Ad memoriam Dr. Stefan Donecker (1977–2022)

Viel zu früh ist Stefan Donecker nach langer schwerer Krankheit am 1. September in Wien gestorben. Mit ihm verliert die Geschichtswissenschaft einen originellen und hintergründig denkenden Vertreter mit großer Zukunft, der Autor dieses Nachrufs verliert einen guten Freund. Dem Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik war Stefan Donecker als Lehrbeauftragter und Forscher verbunden.
In Wien und Umeå hat Stefan Donecker Geschichte und Skandinavistik studiert. Danach wechselte er ans European University Institute (EUI) in Florenz, wo er 2010 bei Martin van Gelderen promoviert wurde. Seine Dissertation liegt seit 2017 als Monographie vor („Origines Livonorum. Frühneuzeitliche Hypothesen zur Herkunft der Esten und Letten“). Die folgenden Jahre verbrachte Stefan am Alfried Krupp-Wissenschaftskolleg in Greifswald und am Kollegiat des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz.
Daneben begann er als Hochschullehrer zu wirken, sowohl an historischen Instituten in Deutschland und Österreich, als auch an der Wiener Skandinavistik. Lehre und Forschung waren für Stefan Donecker eng verbunden, beides liebte er. Schon das Thema seiner Dissertation zeigt seine Suche nach den Ursprüngen europäischer Identitäten, sein Interesse an Konstruktionen und Geschichtsbildern. Als echter Polyhistor wusste er breite Fragestellungen zu verbinden und komplexe Erzählstränge zu entwickeln.
Er war nicht nur Frühneuzeitforscher und Experte für den Norden wie das Baltikum, Skandinavist und zuletzt im Projekt „Ideas of Migration“ am Institut für Mittelalterforschung der Österr. Akademie der Wissenschaften tätig, Stefan Donecker war auch Kultur- und Religionshistoriker. Er beschäftigte sich mit der Vorstellung von Werwölfen, überhaupt mit der Auseinandersetzung der Menschen mit dem Übernatürlichen in vormodernen Gesellschaften, aber auch schon mal als Herausgeber und Autor mit dem Kuss in Popkultur, Kunst, Politik und Kulturgeschichte.
Sieben Sammelbände zeugen von seinen Fähigkeiten als Forscher und Herausgeber: „Abstammungsmythen und Völkergenealogien im frühneuzeitlichen Ostseeraum“, hg. mit Mathias Niendorf/Jens E. Olesen; „Imagining the Supernatural North“, hg. mit Eleanor Rosamund Barraclough/Danielle Marie Cudmore; „Arktis und Subarktis“ hg. mit Gertrude Saxinger/Peter Schweitzer; „Wege zum Norden“ hg. mit Igor Eberhard/Markus Hirnsperger und zwei Bände hg. mit der 2020 verstorbenen Imbi Sooman „Stereotype des Ostseeraumes“ und „The ‚Baltic Frontier‘ Revisited“, sowie „Bruchlinien im Eis. Ethnologie des zirkumpolaren Nordens“ hg. mit Stefan Bauer/Aline Ehrenfried.
Sein im Verhältnis zu seinem frühen Tod eindrucksvolles Oeuvre bleibt und spricht für sich.
Gemeinsam durfte ich mit Stefan Donecker in Hildesheim, Bayreuth, Wien und Innsbruck Lehrveranstaltungen abhalten. Den Innsbrucker Studierenden ist das höchst gelungene Seminar zu „Antike im Film“ in Erinnerung. Allen Beteiligten hat es großen Spaß gemacht, teilweise kaum bekannte Filme und große Blockbuster zu analysieren und die Drehbücher mit dem Quellenbefund abzugleichen. Stefan war ein leidenschaftlicher und bei Studierenden äußerst beliebter Lehrender. Mit großem Engagement und immenser Freude schilderte er Strukturen und Hintergründe so lebendig und facettenreich, dass man am liebsten selbst wieder Zuhörer sein wollte. Sein tiefgründiger Humor und seine Freundlichkeit bleiben in Erinnerung.
Überhaupt die Zusammenarbeit, die mit dem nun Verstorbenen so bereichernd und erfüllend war. Gespräche führten schnell zu neuen Projekten, so Vieles bleibt nun bloße Idee. Zuletzt schrieben wir zusammen an einer Bild-Enzyklopädie zur „Deutschen Geschichte“, die auf dem Buchmarkt außergewöhnlich erfolgreich war, was Stefan sehr gefreut hatte. Stefan hatte viele Pläne. Eine Enzyklopädie europäischer Herkunfts- und Ursprungserzählungen von der Antike bis ins 20. Jahrhundert etwa, oder eine dekonstruierende Geschichte der Meistererzählung von der Völkerwanderung, um nur zwei zu nennen.
Leb wohl lieber Stefan, mögen die Skalden Dir singen!
Roland Steinacher
Vortrag bei der Tagung „Das verunsicherte Europa. Migration – Integration – Segregation“ im Haus der EU und im Otto-Mauer-Zentrum in Wien (11.–12.11.2016).
Stefan Donecker: „Migration heute – eine Völkerwanderung?“