Univ.-Prof. Dr. Volker Kahlenberg
Angewandte Mineralogie und Kristallographie

Die Aktivitäten der Arbeitsgruppe sind an der Schnittstelle zwischen angewandter und grundlagenorientierter Forschung angesiedelt. Im Fokus steht die Materialentwicklung und Charakterisierung von Feststoffen, die im Bereich von industriellen Hochtemperaturprozessen auftauchen. Hierzu zählen zum Beispiel Produkte der Stahl-, Keramik-, Glas- und Bindemittel-, sowie der Feuerfestindustrie, die neben high-tech Anwendungen auch für viele Bereiche des täglichen Lebens direkt oder indirekt eine wichtige Rolle spielen (Ziegel, Sanitärkeramik, Fliesen und vieles mehr). Ein besonderer Schwerpunkt unserer Forschung liegt dabei bei sogenannten in-situ Messungen mittels verschiedenster Röntgenbeugungsverfahren, bei denen die Herstellung und der Einsatz von kristallinen Festkörpern unter möglichst prozeßnahen Bedingungen bis zu 1500 °C untersucht wird. Ferner können Einflüsse des kristallinen Aufbaus auf die Änderungen der Eigenschaften direkt verfolgt werden.

In-situ Pulverdiffraktionsuntersuchung zum Hochtemperaturverhalten des silikatischen Ionentauschers Na[Si2O4(OH)]·3H2O
Das von der Arbeitsgruppe über viele Jahre hinweg aufgebaute Diffraktionszentrum West und die dort vorhandenen Geräte stellen einen für Österreich einzigartigen Pool zur Untersuchung von Einkristallen sowie von polykristallinen Proben dar, um Informationen über deren Kristallstrukturen mittels Röntgendiffraktion zu erhalten. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf oxydischen Verbindungen, die für unsere eigene Forschungsrichtung von besonderer Bedeutung sind. Verschiedenste Probenumgebungen erlauben dabei Untersuchung des Verhaltens von Werkstoffen unter hohen oder tiefen Temperaturen, unter hohen Drucken, sowie unter Verwendung von variablen Luftfeuchten oder dem Einsatz reaktiver Gasatmosphären. Die unterschiedlichen Geräte sind jeweils für bestimmte Applikationen optimiert und können ein sehr großes Anwendungsspektrum abdecken, das von vielen Kooperationspartnern inner- und außerhalb der LFU intensiv genutzt wird.

Phasendreieck im ternären System Na2O-CaO-SiO2
Die Interpretation des Hochtemperaturverhaltens von silikatischen Werkstoffen basiert ganz wesentlich auf der genauen Kenntnis der jeweiligen Phasendiagramme. Überraschenderweise fehlen diese Daten jedoch für eine Vielzahl von „einfachen“ Dreistoff- oder Vierstoffsystemen. Im Rahmen unserer Untersuchungen wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Systemen neu oder erstmals bearbeitet, die Existenz neuer Phasen nachgewiesen sowie die Ergebnisse älterer Arbeiten korrigiert. Neben der Durchführung von Synthesen in den zahlreichen Ofenlagen - auch unter Einbeziehung thermoanalytischer Verfahren (DTA-TG-MS, DSC) - können die experimentellen Ergebnisse mit thermodynamischen Modellierungsrechnungen unter Verwendung des Softwarepaketen wie z.B. FactSage abgeglichen werden.

Experimentelles (links) und theoretisch vorgesagtes (rechts) Einkristallbeugungsbild der Sintereisenerzphase SFCA-III. Es liegt eine orientierte Verwachsung von zwei verschiedenen Polytypen vor.
Die Kenntnis der Kristallstruktur trägt ganz wesentlich zum Verständnis vieler physikochemischer Eigenschaften kristalliner Festkörper bei. Unsere langjährige Erfahrung hat gezeigt, daß es gerade auch in industrierelevanten Systemen durch die schnellen Reaktionsprozesse häufig zur Ausbildung von besonders herausfordernden strukturellen Phänomenen wie z.B. Polytypie, Polysomatie, Zwillingsbildungen oder modulierte Strukturen kommen kann. Die erfolgreiche Beschreibung solch komplexer Systeme erfordert ein hohes Maß an kristallographischem Spezialwissen, welches in der Arbeitsgruppe zur Verfügung steht und uns zu einem gern geschätzten Kooperationspartner auf nationaler und internationaler Ebene macht.