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Auferstanden: Leibhaftig! Predigt zum Ostersonntag
(Gehalten in der Jesuitenkirche am 1. April 2018 um 11.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-04-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ja, gegessen und getrunken hat ER! Liebe Schwestern und Brüder, das Wunder von Ostern stellt eine Zumutung dar: für jeden denkenden Menschen. Es scheidet auch die Geister; ist keineswegs für Große und Kleine so konsensfähig wie der Osterhase mit seinen Eiern. Das Wunder scheidet die Geister, nicht zuletzt deswegen, weil es an unsere Alltagserfahrung anknüpft, diese zuerst auch bestätigt und dann immer und immer wieder alle unsere rationalen  Maßstäbe über den Haufen wirft. Und warum dies?

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Mitten in die verängstigte Gruppe von Menschen, die kläglich versagt haben, sich deswegen aus Angst und Scham von der Umwelt abgeschnitten haben, platzt die aufgebrachte Maria von Magdala hinein: mit der Botschaft von einer möglichen Grabesschändung, gar von einem Leichenraub. „Sie haben den Herrn weggenommen!“ Was mochten sich diese verängstigten Menschen wohl gedacht haben? „Mensch, muss das noch dazu kommen ... zu dem Scheiterhaufen vor dem wir da alle sitzen. Als ob es noch nicht genug an Brucherfahrungen in den letzten Tagen gegeben hat?“ Petrus und Johannes rennen um die Wette zum Grab, finden das Grab leer und verstehen zuerst „Bahnhof“, würden deswegen am liebsten das Ganze hinter sich lassen, sein Bild aus ihrem Gedächtnis auslöschen. Doch ... da steht ER plötzlich mitten unter ihnen. Das Gespenst der Erinnerung lässt sich nicht so leicht vertreiben! Das Gespenst der Erinnerung an das Versagen, das Gespenst, das die tiefe Zerrissenheit ihrer Seele verdichtet. „Um Gottes willen, nein! Nicht schon wieder!“

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Es ist aber kein Gespenst. Es findet da auch keine spiritistische Sitzung statt. Die Erscheinung  verstärkt ihre Zerrissenheit nicht, sie weckt ja keine neuen Schuldgefühle. Im Gegenteil: sie stiftet Frieden. Doch wie? Nicht durch esoterisch anmutenden Strategien. Die Erscheinung stiftet Frieden gerade dadurch, dass derjenige, der sich als Jesus zu erkennen gibt, die Aufmerksamkeit der Jünger und Jüngerinnen gezielt auf seine Leiblichkeit fokussiert. Jesus stiftet Frieden gerade dadurch, dass er das Alltäglichste tut, was ein Mensch tun kann. Er isst und trinkt mit ihnen und lenkt ihr Augenmerk auf seinen Leib hin. Auf jenen Leib, der misshandelt wurde, gar noch als Leichnam misshandelt, weil sinnlos durchbohrt. Auf einen Leib also, der einer einzigen Wunde glich, sich deswegen auch bestens geeignet hätte: als Vorlage für unzählige Denkmäler einer unversöhnten Erinnerungskultur, als schreiende Anklage, die bis in alle Ewigkeit neue Wunden reißt. Er lenkt aber ihre Augen auch auf den Leib, der als Leichnam bestattet wurde, deswegen auch vermodern sollte. Zum Staub werden und zum Steigbügel für eine Kultur des Verdrängens und Vergessens. Mehr noch: er lenkt ihre Aufmerksamkeit gezielt auf seine Hände. Auf jene Hände, die unzählige Menschen berührt haben, Hände, die Brot ausgeteilt haben, Hände, die das Leid linderten, Hände, die liebkosen und Fesseln lösen konnten. Er lenkt ihr Augenmerk aber auch auf jene Hände, die gefesselt wurden und angenagelt und doch nicht im Gestus der Anklage erstarrt sind. Er lenkt ihre Aufmerksamkeit auf den Leib, weil er weiß, was auch sie bestens wissen, dass gerade der menschliche Leib der Ort sei, an dem die Liebe und das Leiden buchstäblich mit Händen greifbar sind.

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Liebe und Leib! Wann ließen die im Lieben je sich scheiden? Zumindest die verliebten Jugendlichen werden den Spruch emphatisch bejahen und der These, dass Liebe und Leib sich niemals scheiden lassen, begeistert zustimmen. Und dies nicht nur theoretisch, sondern durch den Vollzug ihrer Liebe: weil sie nie genug bekommen können vom Knutschen und Ineinander-Verschmolzen-Sein. Liebe und Leib? Wann ließen die im Leben je sich scheiden? Millionen und Abermillionen von Menschen bejahen diese unauflösliche Verbindung. Wenn sie sich den kleinen und großen Nöten ihrer Mitmenschen nicht verschließen, deswegen auch nicht nur ihren Job erledigen – wenn sie als Pfleger, Ärztinnen, Entwicklungshelfer, Sozialarbeiterinnen und weiß Gott wer noch alles –, sondern tagtäglich durch ihre Arbeit die Leiblichkeit mit der Menschenliebe verbinden. Liebe und Leib! Wann ließen die im Lieben je sich scheiden. Das werden auch alle Eltern sagen, Eltern, die ihre Kinder vom Säuglingsalter an gebadet, geküsst und genährt haben. Und sie werden staunend und dankbar die These wiederholen, wenn sie von diesen Kindern etwas Vergleichbares erfahren: im Alter. Wenn sie selber gepflegt, gewaschen und geküsst werden. Ja, liebe Schwestern und Brüder. Liebe und Leib, wann ließen die im Lieben – und gar im Leben – je sich scheiden!

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An der Bahre des geliebten Menschen stehend, den erkalten Leichnam berührend und küssend, bekommt der übrig gebliebene Partner einen Kloß im Hals, weil er schmerzhaft erfahren muss, dass es zwar bei ihm noch die Liebe gibt, ihm aber der Leib, den er liebt, abhandengekommen ist. Der Leib, durch den er so viel Liebe erfahren hat, aber auch durch den er so viel Liebe schenken konnte. Der Leib, den er leiden sah, durch den er vielleicht auch Leid erfahren hat. Der Leib, der nach einem Streit die Versöhnung erleichterte. Im Tod kommt dieser Leib dem Liebenden abhanden. Den schmerzhaften Bruch, den der Tod für unsere Liebeserfahrung mit sich bringt, diesen Bruch vermag keine Vertröstungsstrategie und keine Rationalisierung hinweg zu schaffen. Da sind die genialsten Philosophen und die brillantesten Naturwissenschaftler genauso ratlos wie der einfache Mensch: wenn sie mit dem Tod des geliebten Menschen konfrontiert sind.  Und der Bruch, den der Tod für unsere Liebeserfahrung bringt, wird noch schmerzhafter wenn dieser Tod vom Verrat begleitet wird.

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Liebe Schwestern und Brüder, das Wunder von Ostern stellt eine Zumutung dar. Es knüpft an die fundamentalsten menschlichen Erfahrungen an, macht den Bruch, den der Tod für unsere Liebeserfahrung mit sich bringt und dem kein Mensch zu entrinnen vermag, sichtbar; dieses Wunder macht den Bruch schmerzhaft bewusst, lindert diesen Schmerz aber nicht durch menschlich ausgedachte Vertröstungsstrategien (die durch verschiedene Philosophien, Spiritualitäten und  auch durch religiöse Praktiken angeboten werden). Vielmehr überrascht das Wunder von Ostern, weil sich hier Gott etwas leistet, was kein Mensch für möglich halten kann. Gott macht den Bruch nicht ungeschehen, verwandelt ihn aber. Er rettet das leibhaftig verfasste menschliche Leben durch den Tod hindurch. Der auferweckte Leib Christi trägt all die Merkmale der Identität, die für die Liebe und auch für das Leiden in dieser Welt von zentraler Bedeutung sind. Deswegen sehen wir die Wundmale: sie sind aber keine Symbole der Anklage. Weil sie sichtbar sind, verhindern sie die Kultur der Verdrängung und des Vergessens. Weil sie aber verklärt sind, tragen sie zur Versöhnung bei. Deswegen auch das Essen und Trinken und das Berühren. Und auch die ausgestreckte Hand zur Versöhnung. Damit das Kreuz, jenes Kreuz, an dem der Corpus angenagelt ist, in einer unversöhnten Erinnerungskultur nicht zum Anklagesymbol missbraucht, sondern als Zeichen der Versöhnung und Rettung erlebt werde.

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So paradox es zuerst auch klingen mag: das Wunder der Auferweckung und nur dieses Wunder lässt uns Gott erfahren, als einen Gott, der unser Menschsein – so wie wir es erleben: als ein Menschsein, das sich in und durch unsere Leiblichkeit ereignet – ernst nimmt. Deswegen gibt es Auferweckung nur leiblich, oder es gibt sie nicht! Mögen die Zyniker spotten und die Rationalisten ihre Augen verdrehen: die Christen haben die leibliche Auferweckung seit eh und je gefeiert, sie feiern diese auch heute und werden sie bis zum Ende der Weltgeschichte feiern. Und dies nicht zuletzt deswegen, weil sie in diesem Wunder den Garanten unseres Menschseins erblicken. 

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