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Nachwort zum Fasching

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-02-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Zeit ist so, dass man es sich zwei Mal überlegt, ob man lustig sein darf: Ukrainekrieg, Klimakrise und Erdbebenkatastrophe – kann man da Fasching feiern? Dazu kommt: Viele Menschen, die ich kenne, sind Faschingsmuffel, wenn nicht sogar ‑verächter. Ich nicht.

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Ich weiß nicht, warum, aber ich mag den Fasching. Er ist die Gelegenheit, sich lustig anzuziehen, in eine andere Rolle als die übliche zu schlüpfen, und sich einfach zu freuen, über nichts – oder über alles: über das Leben, gerade weil man das sonst so leicht übersieht.

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Und so habe ich dieses Jahr die Gelegenheit genützt. Corona hat seinen Schrecken verloren, die Uni hat noch Semesterpause, ich habe mir frei genommen, bin in meine Heimat nach Bayern gefahren und habe mich am Faschingsdienstag in den Trubel am Marienplatz in München gestürzt.

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Den Faschingsverächtern sei zugestanden: Ja, natürlich wurde da zu viel getrunken (auch ich habe mich im Verlauf des Nachmittags nicht nur an einer Bierflasche festgehalten), natürlich gab es auch Menschen, die sich daneben benahmen, natürlich gab es ohrenbetäubend laute Musik mit unsinnigen Texten, und vielleicht war es klug, am späteren Nachmittag die Straßenparty zu verlassen und nicht bis zum Kehraus zu bleiben, aber das scheint mir alles unwesentlich.

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Was mir wesentlich schien: Die Menschen waren fröhlich und schauten dabei aufeinander. Trotz wilden Tanzes wurde auf die Kinder geachtet, die in ihren Faschingskostümen hinter den Eltern herpurzelten – manche noch ganz im Banne des Ereignisses, andere schon müde und überanstrengt. Die Gefahr, über den Haufen gerannt zu werden, ging nicht von wilden Tänzerinnen und Tänzern aus, sondern von den wenigen Unverkleideten, die gestresst sich durch das Getümmel einen Weg bahnten und grimmig dreinblickten. (Ich erkannte mich, wenn ich es in Innsbruck eilig habe und mich die Touristenströme ärgern.)

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Eine Gruppe Trommler und Trommlerinnen war eine Attraktion, eine große Menschentraube sammelte sich um sie. Menschen gaben den Platz in der ersten Reihe frei für eine Mutter mit kleinem Buben und baten andere, beiseite zu gehen, damit der Junge sehen konnte – und diese taten es lächelnd. Ein kleines Mädchen mit einem wunderschönen Schmetterlingskostüm wurde auf die Schultern gehoben, damit sie den Überblick hatte. Andere – wildfremde Menschen – machten einander Komplimente über ihre Verkleidungen oder lächelten sich einfach zu aus Freude an der Freude, aus Freude am gemeinsamen Feiern.

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Ein Elternpaar mit kleinem Jungen erspähte einen Mann, der eine dem sprechenden Zauberhut aus Hogwarts nachempfundene Kopfbedeckung trug. Sie sprachen ihn an – im Übrigen sprachen alle alle auf nette Weise an –, in welches Haus von Hogwarts sie denn kommen würden. Der Familienvater hatte eine grüne Perücke auf, daher versetzte ihn der Hutträger nach Slytherin. Die Mutter nahm dem Mann den Hut kurz vom Kopf, setzte ihn sich selber auf, und erklärte, sie käme nach Gryffindor. Der Junge stand schüchtern daneben, sagte, er wolle ins Haus zu Harry Potter. Darauf setzte ihm der Hutbesitzer den Hut auf und fragte ihn, was der Hut nun zu ihm gesagt habe. Der Bub strahlte „Gryffindor“, worauf der Mann den Hut wieder zurücknahm.

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Der Familienvater umarmte den Mann, sagte „Du bist ein super Typ!“ und gab ihn einen richtigen Kuss auf die Wange. Dann gingen alle wieder ihrer Wege.

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Vielleicht sehe ich das alles ja –  nach den Bieren, an denen ich mich festgehalten habe – zu sentimental, und vielleicht übertreibe ich auch ein wenig, aber mir half dieser Faschingsdienstag nachzuempfinden, warum Gott die Menschen liebt. Das war ein großes Geschenk.

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