assoz. Prof. Dr. Thomas Lörting
Kryochemie von Wasser
Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Wasser und wässrigen Lösungen unterhalb des Gefrierpunktes, insbesondere mit kristallinem Eis, amorphem Eis, tief unterkühltem flüssigen Wasser sowie Clathrat-Hydraten. Highlights in der Grundlagenforschung umfassen die Entdeckung von einem dritten amorphen Eis („VHDA“) sowie von einer kristallinen Eisform („Eis XIX“). In der angewandten Forschung erarbeiten wir Referenzdaten für die spektroskopische Entdeckung von zwanzig verschiedenen Eisformen im Weltall und beschäftigen uns an der Schnittstelle von Wissenschaft und Spitzensport mit der Reibung von Rodelkufen auf Eis.

Auf der Ebene der Grundlagenforschung beschäftigen wir uns damit die Eigenschaften zu verstehen, die Wasser so einzigartig und zum Molekül machen, ohne das Leben nicht möglich ist. Im Zentrum des Interesses steht dabei die Idee, dass flüssiges Wasser wie wir es kennen eigentlich eine Mischung aus zwei verschiedenen Flüssigkeiten ist (HDL und LDL). Bei sehr tiefen Temperaturen und unter Druck sind wir in der Lage diese beiden zu trennen und isolieren. Uns interessiert dabei, welche physikalischen und chemischen Eigenschaften HDL und LDL einzeln haben, etwa Dichte und Wärmekapazität oder wie sie sich in Bezug auf Lösevermögen oder chemische Reaktivität unterscheiden.

Dazu beschäftigen wir uns mit den verschiedenen Erscheinungsformen von gefrorenem Wasser, wie z.B. im Inneren der Erde, im Inneren von Eismonden, auf den Saturnringen oder am interstellaren Staub. Mittlerweile sind 20 verschiedene kristalline Formen von Eis bekannt, dazu drei verschiedene nicht-kristalline, amorphe Formen von Eis. Zwei davon, Eis XIX und VHDA, wurden in unserer Arbeitsgruppe entdeckt. Einige davon, wie etwa LDA oder Eis Ih, sind im Weltall weit verbreitet. Eis VI und Eis VII kennen wir von Diamanteinschlüssen aus dem Inneren der Erde. Andere Formen sind in der Natur noch unentdeckt – Temperatur und Druckverhältnisse lassen aber vermuten, dass etwa auf Eismonden des Jupiters oder Saturns einige der anderen vorhanden sein könnten. Wir unterstützen daher Weltraum-Missionen wie JUICE oder Weltraumteleskope wie das JWST mit dem Bereitstellen von Referenzdaten, etwa im Bereich der Infrarot und Raman-Spektroskopie.

Eisbildung in einer KCl-Lösung
Auf der Ebene der angewandten Forschung beschäftigen wir uns mit dem Gefrieren und Auftauen von wässrigen Lösungen. Durch Gefrierkonzentration und unkontrollierte Kristallisation beim Auftauen werden z.B. Zellen oder Wirkstoffe geschädigt. Dabei klären wir, welche chemischen Prozesse beim Einfrieren und Auftauen von statten gehen und welche Phänomene zu Gefrierschäden führen. Dazu zählen das Verglasen, die Clathratbildung, die Bildung eines Netzwerkes von Venen mit gefrierkonzentrierter Lösung, Kristallisation beim Einfrieren sowie die Kaltkristallisation beim Auftauen. Diese Prozesse verändern pH-Werte der Lösung oder führen zu Aggregation von Proteinen.
Clathrat-Hydrate sind eisartige Einschlussverbindungen, die sich durch das Einschließen von meist apolaren Molekülen in Eiskäfigen auszeichnen. Methan-Clathrate gibt es in riesigen Mengen im Permafrost und am küstennahen Ozeanboden. Sie sind energierelevant, etwa für den Transport von Methan/Erdgas in Pipelines oder für die Wasserstoffspeicherung. Zusätzlich sind sie auch klimarelevant – da der plötzliche Zerfall von Methanclathraten einen Klimakipppunkt darstellt, durch den eine massive globale Erwärmung ausgelöst würde („Clathrate Gun“). Wir beschäftigen uns mit den verschiedenen Käfigen und Kristallstrukturen, sowie den Faktoren, die die Bildung, die Stabilität und den Zerfall von Clathrat-Hydraten steuern, insbesondere mit der Aufklärung des Phänomens der anomalen Selbsterhaltung.
