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Das neue Gebot und der Weg der Wandlung
(Predigt am 5. Sonntag in der Osterzeit)

Autor:Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-05-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt.“ (Joh 13, 34), sagt Jesus. Ich frage mich: Wie hat er geliebt?

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  • Sicher nicht so, dass er alle Beziehungsfalten mit ein bisschen emotionaler Wärme ausbügelte.
  • Sicher nicht so, dass es in seiner Gegenwart nur Friede, Freude und Eierkuchen gab.
  • Sicher nicht so, dass er mit seiner Kritik hinter dem Berg hielt.
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Im Gegenteil: Wir kennen auch einen zornigen Jesus, einen Jesus, der seinen Freund Petrus einen Satan schimpfte, einen Jesus, der Falschheit schonungslos beim Namen nannte: „Ihr Heuchler!“, wetterte er gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Mt 23, 13); und einmal stritt er sich heftig mit Leuten und warf ihnen vor: „Ihr habt den Teufel zum Vater… er ist ein Mörder … und Lügner“ (Joh 8, 44). Jesus kannte das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Was ist dann das Besondere? Was heißt es, zu lieben wie Jesus geliebt hat? Ich würde sagen: Er hat die anderen nie völlig abgeschrieben. Er hatte Zeit für den Pharisäer Nikodemus, sogar in der Nacht (Joh 3). Am Kreuz betete er für seine Peiniger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23, 34). Obwohl ihn seine Jünger im Stich gelassen hatten, hat er sie nicht aufgegeben. Er hat nicht gesagt: „Was seid ihr für Versager! Mit euch ist kein Spiel zu gewinnen! Von jetzt an seid ihr für mich tot.“ Nein! Er hat die Tür nie endgültig zugeschlagen. Und als sie die Türen verschlossen hatten, kam er zu ihnen. Er berief nicht neue Jünger und Jüngerinnen, sondern umwarb die alten neu. Er hörte nicht auf, an sie zu glauben. So hat er geliebt.

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„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt zueinander“ (Joh 13, 35). Als Jugendlicher träumte ich von diesem Ideal: Ich träumte davon, dass wir es zumindest im kleineren Kreis, etwa in unserer Pfarrei, schaffen, eine echte Kontrastgesellschaft zu bilden: eine Gemeinschaft, wo nicht die eisernen Gesetze der Welt regieren. Wo nicht gilt: Je mehr du bist, desto weniger bin ich. Wo nicht gilt: Fressen und gefressen werden. Ich habe von einer Gemeinschaft geträumt, wo gilt: Groß voneinander denken. Wo gilt: Leben und leben lassen. Was für ein Traum!

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Aber es kam schnell die Ernüchterung. Die Kontrastgesellschaft wollte sich nicht herstellen lassen. Ein Blick auf mich und meine engere Umgebung reichte, um festzustellen: Es gab eigentlich nur wenige, von denen ich wirklich sagen konnte, dass ich sie liebte. Es gab eine große Gruppe von Leuten, die mir relativ egal waren. Und schließlich gab es tatsächlich einige, die ich regelrecht verachtete, die ich hasste, die ich am liebsten auf den Mond schießen wollte, die ich nie mehr sehen wollte. Ist Jesu neues Gebot eine Überforderung? So schien es.

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Seit geraumer Zeit versuche ich einen Weg zu gehen, den ich „den Weg der Wandlung“ nenne. Jeden Tag möchte ich ein Stückchen dieses Weges gehen. Der Weg der Wandlung ist der Weg von Ich muss es schaffen zum Geschehenlassen, der Weg von der Anstrengung zur Erlösung, der Weg vom Ich zum Du Gottes. „Seht, ich mache alles neu,“ sagt Gott heute im Buch der Offenbarung (Offb 21, 5). Er tut zuerst – und ich möchte sein Tun an mir geschehen lassen. Der Weg der Wandlung beginnt damit, mir bewusst zu machen, dass Gott in mir wohnt, dass er in meiner Mitte ist (Offb 21, 3).

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  • Den Weg der Wandlung zu gehen heißt zu versuchen, meine Beziehungen wahrzunehmen, wie sie sind: nicht besser, aber auch nicht schlechter.
  • Den Weg der Wandlung zu gehen heißt, meine Gefühle zuzulassen, auch den Hass, die Verachtung, die Verletzungen und Wunden.
  • Den Weg der Wandlung zu gehen heißt, Gott meine Erfahrungen, Enttäuschungen und Wunden zu zeigen. Ich lasse sein heilendes Licht darauf scheinen. Ich lasse ihn die Tränen von meinen Augen abwischen (Offb 21, 4). „Gott heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden,“ heißt es im Psalm 147.
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Der Weg der Wandlung ist nicht ein Weg der Leistung, sondern des Empfangens. „Nehmt und empfangt!“ Jede Messe lädt zu dieser Wandlung ein. Wir öffnen unser Herz für Gottes Liebe, lassen sie in uns hineinströmen. Wenn unser Herz davon voll ist, dann strömt sie über auf andere. Und so steht es wörtlich da: „dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt.“

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