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Theologe: Politik gegen Coronavirus ein Ausdruck von Barmherzigkeit

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Kathpress, 17. 4. 2020
Datum:2020-04-20

Inhalt

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Theologe: Politik gegen Coronavirus ein Ausdruck von Barmherzigkeit (Kathpress-Interview)

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https://www.kathpress.at/goto/meldung/1879763/theologe-politik-gegen-coronavirus-ein-ausdruck-von-barmherzigkeit

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Politische Strategien, die sich unter Einsatz enormer Mittel um Minimierung der Infektionen mit dem Coronavirus bemühen, können laut dem Innsbrucker Theologen Jozef Niewiadomski durchaus als "Zeichen der Barmherzigkeit Gottes" gesehen werden: Ein Merkmal der Barmherzigkeit sei nämlich, "dass sie rettet, koste es, was es wolle", sagte der Professor für Dogmatik am Freitag im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress. Letzteres sei im christlichen Verständnis auch der "tiefste Grund für die Menschwerdung Gottes, für sein Mitgehen mit uns und auch sein Kreuz" gewesen.

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Zu einer ganz anderen Beurteilung kommt der Theologe bei der alternativen Zugangsweise der sogenannten "Herdenimmunität": Dabei würden Infektionen bewusst in Kauf genommen und man kalkuliere eine "berechenbare" Menge an Menschenleben, die zur Beendigung der Pandemie nötig sind. Für Niewiadomski ist dies "die moderne Variante des alten Opferkultes": Um den Zorn der Götter zu besänftigen, opfere man bewusst eine kleinere Menge an Menschenleben - wobei im aktuellen Fall die Pandemie die Rolle des "Götzen" übernehme.

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Niewiadomski äußerte sich mit Blick auf den bevorstehenden "Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit", den die katholische Kirche seit dem Jahr 2000 jeweils acht Tage nach Ostern - am früheren "Weißen Sonntag" - begeht. Barmherzigkeit finde man in der Coronavirus-Pandemie vor allem auf individueller Ebene, befand der Theologe, und zwar "überall dort, wo Menschen sich von Not berühren lassen, Hilfe leisten oder gar ihr eigenes Leben riskieren, um andere zu retten - mit oder auch ohne Berufung auf Gott".

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Grenzen der Gerechtigkeit

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Barmherzigkeit als ein "Spezifikum christlichen Glaubens" sei heute mehr denn je angefragt, so die Empfindung des Theologen und Priesters. Soziale Krisen brächten stets Aufwind für Verdächtigungen, Schuldzuweisungen, Sündenbockjagden und Hetze, für eine "Rette sich, wer kann"-Mentalität und auch für das Kollektivgefühl, ein ungerechtes Opfer zu sein. Als Folge entstünden Sammelklagen und kaum jemand entschuldige sich noch öffentlich - aus Angst, dafür dann auch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Niewiadomski: "Eine Kultur, die nur auf Gerechtigkeit aufbaut, kann in einer Krise schnell zur Hölle werden."

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Die Kirche sei von solchen Dynamiken der Selbstgerechtigkeit nicht ausgenommen, bekannte der Wissenschaftler. "Wir schaffen es oft nicht, überzeugend von den Guten und Heiligen unserer Tage zu reden, ohne gleich die Gegenfolie dafür zu liefern." Schon die Vorstellung einer "Hoffnung für alle" falle schwer, ganz konkret: "Dass Jesus am Kreuz nicht nur dem reumütigen rechten Schächer, sondern wahrscheinlich auch dem Lästerer zu seiner Linken vergeben hat." Auch lebten schwelende innerkirchliche Rivalitäten, etwa zwischen Laien und Klerikern, derzeit wieder auf.

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Um einen Impuls für eine "Gerechtigkeit für tatsächlich alle" zu liefern, dürfe die Kirche nicht bloß Antworten der Politik wie die physisch kontrollierte Gewalt wiederholen und sich auch nicht nur auf ethische Appelle wie etwa nach einem Grundeinkommen beschränken, "die ja nur den Lebenden helfen, aber die Verstorbenen ausklammern", wie Niewiadomski betonte. Vielmehr müsse die Kirche alles daran setzen, "die Logik der Gerechtigkeit in die der Versöhnung und bedingungslosen Schuldvergebung - also der Barmherzigkeit - zu überführen".

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Mitleidender Gott

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So "altbacken" der Barmherzigkeits-Begriff in manchen Ohren klingen mag, er ist in der Theologiegeschichte noch ziemlich jung: Erst Papst Johannes Paul II. (1978-2005) beschrieb sie mit der 1980 erschienenen Enzyklika "Dives in misericordia" als die zentrale Eigenschaft Gottes. Der aus Polen stammende Papst berief sich dabei auf die von ihm später - am 30. April 2000 - heiliggesprochene Mystikerin Faustyna Kowalska (1905-1938). Papst Franziskus stehe in derselben Tradition, wenn auch er gängige Gerechtigkeitsordnungen mit einer "Kultur der Barmherzigkeit" radikal infrage stelle, erklärte Niewiadomski im Kathpress-Interview.

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Völlig berechtigterweise würden derzeit Bischöfe, Priester und Theologen "fast gebetsmühlenartig" der von manchen Kreisen vertretenen These, die Corona-Pandemie sei eine "gerechte Strafe Gottes", widersprechen, betonte der Dogmatiker. Dies schaffe freilich neuen Erklärungsbedarf, wie es denn um die Barmherzigkeit Gottes nun konkret bestellt sei - was eine enorme Herausforderung sei. Konzepte von einem "abwesenden", "schweigenden" oder gar "ohnmächtigen" Gott wies Niewiadomski zurück, denn: "In der Bedrohung nicht präsent zu sein, bedeutet, für die unter der Bedrohung leidenden Menschen irrelevant zu werden."

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Die Antwort des Innsbrucker Theologen: "Das christliche Gottesbild zwingt, Gott im menschgewordenen Sohn zu glauben und sein Involviertsein in die Leiden der Katastrophe in den Vordergrund zu rücken." Damit verbunden sei ein Bezeugen der Hoffnung, "dass die Katastrophe und der Tod nicht das letzte Wort haben, sondern Gott selber und nur er". Nicht nur zu Ostern sei es nötig, an die Auferweckung der Toten zu erinnern - "eine Hoffnung, die selbst den Bildern von Massengräbern, wie sie in manchen Regionen jetzt nötig sind, standhält" wie Niewiadomski betonte. In diesem Glauben zu leben, mache gelassener und resistenter gegen eine Anschuldigungs-Kultur.

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