assoz.-Prof. Dr. Martin Tollinger
NMR-Spekroskopie
Wir untersuchen zeitabhängige und dynamische Phänomene in komplexen Systemen. Hierbei setzen wir experimentell auf NMR-Spektroskopie (Kernspinresonanz-Spektroskopie), welche es uns ermöglicht, den zeitlichen Ablauf chemischer Reaktionen mit atomarer Auflösung zu beobachten und zu quantifizieren. Dies verschafft uns ein tiefgehendes Verständnis jener Faktoren, die die Effizienz chemischer Reaktionen bestimmen. Besonders interessieren uns dabei biologische Systeme, hauptsächlich Proteine und Proteinkomplexe. Diese Biomoleküle fungieren als hochspezialisierte und effiziente Katalysatoren verschiedenster chemischer Reaktionen. Zudem zeichnen sie sich durch ihre strukturelle Dynamik aus, eine für ihre Funktion wesentliche Eigenschaft, die NMR-spektroskopisch charakteri-siert werden kann. Aufgrund ihrer Komplexität stellen Biomoleküle eine experimentelle Herausforde-rung dar, die den Einsatz von Hochfeld-NMR-Spektroskopie erfordert.
NMR-Spektroskopie bietet die Möglichkeit, die chemische Umsetzung von Verbindungen durch katalytisch aktive Proteine (Enzyme) zu charakterisieren. Hierbei ist es möglich, sowohl den Reaktionsverlauf selbst als auch strukturelle Änderungen des Enzyms während der katalytischen Reaktion zu beobachten. Aktuelle Beispiele aus unserer Arbeitsgruppe betreffen den Abbau von Ribonukleinsäuren durch PR-10 Proteine, eine in der Natur weit verbreitete Familie von Ribonukleasen. Für diese Proteinfamilie gelang es uns erstmals, den Mechanismus des RNA-Abbaus im Detail zu charakterisieren. Im ersten Schritt werden einzelsträngige RNA-Segmente in einen Hohlraum der PR-10-Proteine gebunden. Erst im zweiten Schritt wird die RNA-Kette an der Proteinoberfläche hydrolytisch in Fragmente geschnitten und freigesetzt.

Einzelsträngige RNA, gebunden an ein PR-10 Protein. NMR-spektroskopische Identifikation der katalytisch aktiven Zentren an der Proteinoberfläche.
Biomoleküle zeichnen sich durch ihre inhärente strukturelle Dynamik aus, die in funktionalem Zusammenhang mit ihrer Funktion steht. In unserer Forschung beschäftigen wir uns mit der strukturellen Dynamik von Proteinen im Milli- bis Mikrosekundenbereich. In diesem Zeitfenster finden lokale Umlagerungen der dreidimensionalen Struktur statt, welche die Bindung von bioaktiven Verbindungen (Liganden, Enzymsubstraten etc.) ermöglichen. NMR-Spektroskopie erlaubt die ortsaufgelöste und quantitative Beobachtung dieser strukturellen Dynamik. Durch die Kombination mit anderen biophysikalischen Methoden wird der Zusammenhang zwischen struktureller Dynamik und Bindungsaffinität experimentell zugänglich.

NMR-Relaxationsdispersionsmessungen zur Charakterisierung funktionaler struktureller Dynamik in der Biokatalyse.
Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung und Optimierung NMR-spektroskopischer Methoden, insbesondere zur quantitativen Untersuchung dynamischer Phänomene. Unser Interesse gilt vor allem der Bindung von niedrigmolekularen Verbindungen (Liganden) an biologische Targets. Der dynamische Prozess von Assoziation und Dissoziation kann mit einer von uns entwickelten Methode durch Kernspin-Relaxationsmessungen am Ligandenmolekül untersucht werden. Die Quantifizierung des Assozia-tions- und Dissoziationsprozesses ermöglicht die Bestimmung der Verweilzeit des Liganden im Komplex, eine Kerngröße zur Optimierung der Effizienz von bioaktiven Verbindungen. Zudem können thermodynamische Daten zur Komplexbildung bestimmt werden.
