ist nicht nur ein Marketingtrick. Damit verbunden sind auch Vorstellungen eines durch KI ermöglichten „präziseren", „effizienteren" und vermeintlich „humaneren" Gewalthandelns im Krieg und letztlich auch eines „besseren" Tötens.

Der Vortrag widmet sich auf Basis aktueller empirischer Forschung diesen Imaginationen eines „besseren" Kriegshandelns und den damit verbundenen Diskursen um Künstliche Intelligenz in (teil-)autonomen Waffensystemen. Dabei wird kritisch hinterfragt, was es eigentlich bedeutet, wenn Gewalt, und im Fall des Krieges sogar das Töten, zur Arbeit gehört, und welche ethischen und gesellschaftlichen Implikationen mit dem Versuch einhergehen, diese Arbeit vom Menschen an die Maschine auszulagern.

Dr. Stephanie Schmidt ist Kulturanthropologin und promovierte 2021 an der Universität Innsbruck in Europäischer Ethnologie mit einer Arbeit zu „Affekt und Polizei. Eine Ethnografie der Wut in der exekutiven Gewaltarbeit".
Seit Mai 2022 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg im Forschungsverbund „Meaningful Human Control. Autonome Waffensysteme zwischen Regulation und Reflexion (MEHUCO)" zu Künstlicher Intelligenz, menschlichem Sinnverstehen, Recht und Autonomen Waffensystemen. Seit Februar 2025 leitet sie zusätzlich ein Forschungsprojekt zu sozialen Konflikten um KI-gestützte Sicherheitstechnologien.

Sie forscht zu Gewaltarbeit (insbesondere Polizei und Militär), rechtsanthropologischen Fragestellungen des Völkerrechts sowie Emotionspraktiken. Seit 2023 ist sie assoziiert im Forschungszusammenhang „Kulturen des Konflikts" an der Leuphana Universität Lüneburg, wo sie die „AG Forschung im Konflikt" gründete, die forschungsethische Fragestellungen in konfliktiven Feldern behandelt.

Moderation: Silke Meyer

10:00-10:30 Uhr: Tremendum et fascinosum. Versuch einer Annäherung an die Ambivalenzen gewaltförmiger Praktiken(Marion Näser-Lather, Universität Innsbruck)

Gewalt begegnet uns in vielfältiger Form in alltagsweltlichen, institutionellen und (pop-)kulturellen Zusammenhängen, ob physisch oder psychisch, in ökonomischen Verhältnissen, Infrastrukturen oder Wissenspraktiken. Dass ihre Einhegung nicht als fortschreitender Zivilisationsprozess beschrieben werden kann, zeigen unter anderem die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen. Anhand von konzeptuellen Überlegungen und konkreten Beispielen möchte ich den ambivalenten Charakter von Gewalt als disruptive und produktive, zerstörende vs. gesellschaftserhaltende Kraft ausloten und danach fragen, was sie als bestialisch und abstoßend, aber auch faszinierend oder gar anziehend erscheinendes Phänomen der Interaktion in mehr-als-menschlichen Zusammenhängen ausmacht.

Marion Näser-Lather ist assoziierte Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Innsbruck und seit 2024 Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft. Ihre Forschungsinteressen umfassen Gender Studies, Protestforschung, Digitalisierung sowie methodische und ethische Aspekte des Forschens in sensiblen Feldern.

Moderation: Silke Meyer

10:30-11:00 Uhr: Pause

Kaffee und süße Jause

11:00-11:30 Uhr: Zum Wandel von Holocaust-Gedenkstätten im Zeitalter der KZ-Archäologie (Dirk Rupnow, Universität Innsbruck)

Die Gestaltung von Holocaust-Gedenkstätten unterliegt – wie die Erinnerungskultur generell – einer Vielzahl von Einflüssen. Der Bezug zum historischen (authentischen) Ort ist dafür natürlich grundlegend. Dementsprechend bringen auch die neuen archäologischen Zugänge Veränderungen mit sich. Der Vortrag versucht diese explorativ zu beschreiben.

Dirk Rupnow, geb. 1972, forscht und lehrt seit 2009 an der Universität Innsbruck. Er ist Universitätsprofessor am Institut für Zeitgeschichte und derzeit auch Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät. Er beschäftigt sich mit der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts im globalen Kontext, mit Holocaust- und Jüdischen Studien, Wissenschafts- und Migrationsgeschichte, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitiken sowie Museologie.

Moderation: Teresa Millesi

11:30-12:00 Uhr: Überlegungen zur Archäologie moderner Massengewalt: Motivationen, Themen, Herausforderungen (Barbara Hausmair, Universität Innsbruck)

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Archäologie moderner Massengewalt als ein dynamisches und interdisziplinäres Forschungsfeld etabliert, das sich mit den materiellen Spuren von Kriegen, Genoziden und Kontexten systematischer Unterdrückung auseinandersetzt. Dazu gehört die Untersuchung von Orten rezenter Massengewalt, wie Kriegsschauplätzen, Internierungseinrichtungen oder Massengräbern, ebenso wie die Erforschung der Sachkultur aus solchen Gewaltkontexten und die Auseinandersetzung mit der Rolle materieller Hinterlassenschaften in der Erinnerungskultur und gesellschaftspolitischen Diskursen. Zunächst entwickelten sich das Feld weitgehend im Rahmen von Diskursen über Kulturerbe und Erinnerung (z. B. NS-Verbrechen und Holocaust). Es gewinnt jedoch zunehmend auch im Zusammenhang mit forensischen Untersuchungen und Evidenzsicherungsmaßnahmen an Bedeutung, die zu zentralen Bestandteilen politischer Diskurse und der juristischen Aufarbeitung aktueller Menschenrechtsverletzungen und Kriege geworden sind. Der Vortrag präsentiert die Motivationen und Schwerpunkte der Archäologie moderner Massengewalt anhand aktueller Beispiele. Gleichzeitig thematisiert er ethische Herausforderungen sowie die Gefahr der politischen Instrumentalisierung solcher Forschung.

Barbara Hausmair ist Professorin für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie an der Universität Innsbruck. Sie studierte Archäologie an den Universitäten Wien, Cambridge und Reading. Nach der Promotion forschte sie mehrere Jahre an der Universität Konstanz (Marie-Curie-Fellowship), der Freien Universität Berlin und dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Archäologie moderner Massengewalt mit einem Fokus auf Sozialarchäologie in Internierungs- und Ausbeutungskontexten der NS-Zeit, Luftbildarchäologie von Kriegslandschaften und Kriegsindustrie, Erinnerungskultur, und Kritische Archäologie.

Moderation: Teresa Millesi

12:00-12:30 Uhr: History on Trial. On the Role of Courts as Agents for Justice and Memory. Some Prompts for Critical Analysis (Katja Seidel)

This talk examines the role of courts and legal trials in shaping justice and collective memory after mass violence. While Transitional Justice (TJ) often privileges legal mechanisms, trials have been criticised for prioritising perpetrators over victims and retribution over reconciliation. Drawing on long-term ethnographic research in Argentina, I argue that trials can nonetheless be transformative — restoring agency, producing public memory, and countering authoritarian silence. After a brief overview of relevant court types, including examples from the AfCHPR and IACHR, I turn to Argentina’s trials for crimes against humanity and the use of Universal Jurisdiction (UJ) in and for Spain, to show how legal activism transcendes borders to challenge impunity and inspire new “cultures of justice.”  I thus argue, first, that trials can reshape collective memory by challenging narratives forged under dictatorship; and, second, that Universal Jurisdiction (UJ) and transnational legal proceedings offer a vital tool for victims when justice fails at home. Ultimately, I propose understanding trials not only as instruments of punishment but as sites of recognition, resistance, and the vision of global justice.

Katja Seidel is a Senior Lecturer at the Unit for Peace and Conflict Studies at the University of Innsbruck and former co-Director of the ‘ethnocineca – International Documentary Film Festival’ in Vienna. She is a social anthropologist with expertise in legal anthropology, violence and conflict studies, HR and visual arts. Katja has completed her PhD at Maynooth University where she worked for 10 years. She conducted long-term fieldwork in Argentina, Nicaragua, Ethiopia, Spain and Germany, and co-directed the Holocaust education and research project ‘A Letter to the Stars’ in Vienna. 

Among her publications are "‘Coming full Circle? Broken Pasts and Contested Expectations about the Future” In: Berghahn (2019), "History on Trial. H.I.J.O.S., Memory and Reparation in the Court of Tucumán/Argentina”. In: Ashgate/Routledge (2018), and most recently her book “From Legacies to Futures. The Lifeworlds of Older Adults in Europe.” Berghahn (2025). 

Moderation: Teresa Millesi

12:30-13:00 Uhr: Abschlussdiskussion

Univ.-Prof. Dr. Silke Meyer

TIPP

Workshop: Forschen in politisch wie forschungsethisch brisanten Feldern

15. Oktober 2025, 14:00-17:00 Uhr, Besprechungsraum 03D050, Ágnes-Heller-Haus (3. Stock), Innrain 52a, 6020 Innsbruck

Empirische und ethnografische Forschung in politisch sensiblen oder ethisch herausfordernden Kontexten konfrontiert Wissenschaftler:innen mit komplexen Dilemmata, die sowohl methodische als auch ethische Fragen aufwerfen. Die Navigation zwischen wissenschaftlicher Objektivität und gesellschaftlicher Verantwortung erfordert kontinuierliche Reflexion und kollegialen Austausch.

Dieser Workshop schafft einen interdisziplinären Rahmen für Dialog, Austausch und methodische Reflexion für empirisch und ethnografisch Forschende in politisch wie forschungsethisch brisanten Feldern.

Weitere Informationen & Anmeldung

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