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Gott und den Nächsten zu lieben: Über den Sinn des Doppelgebots

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-08-31

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis (zu den Texten: Dtn 30,10-14 Lk 10,25-37), gehalten in der Jesuitenkirche am 14. Juli 2019.

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Stellen sie sich vor: nicht nur die Regensburger Domspatzen wären hier heute zu Gast, sondern auch der berühmte Prediger der Barockzeit: Abraham a santa Clara. Mit ihren Engelsstimmen singen die Spatzen Palestrinas „Missa papae Marcelli“. Und Abraham? Was würde er zu den biblischen Texten, die eigentlich so klar sind, dass sie keiner zusätzlichen Auslegung bedürfen, was würde er predigen? Vermutlich würde er versuchen, den Sinn der Koppelung beider Gebote zu erklären: die Koppelung des Gebots, Gott zu lieben mit jenem, das über die Liebe zum Nächsten spricht. Versetzen sie sich also in die Barockzeit (was gerade in dieser schönen Barockkirche keine allzu große Kunst sei) und hören sie sich folgende Geschichte an:

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Abraham a santa Clara predigt über den Sinn des Doppelgebots. Nach der Predigt kommt ein junger Mann in die Sakristei. Ein typischer Zeitgenosse, der die Religion längst zur Ethik reduziert hat. „Entschuldigen Sie, Herr Pater, das mit der Nächstenliebe, das versteht sich von selbst. Gerade in der heutigen Zeit, wo man doch deutlich sieht, wie alles aus dem Ruder gerät. Angesichts all der humanitären Krisensituationen kann man doch nicht oft genug von der Liebe zu Mitmenschen sprechen. Aber: wozu brauchen wir da die Liebe zu Gott? Was bringt das? Außer dem Frömmigkeitsfrust. Und die Kirche heutzutage... Wissen Sie…” Abraham unterbricht den jungen Mann, nimmt ihn bei der Hand, geht mit ihm aus der Kirche hinaus. Zu einem See. Dort besteigt er ein Boot. Der Bursche steigt ein. Der Pater ergreift ein Ruder und fängt an zu rudern. Wie ein Wahnsinniger. Das Boot fängt an, sich im Kreis zu drehen. Der Pater steigert seine Aktivität, rudert und rudert, gerät fast aus dem Atem. „Stopp!“, schreit der Bursche. „Sie müssen mit beiden Händen rudern. Sonst kommen wir nicht vom Fleck.“ „Genau“, antwortet der Pater. „Genauso verhält es sich mit dem Doppelgebot. Wenn Sie sich nur um die Liebe zu Mitmenschen bemühen, die Liebe zu Gott aber vergessen, werden sie sich nicht nur im Kreis drehen. Sie werden irgendwann auch außer Atem geraten. Ethik allein genügt nicht. Ethik losgekoppelt vom Glauben! Mittelfristig dreht sich eine Kultur, die den Glauben vergisst, die Transzendenz ausschaltet, den Bezug auf den lebensspendenden Gott kapert, mittelfristig dreht sich eine solche Kultur im Kreis. Sie dreht sich bloß um sich selbst, wird deswegen auch destruktiv. Übrigens: genauso verhält es sich mit dem anderen Ruder. Losgekoppelt von der Nächstenliebe mutiert die Liebe zu Gott zur Frömmigkeitsneurose, zum Lippenbekenntnis. Auch das wird sich der Mensch bloß um sich selber, bloß im Kreis drehen. Er wird höchstens moralisieren, weil er die Gnade nicht wahrnimmt. Jene Stimme Gottes, die ihm heute sagt: ‘Das Gebot, auf das ich verpflichte, geht nicht über deine Kraft’. Nur wenn man mit beiden Rudern rudert, nur dann kommt man vorwärts. Wissen sie: Unter der Fahne des Doppelgebots: der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten, verwandelt sich die Lebensreise zu einem lebensbejahenden Bootsausflug. Rudernd, sich im Leben abmühend, erlebt man sich immer und immer wieder erholt. Weil man auch – genauso wie dies bei einem schönen Bootsausflug der Fall ist –, weil man auch wahrnimmt, dass man beschenkt wird. Gott und den Nächsten liebend, erlebt man sich selber geliebt, nimmt man wahr, dass bei der Lebensreise Gott selber mich liebt. Liebt auch oder gerade im Modus der Nächstenliebe, weil auch ich selber von den Anderen geliebt werde.“ Der junge Mann hat es verstanden. Er griff nach dem zweiten Ruder. Der Pater und der Bursche kamen endlich vom Fleck.

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Liebe Schwestern und Brüder, weil Gott uns zuerst geliebt hat, können wir selber lieben. Ihn selber lieben und unsere Mitmenschen lieben. Und auf diesem Weg erfahren, dass auch wir geliebt werden. Ergreifen wir also bei unserer Lebensreise beide Rudern!

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